Da wird die Linksfraktion im Sächsischen Landtag etwas zum Grübeln haben, denn wenn es nach Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) geht, haben Sachsens Kommunen keine Investitionsprobleme. In seiner Stellungnahme hat er den Linke-Antrag zur „Milderung der Investitionsschwäche der sächsischen Kommunen“ eigentlich abgelehnt. Es gäbe da kein Problem.
Nur auf das Eigentliche geht er in seiner Stellungnahme nicht ein und macht damit deutlich, wie sehr die sächsische Regierung das Thema abstrahiert hat und in eine theoretische Blase verwandelt, in der man sich nicht mal mehr mit den realen Bedarfen beschäftigen will.
Denn die Linke hatte im Grunde eine Komplettübersicht gefordert zum Stand der sächsischen Investitionen: Wo stehen die Kommunen eigentlich 27 Jahre nach der Deutschen Einheit – wie groß ist ihr tatsächlicher Investitionsstau, ihr akuter Investitionsbedarf und damit die echte Messgröße für das, was sie an Geld brauchen, um das Notwendige auch bauen zu können?
Diese Zahlen wurde die Staatsregierung mit dem Antrag eigentlich aufgefordert zu erheben und die „Grundlagen für eine Ausbau- und Erhaltungsstrategie für die kommunale Infrastruktur im Freistaat Sachsen zu schaffen, die
1. den nachhaltigen Bedarf der Strukturen,
2. den notwendigen Finanzbedarf (einschließlich des eingetretenen Investitionsrückstandes) sowie
3. deren dauerhafte Finanzierung nachvollziehbar abbildet“ und dann auch mit Summen im Staatshaushalt verankert.
Wer diese Zahlen nicht hat, kann eigentlich nichts darüber sagen, wie hoch der Investitionsbedarf der Kommunen tatsächlich ist.
Und was hat Innenminister Markus Ulbig (CDU) darauf erwidert?
Eigentlich interessiert es ihn nicht. Wer wissen will, wie Politik in der Informationsblase funktioniert, bekommt es von Ulbig praktisch ins Gesicht gesagt: Den auch für kommunale Investitionen zuständigen Minister interessieren nur der aktuelle „Antrags- und Bewilligungsstand, die Mittelbelegung und den Mittelabfluss aller Förderrichtlinien im Freistaat Sachsen“.
Und auf Grundlage dieser Zahlen behauptet der Minister allen Ernstes: „Der Gesetzgeber ist also schon jetzt in der Lage, mit diesen Analysedaten die sachlich erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.“ Obwohl er ganz genau weiß, dass Kommunen nur die Vorhaben zur Förderung anmelden, für die sie auch die nötige Gegenfinanzierung auf die Beine bekommen.
Beispiel Leipzig: In den vergangenen Jahren hat Leipzig jährliche Bauinvestitionen von 150 Millionen Euro gestemmt und dazu auch die nötigen Förderanträge beim Freistaat eingereicht und zumeist auch bewilligt bekommen. Beantragt wurde nur, wofür auch die nötigen Eigenmittel zur Verfügung standen.
In Vorbereitung des Doppelhaushalts 2017/2018 hat Oberbürgermeister Burkhard Jung deutlich gesagt, dass das zu wenig war. Deutlich zu wenig. 150 Millionen Euro sind für eine Stadt wie Leipzig völlig unzureichend. Mit allen verfügbaren Ressourcen wurden die Investitionen nun für 2017 auf 230 Millionen und 2018 auf 269 Millionen Euro angehoben – darunter Fördermittel von 104 und 129 Millionen Euro. Leipzig hat also jahrelang viel zu geringe Förderanträge gestellt. Woher will der zuständige Minister also den tatsächlichen Investitionsbedarf kennen?
In den Förderanträgen steht er nicht.
