Selbst das Schaubbild zeigt, dass die Sicherheitspolitiker aus Sachsen, Thüringen, Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sich eigentlich so eine Art ostdeutsche NSA wünschen, einen zum Zugriff auf alle Datenströme berechtigten Überwachungsdienst. Am Dienstag, 4. April, berichtete Sachsens Staatsregierung etwas detaillierter darüber, wie das geplante gemeinsame Zentrum zur Telekommunikationsüberwachung aussehen soll. Kritik gibt’s natürlich postwendend.
2019 schon soll das Zentrum in Betrieb gehen und seinen Hauptsitz in Leipzig bekommen. Einen entsprechenden Beschluss hat das Sächsische Staatskabinett gefasst. Der zugehörige Staatsvertrag wurde von Innenminister Markus Ulbig unterzeichnet.
Das Gemeinsame Kompetenz- und Dienstleistungszentrum (GKDZ) soll eine Anstalt öffentlichen Rechts werden, in der die Telekommunikationsüberwachung der fünf beteiligten Bundesländer zentralisiert wird.
Eigene Technik müsse in den Ländern deshalb nicht mehr vorgehalten werden. Entscheidungen und Anordnungskompetenzen zur Telekommunikationsüberwachung verblieben weiterhin in der Hoheit des jeweiligen Landes, betont das Sächsische Innenministerium. Vollzugspolizeiliche Befugnisse würden der Anstalt nicht übertragen. Die Daten würden für jedes Bundesland zudem getrennt verarbeitet und gespeichert, betont das Innenministerium. Dies sei eine wesentliche Forderung der Landesdatenschutzbeauftragten gewesen, welche von Beginn an bei dem Kooperationsvorhaben mitgewirkt hätten.
Innenminister Markus Ulbig betonte am Dienstag die Notwendigkeit der Kooperation zwischen den Ländern: „Die Technologien im Bereich der Kommunikation entwickeln sich rasant. Um mit diesem Tempo auch im Zuge von Ermittlungen bei schweren Straftaten wie beispielsweise Terrorverdacht, Mord, Vergewaltigung, Kinder- und Jugendpornografie oder Einbruchserien Schritt halten zu können, ist es sinnvoll und wirtschaftlich, Synergien zu nutzen. Nur so können wir unsere Bürger künftig effektiv schützen.“
15,8 Millionen Euro für die neue Anstalt
Der Aufbau des gemeinsamen Zentrums soll noch 2017 beginnen. Zunächst muss der Staatsvertrag von allen fünf Partnerländern noch ratifiziert werden. Geplant sind dann in den kommenden fünf Jahren Investitionen von rund 15,8 Millionen Euro, davon entfallen knapp 4,8 Millionen Euro auf Sachsen. Einer Wirtschaftlichkeitsstudie zufolge werden durch den Länderzusammenschluss in diesem Zeitraum Einsparungen in Höhe von insgesamt fast 11 Millionen Euro erzielt (für Sachsen etwa 2,9 Millionen Euro).
Klingt doch wieder nach einem schönen effizienten Polizeiinstrument.
Aber das nimmt Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, dem begeisterten Innenminister nicht ab.
„Das ist der Auftakt zur umfassenden Überwachung der Telekommunikation sächsischer Bürgerinnen und Bürger. Mit dem Überwachungszentrum schafft Innenminister Markus Ulbig die technischen Voraussetzungen für die geplante Verschärfung des Polizeirechts. Der Ausblick des Ministers, man werde ‚potentiellen Straftätern und Gefährdern die Stirn bieten‘ zeigt deutlich, dass es nicht mehr nur um die Bündelung von Ressourcen geht. Mit dem Zentrum werden nicht nur die Datentöpfe der Polizeien der fünf Länder konzentriert. Es soll auch als zentrale (Krypto-)Forschungsstelle der Länder – quasi als Denkfabrik – dienen und für künftige Technologien offen sein. Das Überwachungszentrum dient als technologische Grundlage für weitere Datensammlung und -auswertung. Die Ausweitung der polizeilichen Befugnisse zur präventiven Telekommunikationsüberwachung, polizeiliche Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchung und Nutzung stiller SMS, die damit möglich wird, lehnen wir Grünen ab“, sagt er.
Alle Kritik am Vorgehen der NSA hat nichts genutzt. Im Gegenteil: Die deutschen Landesregierungen waren dadurch erst recht angespornt, sich die modernsten Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung ins Haus zu holen. Und damit auch technische Zugriffsmöglichkeiten zu besorgen, die weit über normale Polizeiarbeit hinausgehen.
Wer darf über die gesammelten Daten verfügen?
