Immerhin war es eine Premiere, dass die sächsische Staatsregierung im Herbst einen „Sachsen-Monitor“ vorgelegt hat, der erstmals so ausführlich wie das Thüringer Vorbild die Stimmungslage im Freistaat erfasst. Der Abgeordnete der Linken im Sächsischen Landtag, André Schollbach, hat auch gleich mal gefragt, was der Spaß gekostet hat.

89.751,44 Euro, teilte ihm nun Dr. Fritz Jaeckel (CDU), Chef der Sächsischen Staatskanzlei, mit. Bekommen hat man dafür 40 Seiten Zahlen. Und auch noch eine besorgte Stellungnahme des Beirats zum Bericht „Sachsen Monitor“. In weiten Teilen zeigt die sich sogar alarmiert. Immerhin bestätigte diese Befragung von rund 1.000 Bürgern im Freistaat, dass das Niveau fremdenfeindlicher Einstellungen im Freistaat hoch ist, was nicht neu ist. Die „Mitte“-Studien legen die Vermutungen schon seit Jahren nahe. Genauso wie das virulente Misstrauen in die Demokratie, wie sie im Land praktiziert wird.

Das Problem an diesem „Monitor“ ist: Er differenziert zu wenig. Es gibt zwar einige Einzelauswertungen, die insbesondere nach Alterskohorten differenzieren. Was schon einige erhellende Erkenntnisse bringt.

Aber die Gliederung nach Landesteilen ist eher summarisch und verwischt das Bild sogar. Denn die Sachsen sind ja nicht grundlos so, wie sie sind. Man kann nicht davon ausgehen, dass sie einfach so von Natur aus menschenfeindlich sind, vielleicht gar, weil sie falsch sozialisiert wurden, gar noch in der DDR.

Tatsächlich macht der „Sachsen-Monitor“ sogar sichtbar, wie viel blinde Flecken es in der Selbstwahrnehmung der sächsischen Politik gibt. Und wie sehr man in den Rastern denkt, die von einigen schrillen Akteuren derzeit auf die Straßen getragen werden – bis hin zur Glorifizierung der Volksentscheide. Denen die Befragten durchaus skeptisch begegnen, weil sie ahnen, wie leicht sie das Mittel der Wahl für lautstarke Populisten sind, die Politik vor sich her zu treiben.

Und da ist man beim Knackpunkt. Er steckt in allen Fragen und man stolpert nicht gleich drüber, wenn man vertrauensvoll annimmt, dass die Befrager von Dimap ja irgendwie einen wissenschaftlichen Frageapparat zugrunde gelegt haben müssen und wissen, was sie tun.

Meistens wissen es solche Institute nicht. Sie tun gern so. Weil auch ihre Auftraggeber es nicht anders wollen und verstehen.

Das hat eine Menge mit Demokratie zu tun – wie wir sie verstehen, wie sie vermittelt wird und wie sie praktiziert wird in Sachsen.

Nämlich auf Distanz. Als abgesondertes Projekt, nicht als Teil des eigenen Lebens. Als Wirken eines Apparates, auf den Bürger vielleicht Einfluss haben – oder auch nicht. Politik ist immer Psychologie. Sie wirkt dann am stärksten, wenn sie den Bürgern das Gefühl vermittelt, dass es ihr Projekt ist, das hier umgesetzt wird.

Das Gefühl haben die Sachsen nicht. Im doppelten Sinne nicht. 71 Prozent der Befragten sagen, dass sie „so oder so keinen Einfluss darauf haben, was die Regierung tut“.

Das sollte in allen Fraktionen im Sächsischen Landtag die Alarmglocken schrillen lassen. Denn damit sagen die Befragten deutlich: Das, was in Dresden entschieden wird, ist nicht ihr Projekt. Es steckt auch eine gehörige Portion alter Untertanengeist mit drin. Das kann man nicht vernachlässigen. Das kommt in anderen Fragen zum Ausdruck, wenn die Teilnehmer der Studie erzählen, warum sie sich nicht politisch engagieren oder zur Wahl gehen.

Wenn 62 Prozent bei möglicher Beteiligung bei Bauprojekten sagen, „meine Stimme hat doch ohnehin nichts zu sagen“, dann ist das heftig. Dann ist das kein Misstrauen mehr in Demokratie, sondern Aufgabe, Enttäuschung, Rückzug – und Vertrauensentzug. Stillschweigend und folgenreich. Denn auf dieser Enttäuschung können Populisten ihre Kampagnen aufbauen. Sie müssen nur so tun, als würden sie dem Einzelnen wieder Einfluss und Gewicht geben.

