Regieren ist eigentlich eine rationale Angelegenheit. Aber 2009 erlebten die Sachsen, wie Irrationalität unterm Deckmäntelchen betriebswirtschaftlichen Effizienzdenkens in die sächsische Regierungspolitik einzog. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verkündete ein radikales Personalabbauprogramm. Und acht Jahre später sind die fatalen Folgen in allen Landesbereichen sichtbar. Kommissionen sollen es reparieren.
In fast jedem Bereich ist eine Kommission ins Leben gerufen worden, die nun irgendwie ermitteln soll, welche Art Personal in welcher Größenordnung nun überall fehlt – bei der Polizei, in den Schulen, im Justizvollzug.
Für Letzteres hat Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) extra eine Stabsstelle gegründet, was im Januar ganz offiziell verkündet wurde. Was schon verblüffte, denn eigentlich sollte im Justizministerium doch genug Kompetenz versammelt sein, um den Personalbedarf – auch vor dem Hintergrund zunehmender terroristischer Aktivitäten – ermitteln zu können. Denn den letzten Auslöser zur Gründung der Stabsstelle hatte ja der Fall Al Bakr gegebenen, dessen Hauptprotagonist sich in der JVA Leipzig das Leben nahm, was augenscheinlich mit einer fehlenden notwendigen Ausstattung mit psychologischem Fachpersonal zu tun hatte. Man hat ja nicht nur Vollzugsbeamte eingespart, sondern auch psychologische Betreuer. Alles immer unter der Maßgabe, dass weniger Personal ja die Gefangenenbetreuung genauso effizient zustande brächte wie das augenscheinlich „aufgeblähte“ Personal der Vergangenheit.
Aber seitdem mehren sich die Negativnachrichten aus den sächsischen JVAs, gibt es immer öfter Meldungen über überfordertes Personal, Überreaktion und fehlende Ausstattungen. Irrationale politische Entscheidungen haben ihren Preis. Erst recht, wenn die Verantwortlichen nicht einmal bereit sind, die Folgen ihres Tuns zu evaluieren.
Die riesige Personalkürzungsrunde, die 2009 begann, wurde genauso wenig evaluiert wie zuvor die 2008 durchgezogene Funktionalreform.
Und augenscheinlich ging bei all den Kürzungsrunden auch die Kompetenz in den Ministerien verloren, einen realistischen Personalbedarf in allen Behörden und Einrichtungen abzuschätzen und zu organisieren.
Irgendwie haben sich alle stets auf einen über den Dingen schwebenden Finanzminister verlassen, der mit eigentümlichen Ländervergleichszahlen operierte, nach denen Sachsen gegenüber idealisierten westlichen Bundesländern einen viel zu hohen Personalbesatz habe.
Die diversen dramatischen Vorfälle in sächsischen JVAs aber zeigen: Diese Vergleiche sind selbst höchstministerielle Irrationalität.
Die Landtagsabgeordnete der Grünen, Katja Meier, wollte nun zumindest erfahren, wie die von Justizminister Sebastian Gemkow einberufene Stabsstelle zusammengesetzt ist.
„Die neue Stabsstelle Justizvollzug entpuppt sich als Luftnummer“, stellt nun die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion nach der Antwort von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf ihre Kleine Anfrage zur neu eingerichteten Stabsstelle fest. „Dass nicht ein einziges Mitglied der Stabsstelle Erfahrungen im Bereich des Justizvollzugs hat, lässt mich an einer Verbesserung der Situation im sächsischen Strafvollzug erheblich zweifeln. Das Vorgehen zeigt die Kopflosigkeit der Staatsregierung. Wenn die Stabsstelle den strukturellen Problemen im Strafvollzug auf den Grund gehen und ‚konzeptionell prüfen soll, wie die Empfehlungen der Expertenkommission umgesetzt werden können‘, sind gewisse Grundkenntnisse unverzichtbare Voraussetzung, die allein mit einer Hospitation nicht erlangt werden können.“
Aber aus dem Strafvollzug selbst wollte Gemkow keine höheren Beamten abziehen, mit der durchaus verständlichen Begründung, dass er den Justizvollzug nicht noch weiter schwächen wollte. Das sagte er sogar sehr deutlich: „Es wurde bewusst davon abgesehen, Mitarbeiter aus dem Strafvollzug einzusetzen, um durch die Einrichtung der Stabsstelle den Justizvollzug personell nicht zu schwächen.“
Was im Grunde eine Menge darüber sagt, wie dünn die Reserven im Justizvollzug längst sind. Auch wenn man annimmt, dass die Stabsstelle tatsächlich – wie Gemkow erklärt – bis zu zwei Jahre arbeiten soll, bedeutet das nun einmal, dass die Personalkürzungen auch im Justizvollzug völlig überzogen wurden. Ein im Grunde erschreckendes Ergebnis, wenn man bedenkt, mit welcher Unbekümmertheit Tillich 2009 die Streichung von 15.000 Stellen im sächsischen Staatsdienst verkündete. Und davon auch nie abrückte, bis dann die SPD als neuer Koalitionspartner mit sehr viel Mühe überhaupt erst einmal einen Stopp dieser Kürzungsorgie bewirkte. Bis die Schäden dieser Radikalrasur beseitigt sind und überhaupt wieder genug Personal im sächsischen Staatsdienst ist, werden Jahre vergehen. Bei der Polizei ist wenigstens schon einmal das Jahr benennbar: 2023.
Anders wird es im Justizvollzug auch nicht sein. Und dabei hat die Stabsstelle ihre Arbeit gerade erst aufgenommen.
„So wichtig der Blick von außen zur Vermeidung von Betriebsblindheit zwar ist, so wichtig sind auch Detailkenntnisse bei zumindest einem Teil der Stabsstelle. Wie stark kann das Vertrauen in die Ergebnisse der Stabsstelle unter den JVA-Bediensteten sein, wenn es augenscheinlich an Kenntnissen über alltägliche Abläufe im Strafvollzug mangelt?“, fragt die Abgeordnete in Richtung Justizministerium. „Es ist schlicht entlarvend, wenn der Justizminister zugeben muss, dass man schon allein ‚um den Justizvollzug nicht noch weiter zu schwächen‘ auf Stabsstellenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit Praxiserfahrung verzichtet.“
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