„Im Staatsvertrag fehlen zudem offenbar – er ist uns nicht bekannt – wesentliche Regelungen. So dürfen Daten durch die zu errichtende Anstalt recht pauschal an Dritte übermittelt werden. Es fehlt zudem jede parlamentarische Kontrolle“, stellt Lippmann fest. „Es ist weiterhin fraglich, ob die Trennung der Daten der einzelnen Länder ausreichend gesichert ist. Ebenso werden wesentliche Bestandteile zur Regelung in ein Verwaltungsabkommen, die Benutzer- und Geschäftsordnung bzw. Satzung der Anstalt delegiert. Das ist nicht zulässig, da erhebliche Grundrechtseingriffe per Gesetz zu regeln sind.“
So sieht es auch Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion.
„Es bleibt zu prüfen, inwieweit die grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken tatsächlich berücksichtigt wurden. Auch wenn das Bedürfnis der Sicherheitsbehörden vor dem Hintergrund vor allem terroristischer Bedrohungslagen und organisierter Schwerstkriminalität durchaus verständlich ist: Wer die Freiheit aushöhlt, hat am Ende nichts mehr zu verteidigen“, benennt er das Problem an der Denkweise, die seit dem September 2001 bei deutschen Innenministern im Schwang ist. Statt den Polizeidienst zu stärken, setzen sie auf forcierte technische Überwachung und groß angelegte Datensammelei.
Enrico Stange: „Deshalb müssen neben der stärkeren Konkretheit der Aufgabenbestimmung und -zuweisung vor allem die Zuständigkeiten und Datenzugriffsberechtigungen geklärt und jeweils auf die Polizeidienststellen der jeweiligen Trägerländer beschränkt werden. Äußerst bedenklich ist, dass offenbar nun doch alle Bereiche der Telekommunikationsüberwachung an das GKDZ übertragen werden. Entgegen den Darstellungen des Landespolizeipräsidenten Georgie im Rahmen einer Veranstaltung am 14. April 2015 in Dresden sollen wohl nun auch die Durchführung von Funkzellenabfragen und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung in die Kompetenz dieses Dienstleistungszentrums fallen. Der sächsische Innenminister hat heute erklärt, es müsste keine weitere Technik mehr in den Ländern vorgehalten werden.“
Landtag bis heute nicht einbezogen
Was für Valentin Lippmann mittlerweile ein sehr beklemmendes Bild ergibt.
Und zwar schon im Vorfeld, denn die Landesregierung hat sich nicht einen Moment lang bemüht, den Landtag in die Entscheidung einzubeziehen.
„Dieses Überwachungszentrum ist der Inbegriff für Intransparenz und Heimlichkeit. Wir haben den Staatsvertrag und die zugrundeliegenden wirtschaftlichen und rechtlichen Erwägungen bis zum heutigen Tag nicht zu Gesicht bekommen“, sagt Lippmann. „Wir kennen weder das Datenschutzkonzept noch die Verträge für die Auftragsdatenverarbeitung, obwohl wir mehrfach danach gefragt haben. Die letzte Kleine Anfrage stammt von vergangener Woche. Dass die Staatsregierung gerade bei einem so sensiblen Thema wie der Telekommunikationsüberwachung mauert, ist mehr als bezeichnend. Offenbar gilt, dass der Zweck die Mittel heiligt.“
Er fordert den Innenminister auf, den am Dienstag von ihm unterzeichneten Staatsvertrag mit allen wichtigen und schon lange geforderten Informationen unverzüglich dem Landtag zuzuleiten. „Die Intransparenz des Verfahrens muss endlich beendet werden. Zudem fordere ich den Innenminister auf, von der geplanten Ausweitung der Polizeibefugnisse Abstand zu nehmen. Sie öffnet der heimlichen Überwachung Tür und Tor.“
Und auch Stange hat noch einige offene Fragen. Hier sind sie:
- Wie will der Sächsische Innenminister die TKÜ in das Sächsische Polizeigesetz hinsichtlich der nicht anlassbezogenen Gefahrenabwehr einbeziehen, und wie werden die richterlichen oder parlamentarischen Kontrollinstanzen dabei gestaltet?
- Inwieweit bleibt bei der länderübergreifenden Anstalt öffentlichen Rechts das parlamentarische Berichts- und Kontrollrecht nach § 42 Abs. 9 gewahrt?
- Wie wird die räumliche und physische Trennung der Datenspeichermedien so gesichert, dass neben der getrennten Erfassung und Verarbeitung der länderspezifisch hoheitlich beauftragten Überwachungsmaßnahmen auch die getrennte Verarbeitung und datenschutzrechtliche Kontrolle gesichert wird?
- Und schließlich muss sich der Innenminister auch fragen lassen, inwieweit bei dieser länderübergreifenden Anstalt öffentlichen Rechts die Rechte der durch die Länder abgeordneten Beamtinnen und Beamten sowie der durch das GKDZ selbst eingestellten Tarifbeschäftigten gesichert bleiben und ob für die Gesamtfinanzierung des GKDZ eine finanzielle Obergrenze oder ggf. eine Nachschusspflicht der Länder besteht.
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