Das lassen wir hier einfach so deutlich stehen, denn eigentlich müsste genau das so diskutiert werden.

Die Ersteller der Studie finden es zumindest sehr bedenklich: „Fast drei Viertel der Befragten (71 Prozent) trauen sich selbst zu, wichtige politische Fragen gut verstehen und einschätzen zu können; ein gleich hoher Anteil glaubt jedoch auch, ‚Leute wie ich‘ hätten ‚so oder so keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut‘. Noch mehr Befragte (77 Prozent) meinen, die meisten Politiker seien nur an den Stimmen der Wähler, nicht an deren Ansichten interessiert. Der Befund ist eindeutig: Das generelle ‚Image‘ von Politikern ist sehr schlecht, das Vertrauen in Redlichkeit, Volkszugewandtheit und Gemeinwohlorientierung der politischen Akteure sehr gering. Mit 79 Prozent ist der Anteil derjenigen Befragten, die der Ansicht widersprechen, die meisten Politiker kümmerten sich darum, ‚was einfache Leute denken‘, am größten. Es überrascht daher nicht, dass dieses ausgeprägte Misstrauen gegenüber den politischen Akteuren das Demokratievertrauen unterminiert: Fast zwei Drittel (65 Prozent) sind der Ansicht, sie lebten nicht in einer ‚echten‘ Demokratie, ‚weil die Wirtschaft und nicht die Parlamente das Sagen haben‘.“

Den letzten Punkt sollte man sehr ernst nehmen. Es waren nicht die Bürger, die begonnen haben vom Primat der Wirtschaft in der Politik zu schwadronieren, ohne wirklich eine konsistent nachvollziehbare Wirtschaftspolitik zu machen. Das ist wie mit den Landwirtschaftsministern, die glauben, sie müssten qua Amt Politik für die Lobbyverbände der Landwirte machen. Ganz ähnlich verhalten sich viele Politiker, die Wirtschaftspolitik als Lobbypolitik zelebrieren.

Das Wort Lobby kommt in der Umfrage übrigens gar nicht vor.

Und da ist man beim Grundwebfehler, der auch in der oben zitierten Passage sichtbar wird: Der unübersehbar paternalistischen Haltung, die hinter der Befragung steckt. Was in Worten wie „Volkszugewandtheit“ oder „Gemeinwohlorientierung“ sichtbar wird, im „sich kümmern“ und auch in „Demokratievertrauen“. Wer so eine Vokabel bildet, der hat im Kopf schon getrennt zwischen Demos (dem Wahlvolk) und Macht, der versteht Bürger nicht als selbstverständliche Träger der Souveränität, sondern als eine Art Wahlversammlung, die alle vier oder fünf Jahre abstimmt darüber, wer an ihrer Statt regieren darf.

Was sich dann in Zufriedenheitswerten für die Arbeit von Regierung und Ministerpräsident niederschlägt. „Die Arbeit des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich wird von einer Mehrheit der Sachsen positiv bewertet“, findet Dimap. „58  Prozent sind mit seiner politischen Arbeit sehr zufrieden oder eher zufrieden.“

Was ist das für eine Feststellung? Mal abgesehen von der suggestiven Frage nach „sehr zufrieden“, „eher zufrieden“, „eher unzufrieden“ und „sehr unzufrieden“?

16 Prozent haben übrigens gar keine Meinung zur Arbeit des Ministerpräsidenten. Die hätten in der Mitte der Skala auftauchen müssen, „ist mir egal“ oder ähnlich.

Denn wirklich zufrieden sind nur 10 Prozent der Befragten. 48 Prozent haben sich irgendwie noch zu einem „eher zufrieden” durchgerungen. Sie gestehen dem amtierenden Ministerpräsidenten also irgendwie noch ein „genügend“ zu. Er füllt sein Amt gerade so aus. Begeisterung klingt anders, das Gefühl, Teil eines sächsischen Politikprojektes zu sein, übrigens auch.

Tatsächlich erzählt der „Sachsen-Monitor“ davon, dass die Sachsen das Gefühl haben, dass ihre Demokratie nicht funktioniert und so sehr an ihnen vorbeigeht, dass sie sich gar nicht gemeint fühlen.

Das schauen wir uns nämlich als Nächstes an.

Anfrage von André Schollbach (Die Linke) zu den Kosten des „Sachsen-Monitor 2016‘. Drs. 7221

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