Es erstaunt schon ein wenig, dass auch die sächsische AfD beim Thema Schusswaffen hellhörig geworden ist. Bisher zeigte sich ja die blaue Truppe eher besorgt darum, dass Sportschützen und Jäger nun waffenlos in die Wälder pirschen müssten.

„Aus Sicht mancher linkspopulistischer Journalisten stehen Inhaber einer Waffenbesitzkarte wahrscheinlich sowieso am rechten Rand. Fest steht, dass in Sachsen durch Zulassungsbehörden 25 angebliche Rechtsextremisten auf Zuverlässigkeit überprüft wurden. In nur drei Fällen davon wurde die Erlaubnis widerrufen“, trötete Detlev Spangenberg, selbst engagierter Sportschütze und Mitglied der AfD-Fraktion, im März 2016.

Im August warb er dann gar für das, was die Waffenlobby so gern „Liberalisierung des Waffenrechts“ nennt: „Das Recht auf Waffenbesitz war im frühen Mittelalter dem herrschenden Adel vorbehalten. Mit Schützengilden und Bürgerwehren erkämpften sich die Stadtbürger seit dem 12. Jahrhundert dieses freiheitliche Recht. Eine Klasse freier arbeitender Menschen entstand und errang im Kampf gegen die feudalen Kräfte Rechte wie Selbstverwaltung – einhergehend auch mit Waffenbesitz.“

Na ja, von Geschichte hat er nicht viel Ahnung. Die „Klasse freier arbeitender Menschen“ hat auch Karl Marx am Ende vergeblich gesucht. Und warum Stadtbürger seinerzeit bewaffnet wurden und zum Wachdienst auf den Stadtmauern antreten mussten, hat er wohl auch nicht so recht begriffen. Aber vielleicht hat er ja an die Schweiz gedacht, das große Vorbild der AfD, wenn es um die Selbstbewaffnung der Bürger geht.

Vielleicht hat sein Fraktionskollege Carsten Hütter dann auch nicht aus Besorgnis seine Anfrage an die Landesregierung gestellt, wie viele Straftaten es 2016 mit Schusswaffen gab. Vielleicht wollte er eher ein paar Zahlen haben, die belegen, dass mehr Schusswaffen doch nicht mehr Gefahr für Leib und Leben der sächsischen Bürger bedeuten.

Ob das die Zahlen besagen, die in der Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu finden sind, ist völlig offen. Es fehlen die Vergleichszahlen.

Aber in mehreren hundert von der Polizei registrierten Fällen spielten im Jahr 2015 (noch vor der großen Aufrüstung in sächsischen Haushalten) Schusswaffen eine Rolle.

Markus Ulbig: „Im Jahr 2015 wandten die Täter in 423 Fällen Schusswaffen an. Dabei wurde 190 Mal mit einer Waffe gedroht und 233 Mal geschossen.“

Die Waffen kamen bei Raubüberfällen zum Einsatz, bei Kidnapping und Totschlag, Erpressung, sogar bei Widerstand gegen die Staatsgewalt wurde mehrmals geschossen.

Aber Carsten Hütter hatte mit seiner letzten Frage schon angedeutet, dass ihm die Verharmlosung von Schusswaffen doch sehr naheliegt. Denn die Zahl von 402 Straftaten schrumpft natürlich zusammen, wenn man sie ins Verhältnis zur Gesamtzahl aller Straftaten setzt. Hütter: „Bei wie vielen dieser Straftaten, in absoluten Zahlen und im Verhältnis zur Gesamtzahl an Straftaten unter Gebrauch bzw. Mitführung von Schusswaffen, wurden Schusswaffen verwendet oder mitgeführt, die sich in legalem Besitz befanden und bei wie vielen wurden illegal erlangte Schusswaffen verwendet bzw. mitgeführt?“

Eine Frage, die selbst Markus Ulbig aufgrund des dazu nötigen Rechercheaufwands lieber ablehnte. Immerhin steckt die Krux hier auch noch in der Unterscheidung von legal und illegal erlangten Schusswaffen. Laufen alle Ganoven mit illegal besorgten Schießeisen herum? Oder werden scheinbar brave Bürger mit legalem Waffenbesitz auch mal Täter?

Wobei illegal beschaffte Waffen immer erst aktenkundig werden, wenn eine Straftat die Polizei auf den Plan gerufen hat.

Aber da es einen blühenden Schwarzmarkt zu geben scheint, ist völlig unklar, wie viele illegale Waffen in Sachsen existieren.

„Wie viele Schusswaffen sind nach Schätzung der Staatsregierung derzeit in Sachsen illegal in Umlauf?“, hatte Hütter gefragt.

Und Ulbig antwortete logischerweise: „Die Frage nach einer Schätzung durch die Staatsregierung ist auf eine Bewertung gerichtet. Von der Abgabe einer Bewertung wird abgesehen.“

Vermutungen gibt es ganz bestimmt im OAZ, wo man sich um die Rechtsextremisten in Sachsen kümmert, jede Menge.

„Zeit Online“ berichtete über das Problem 2014 einmal und schrieb dazu: „Trotzdem behauptet die Schützenlobby, dass nur von illegalen Waffen eine große Gefahr ausgehe, und verweist auf Raubmörder, kriminelle Banden und Terroristen. Doch legale Waffen sind nicht harmloser: Nach Recherchen der ZEIT wurden allein im vergangenen Jahr mindestens 27 Menschen in Deutschland mit registrierten Schusswaffen getötet – bei insgesamt 54 bekannt gewordenen Todesfällen durch Schusswaffen. Dazu kommen mutmaßlich mehrere hundert Selbstmorde.“

27 Getötete durch registrierte Schusswaffen bei insgesamt 54 durch Schusswaffen Getötete – das sind 50 Prozent. Genau die Hälfte.

Wenn man annimmt, dass der Proporz bei Tötungen und Besitz ganz ähnlich ist, dann kann man davon ausgehen, dass in Sachsen wohl über 100.000 illegale Schusswaffen irgendwo herumliegen oder herumhängen. Die Polizei stolpert ja immer wieder über diverse Waffendepots rechtsextremer „Waffennarren“ oder auch manischer Sammler, die Schusswaffen sammeln wie andere Leute Briefmarken.

Immerhin gibt es jetzt erstmals eine detaillierte Auskunft über Straftaten im Zusammenhang mit Schusswaffen im Jahr 2015 in Sachsen. Die Daten für 2016 lagen noch nicht vor, betont Ulbig. Erst wenn man die Zahlen über Jahre beharrlich abfragt, bekommt man ein Bild davon, inwiefern Schusswaffenbesitz auch die Gefahr erhöht, bei Straftaten durch Schusswaffen verletzt oder getötet zu werden. Dass in 233 Fällen tatsächlich auf Menschen geschossen wurde, sagt eigentlich genug.

Die Anfrage zu Straftaten mit Schusswaffen von Carsten Hütter (AfD). Drs. 7792

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

https://www.l-iz.de/shop/mitgliedschaften/mitglieder/abonnement-leserclub-12-monate

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar