Arbeitsverweigerung wirft Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Landtag, dem Sächsischen Verfassungsschutz vor, wenn es um die Aktivitäten sogenannter Reichsbürger in Sachsen geht. Mittlerweile haben genug Vorfälle bundesweit für Aufsehen und Opfer gesorgt. Und eine Ausrede, diese Leute nicht zu beobachten, hat der Verfassungsschutz erst recht nicht.

Denn diese Leute anerkennen weder die Institutionen der Republik noch die Verfassung. Sie propagieren die Weiterexistenz eines deutschen Reiches und sind damit voll anschlussfähig zur äußersten Rechten. Andere Verfassungsschutzämter haben diese Leute schon längst auf der Beobachtungsliste. Aber Sachsens eh schon gebeutelter Verfassungsschutz tut sich schwer, wie Kerstin Köditz nun aus einer neuen Anfrage an die Staatsregierung erfuhr.

Denn danach hat das Sächsische Innenministerium keinen aktuellen Überblick zu Aktivitäten sogenannter Reichsbürger in Sachsen.

Anfang Februar hatte Innenminister Ulbig auf ihre Anfrage hin überhaupt das erste Mal öffentlich über Reichsbürger-Aktivitäten im Freistaat berichtet.

„Nun wollte ich es gern genauer wissen. Doch zu der neuerlichen Frage nach Verbindungen sächsischer Reichsbürger zu Strukturen der extremen Rechten musste Ulbig passen, er verweist lediglich auf eine alte Anfrage (Drucksache 6/7054). Darin thematisiert wurde die extrem rechte Mini-Gruppierung ‚Weißer Rabe‘, eine ziemlich bedeutungslose Abspaltung von ‚Legida‘. Worin hier der Reichsbürger-Bezug bestehen soll, wird nicht klar“, kommentiert Köditz.

Dabei hatte schon die Innenminister-Antwort vom Februar deutlich gemacht, dass es „Reichsbürger“ auch in Sachsen nicht allzu genau nehmen mit dem Achten von Gesetzen. Und ziemlich regelmäßig tauchen sie auf rechtspopulistischen, aber auch rechtsradikalen Demonstrationen auf. Im Februar wurden sie in Dresden gesichtet, wie Markus Ulbig mitteilt: „Am 11. Februar 2017 fand in Dresden eine rechtsextremistische Demonstration unter dem Motto ‚Dresden gedenken‘ statt, an der sich ca. 150 Personen beteiligten. Unter den Teilnehmern befanden sich nach derzeitigen Erkenntnissen auch einzelne Anhänger der Reichsbürgerszene, die jedoch nicht aus Sachsen kamen.“

Aber systematisch scheint die Überwachung dieser Szene nicht zu sein. Für den Beginn des Jahres 2017 liege, so Ulbig, erst einmal keine Nachricht zu neuen Auffälligkeiten vor: „Ausweislich des beim Landeskriminalamt geführten Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) sind mit Stand vom 13. März 2017 in Zusammenhang mit den o. g. Aktivitäten bislang keine Straftaten im Themenfeld ‚Reichsbürger/Selbstverwalter‘ erfasst.“

Kerstin Köditz dazu: „Wenn das alles ist, was der inzwischen zuständige sächsische ‚Verfassungsschutz‘ rausbekommen hat, liegt Arbeitsverweigerung vor.“

Sie sieht auch eine Ursache für diesen Scheuklappenblick. Köditz: „Dass Ulbig dermaßen auf dem Schlauch steht, hat einen Grund: Reichsbürger werden amtlicherseits nicht dem ‚Rechtsextremismus‘ zugeordnet. Das ist eher überraschend, denn die Berufung auf irgendein ‚Reich‘ wurzelt tief in der extremen Rechten. Bis das zur Staatsregierung durchgedrungen ist, kann es noch sehr lange dauern.“

Aber es passt zur sächsischen Politik, die Entwicklungen im rechtsradikalen Milieu über Jahre immer wieder zu ignorieren, auszublenden und zu verharmlosen, frei nach dem Moto: Was man nicht sieht, das gibt es offiziell auch nicht. Bis es dann in echte Gewalt und aufsehenerregende Straftaten umschlägt. Dann wird die Schafsmiene aufgesetzt und so getan, als hätte man „so etwas“ den braven Sachsen niemals zugetraut.

Die „Reichsbürger“-Bewegung ist aber nichts anderes als eine der vielen Chamäleonaden der rechtsradikalen Szene, die auch nicht erst seit 2015 oder 2016 versucht, sich in einem scheinbar harmlosen Mäntelchen als brave Bürgerbewegung auszugeben und sich der Beobachtung der Verfassungsschützer zu entziehen. Eine Art Tarnung, die in Sachsen scheinbar funktioniert. Entweder merken die amtlichen Beobachter tatsächlich nicht, was da vor sich geht. Oder sie dürfen es nicht merken. Dann landet der Vorwurf von Kerstin Köditz wieder beim Innenminister.

Zumindest hat er das Thema im Allgemeinen auf dem Schirm, zeigt aber nicht allzu viel Antrieb, die Sache kurzfristig anzupacken.

„Nunmehr kündigte Ulbig zwar ein neues landesweites Lagebild an, das beim OAZ erstellt werden soll. Aber vorliegen wird es erst ‚im Frühjahr 2018‘“, stellt die linke Landtagsabgeordnete mit gelindem Entsetzen fest. „Bei so viel Arbeitseifer sind wirksame Maßnahmen gegen die Reichsbürger, die in jüngster Vergangenheit bundesweit in kurzer Folge auch mit schweren Gewaltstraftaten von sich reden machten, natürlich nicht zu erwarten.“

Anfrage von Kerstin Köditz (Die Linke) „Aktivitäten von ‚Reichsbürgern‘ in Sachsen im Januar und Februar 2017“. Drs. 8711

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