Steht er übrigens auch in den Planungen für 2017/2018 noch nicht. Allein beim Schulhausbau wird es in Leipzig zusätzliche Investitionen brauchen, die noch nicht im Haushalt verankert sind, um überhaupt den Bedarf zu decken. Das Straßen- und Brückenbauprogramm wurde weit über das Jahr 2020 gestreckt. Der reale Investitionsbedarf für eine Stadt wie Leipzig dürfte mindestens bei 300 Millionen Euro im Jahr liegen. Dresden zum Beispiel operiert in der Dimension von 400 Millionen Euro.
Dass er als Minister über den tatsächlichen Bedarf eigentlich keine Informationen hat, gibt Markus Ulbig indirekt zu, wenn er sagt: „Im Übrigen ist der Infrastrukturbedarf auch und vor allem an den finanziellen Möglichkeiten der Kommunen auszurichten. Jede Zuweisung von investiven Mitteln an der einen Stelle verursacht Opportunitätskosten in einem anderen Bereich öffentlicher Aufgaben – unabhängig davon, ob es sich um kommunale Aufgaben oder Landesaufgaben handelt. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung hat dann die Kommune selbst darüber zu entscheiden, mit welcher Priorisierung sie den vorhandenen Bedarfen Rechnung trägt. Diese Entscheidung darf das Land nicht präjudizieren.“
Das nennt man dann wohl kommunale Entscheidungsfreiheit in Sachsen. Dass es vor allem die von Bund und Land den Kommunen aufgedrückten Sozialkosten sind, die die Investitionsspielräume auffressen, haben wir ja gerade berichtet. Für Investitionen verplant werden dann nur noch jene Gelder, die übrig bleiben, wenn alles andere bezahlt ist. Und Sozialausgaben sind in der Regel Pflichtaufgaben: Die Gemeinden müssen sie absichern, egal, ob das nun eine Straße, eine Schule oder ein Museum kostet.
Und dann setzt Ulbig noch einen drauf
Nachdem er den Wunsch der Linksfraktion nach belastbaren Zahlen einfach ignoriert hat, führt er aus: „Schließlich ist der in den vergangenen Jahren zu verzeichnende Rückgang bei den Investitionen für sich genommen noch kein Indiz dafür, dass den Kommunen die finanziellen Mittel für Investitionen fehlen. So stellt auch der Sächsische Rechnungshof in seinem aktuellen Jahresbericht fest, dass die Einführung der doppischen Rechnungslegung zu einer deutlich strengeren Auslegung des Investitionsbegriffs geführt hat und so zahlreiche Instandhaltungsmaßnahmen, die kameral als Investitionen galten, nun dem laufenden Sachaufwand zuzurechnen sind. Der Anstieg der Ausgaben für die Unterhaltung des sonstigen unbeweglichen Vermögens korreliert mit Verschiebungen zwischen Investition und Unterhaltungsaufwand.“
Womit er dann die Äpfel mit den Birnen zusammenschmeißt, aber eigentlich den nächsten blinden Fleck in Regierungswahrnehmung deutlich macht. Denn natürlich müssen Kommunen nach dem (Neu-)Bau ihrer Infrastrukturen dafür sorgen, dass sie instand gehalten werden. Es war schon peinlich genug, dass sie diese folgerichtigen Reparatur- und Instandhaltungskosten zuvor noch in die Investitionen hineinrechnen mussten. Mit der doppelten Haushaltführung (Doppik) werden sie noch viel stärker zum Bestandserhalt gezwungen und müssen die Werterhaltungskosten entsprechend prioritär ausweisen.
Was aber nichts an den verfügbaren Geldern ändert, sonder nur dafür sorgt, dass die Instandhaltungskosten quasi aus den Investitionskosten herausgerechnet werden.
Eine belastbare Zahl zum Investitionsbedarf hat die Staatsregierung immer noch nicht. Nur das Testat des Rechnungshofes, dass die Kommunen mit ihren kärglichen Geldern tatsächlich sparsam umgehen.
Und dann?
Welche Investitionsbedarfe haben sie wirklich?
Das, so bestätigt Ulbig eigentlich mit seiner Antwort, weiß in der sächsischen Regierung niemand. Man will lieber ahnungslos bleiben.
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