Nicht nur beim Justizpersonal hat Sachsen ein Problem. Auch die Haftanstalten sind voll. Rappelvoll. Darüber berichtete am 7. März das „Neue Deutschland“. Eher beiläufig, denn man hatte wieder nach dem Justizpersonal gefragt. Doch in der Antwort des Sächsischen Justizministeriums gab es dann auch noch die Nachricht, die die beiden Landtagsabgeordneten der Linken, Klaus Bartl und Enrico Stange, verblüffte.
„Die Personalsituation sei aufgrund der anhaltend hohen Gefangenenzahlen angespannt, räumte das Justizministerium in Dresden ein“, meldete das „Neue Deutschland“. „Zum Stichtag 28. Februar habe es in den neun sächsischen Justizvollzugsanstalten 3.700 Insassen gegeben. Damit seien die Gefängnisse zu 97 Prozent gefüllt. Eine Justizvollzugsanstalt gelte aber schon ab einer Belegung von 90 Prozent als ausgelastet, weil immer Plätze frei gehalten werden müssten, zum Beispiel um Gefangene zu trennen.“
Was ja bedeutet, dass man seit Jahren die Kapazitäten in den verfügbaren Anstalten bis zum Anschlag nutzt, aber das notwendige Personal nicht eingestellt hat, um die Maximalbelegung abzusichern. Es ist eine der vielen Stellen, die zeigt, wie das 2009 von Ministerpräsident Stanislaw Tillich angekündigte Personalkürzungsprogramm durchgezogen wurde und vor allem Löcher gerissen hat.
Für den 1. März 2017 teilt Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) den beiden neugierigen Abgeordneten der Linken eine offizielle Belegungsquote von 95,4 Prozent mit. In Zwickau liegt die Auslastung seit einigen Jahren sogar permanent über 100 Prozent. Quoten über 100 Prozent erreichen aber auch die JVAs in Dresden, Chemnitz und Görlitz, wo es in letzter Zeit zu mehreren Vorfällen kam.
Und dass es in der JVA Leipzig ebenfalls immer wieder zu Vorfällen kommt, die von der Überlastung des Personals zeugen, zeigt auch die hier angegebene offizielle Belegungsquote von über 94 Prozent. Die Zahlen zeigen recht deutlich, dass für Sachsens Regierung seit über sechs Jahren klarer Handlungsbedarf besteht.
Stattdessen aber hat man sich kreative Varianten ausgedacht, wie man die Kapazitäten dann doch irgendwie flexibel nutzen kann.
„Belegungsspitzen werden durch Belegungsausgleiche zwischen den Justizvollzugsanstalten abgefangen. So wurden bereits vorhandene Haftplatzreserven in der Justizvollzugsanstalt Waldheim durch die Verlegung von Strafgefangenen aus den Justizvollzugsanstalten Leipzig mit Krankenhaus und Torgau genutzt. Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen, stehen Nothaftplatzkapazitäten zur Verfügung, die sich daraus ergeben, dass – im rechtlich zulässigen Umfang – Einzelhafträume doppelt oder Doppelhafträume dreifach belegt werden“, gibt Sebastian Gemkow als Beispiel an.
Und dann sind ja da auch noch die Ausländer, die in Sachsen auf frischer Tat – zum Beispiel beim Einbruch oder Drogenhandel – erwischt werden und folgerichtig in sächsischen JVAs landen. Die würde der Freistaat aber am liebsten loswerden, um Platz zu schaffen, wie Gemkow andeutet: „Geprüft wird derzeit zudem eine Änderung der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz über den Vollstreckungsplan für den Freistaat Sachsen (VwV-Vollstreckungsplan). Angesichts des nicht unerheblichen Ausländeranteils an der Gesamtbelegung könnte eine erhebliche entlastende Wirkung dadurch erreicht werden, dass vom Vollstreckungshilfeverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der EU nach §§ 85 – 85 f IRG möglichst umfassend Gebrauch gemacht wird. Durch die zuständigen Staatsanwaltschaften wird die Einleitung entsprechender Verfahren geprüft.“
Das scheint aber etwas schwierig zu sein. Die Empfängerländer werden auch nicht allzu glücklich sein, ihre Ganoven nun wieder in eigenen Gewahrsam zu bekommen.
Und noch ein Mittel gibt es, die Zahl der Häftlinge zu mindern: Man sperrt sie gar nicht erst ein.
Oder mit den Worten Sebastian Gemkows: „Zudem wird darauf hingewirkt, dass die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch Alternativen, insbesondere durch die Ableistung von gemeinnütziger Arbeit, abgewendet werden kann.“
Was dann zu so seltsamen Phänomenen wie mehrfach bestraften Gewalttätern führt, die dann – statt für ein paar Monate oder Jahre hinter Gitter zu wandern – auf freiem Fuß bleiben, die Strafe eher für einen Witz halten und die Liste ihrer Vergehen munter verlängern.
Wenn der zuständige Minister diese Art der Problemlösung schon benennt, dürfte das wohl auch die Grundlage für eine Reihe von zumindest verwunderlichen Gerichtsentscheidungen sein.
Und es wirft die Frage auf, ob Sachsen tatsächlich genügend Plätze in seinen Justizvollzugsanstalten bereithält oder hier nicht auf die falsche Weise spart. Immerhin ist die Zahl der verfügbaren Haftplätze von über 4.300 im Jahr 2005 auf rund 3.800 gefallen, können also rund 500 Häftlinge weniger untergebracht werden. Dahinter steckt natürlich jene Haftanstalt, die man vor Jahren gern mit dem Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt zusammen gebaut und betrieben hätte, die dann aber nicht zustande kam. Was dann durch die Neubaupläne für die JVA Zwickau-Marienthal ersetzt wurde, diesmal als Gemeinschaftsaktion zwischen Sachsen und Thüringen, die es auch schon seit 2013 gibt. Die ursprünglich geplanten Kosten von 150 Millionen Euro haben sich aber mittlerweile auf 171 Millionen erhöht. „Eine Vollinbetriebnahme der Justizvollzugsanstalt ist im Jahr 2020 zu erwarten“, meldete das Finanzministerium im Dezember.
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