Nichts, aber auch gar nichts schreckt den sächsischen Innenminister aus seinem Trott. Da geht die versuchte Festnahme eines mutmaßlichen Terroristen in Chemnitz gründlich schief. Doch nur wenige Tage später wird der verantwortliche Einsatzleiter sogar zum Dresdner Kripo-Chef befördert. Nicht für die vermasselte Verhaftung. Aber der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion findet es trotzdem seltsam.
Das hat Valentin Lippmann, der bei den Grünen für die Innenpolitik zuständig ist, im Januar schon betont. Aber er hat lieber noch einmal nachgefragt. Denn wenn man wissen will, wie die Staatsregierung tickt, muss man nachfragen.
Der neue Chef der Dresdner Kriminalpolizei, Volker Lange, der auch Polizeiführer der missglückten Festnahme Al-Bakrs war, wurde nur drei Tage nach dem Einsatz in Chemnitz zum Leitenden Polizeidirektor befördert. Die Entscheidung traf das Kabinett auf Vorschlag von Innenminister Markus Ulbig.
Im Januar kritisierte Lippmann: „Diese Personalentscheidung lässt jegliches Maß an politischer Sensibilität von Seiten des Innenministeriums vermissen. Sie konterkariert die Arbeit der Untersuchungskommission. Deren Bericht, der ein Versagenszeugnis für Teile der Polizei ist, hätte abgewartet werden müssen. Es zeigt einmal mehr, dass Innenminister Markus Ulbig nicht willens und in der Lage ist, innerhalb der Polizei die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.“
Jetzt hat er Antwort vom Innenminister bekommen. Und die bestätigt im Grunde, was Lippmann vermutete: Das Innenministerium hat einfach unbeirrt weitergemacht, als hätte es den Fall Al Bakr nicht gegeben. Die Verwaltungsabläufe werden von der Realität nicht mal mehr berührt. Erst im Januar merkte Ulbig dann doch, dass eine Überprüfung der Stellenbesetzung angezeigt gewesen wäre.
Aber wie kam es überhaupt dazu?
„Der Innenminister hätte diese Personalentscheidung nach der Pannenserie von Chemnitz stoppen müssen“, sagt Lippmann. „Anders als die Kabinettsmitglieder wusste Ulbig, wen er dem Kabinett am Dienstag nach dem Einsatz mit Flucht eines Terrorverdächtigen zur Beförderung vorschlug. Anstatt die Entscheidung zu verschieben, hat er das gesamte Kabinett ins Messer laufen und den Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich die Ernennungsurkunde unterzeichnen lassen.“
Die Stelle des Leiters der Kriminalinspektion Dresden war schon im Februar polzeiintern ausgeschrieben worden. Volker Lange hatte sich einfach auf die Stelle beworben. Seine Qualifikationen passten.
Dass er als Kandidat für den Posten infrage kam, war im September schon klar. Am 21. September schlug Innenminister Ulbig vor, den Kriminaldirektor auf den Dresdner Posten zu berufen. Am 11. Oktober 2016 stimmte dann das Regierungskabinett dem Vorschlag zu. Obwohl man eigentlich in heller Aufregung war und diese Aufregung mit Volker Lange zu tun hatte, der zwei Tage zuvor, am 9. Oktober, in Chemnitz Leiter jenes Einsatzes war, bei dem der mutmaßliche Terrorist Jaber Al-Bakr verhaftet werden sollte und bei dem es Al-Bakr gelang, den Polizisten vor der Nase zu entwischen.
Obwohl das Wort „mutmaßlich“ auch nicht ganz den Sachverhalt trifft. Es gab belastbare Hinweise darauf, dass der Syrer möglicherweise einen Anschlag in Deutschland plante. Aber dazu kam er ja nicht. Nach seiner Flucht aus Chemnitz tauchte er in Leipzig auf, wurde von zwei Landsleuten dingfest gemacht und wurde am 10. Oktober verhaftet. Am 12. Oktober gab es dann die nächste Panne: Sein Selbstmord in der JVA Leipzig wurde gemeldet.
Nicht nur die sächsische Polizei, auch die sächsische Justiz ist desolat heruntergespart. Was eine Menge mit der Sturheit zu tun hat, mit der auch der Innenminister so tut, als würde in seinem Laden alles in Ordnung sein und Beförderungen einfach nach Lehrbuch erfolgen. Vielleicht war er am 11. Oktober auch nur erleichtert, dass die Chemnitzer Schlappe durch das beherzte Eingreifen zweier Syrer in Leipzig doch noch einmal ausgebügelt wurde. Vielleicht glaubte er auch, dass niemand merkt, wen er da befördert und für zwei Jahre auf Probe zum Leitenden Kriminaldirektor gemacht hat.
„Auch die Entscheidung über die Besetzung der Stelle des Kripochefs in Dresden mit Lange, hätte aufgeschoben oder für eine andere Person getroffen werden können“, sagt Valentin Lippmann zu der Personalie. „Aber auch am 10. November 2016, als diese Entscheidung zu treffen war, hielt Ulbig noch immer an Lange fest.“
Denn die letztgültige Erinnerung ist am 10. November erfolgt, wie Ulbig mitteilte: „Der Einsatzführer wurde am 10. November 2016 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Leitenden Polizeidirektor ernannt und befristet für die Dauer der Probezeit von zwei Jahren zum Leiter der Kriminalpolizeiinspektion bei der Polizeidirektion Dresden bestellt.“
Das erzählt zumindest von einem Minister, der seine Entscheidungen nicht so gern korrigiert, selbst dann nicht, wenn es im Interesse der Betroffenen angeraten wäre.
„Für mich zeigt dieser Fall wieder einmal deutlich, dass Ulbig keinerlei Fehlerbewusstsein hat“, sagt Lippmann. „Den Beteuerungen Ulbigs, den Einsatz bereits parallel zu den Ermittlungen der Expertenkommission umfassend aufgearbeitet zu haben, kann ich nach dieser Personalie keinen Glauben schenken.“
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