Was passiert eigentlich in einer Demokratie, die 25 Jahre lang gehandhabt wird wie ein Gnadengeschenk, als freundliche Gabe der hohen Politik an ein dankbares Volk, das man nur alle fünf Jahre mal fragt, ob es zufrieden ist? Und da die meisten Sachsen alt sind und zufrieden, kommt eine Art Shangri-La dabei heraus: „So geht sächsisch!“

Pech für all jene, die sich schon aufgrund eines heftigen Geburtenknicks in der Minderheit finden: Sie kommen in der politischen Wahrnehmung gar nicht vor. Eher tauchen sie noch als Störgeräusch auf, als Personengruppe, die – bitteschön – ordentlich funktionieren soll, aber frühzeitig erfährt, dass sie eigentlich nur Transportmasse ist, Experimentierfeld und Wartekandidat.

Das spiegelt sich indirekt wider im „Sachsen Monitor“, denn wenn junge Menschen immer wieder erleben, dass sie nur perfekt zu funktionieren haben, werden zwar auch jede Menge perfekter Funktionierer draus. Aber nicht unbedingt überzeugte Demokraten. Effizienz ist nun einmal das Gegenteil von Demokratie. Menschen sind keine Werkstücke.

Und das Experiment ist nicht gutgegangen, gar nicht gut. Übrigens in der ganzen Bundesrepublik nicht. Die jungen Leute (18- bis 29 Jahre) sind mit der Demokratie, wie sie sie erleben, unzufrieden. Nur 47 Prozent der jungen Sachsen sind mit der Demokratie zufrieden (deutschlandweit sind es mit 43 Prozent noch weniger). Ein erstes Alarmsignal. Aber es stecken noch mehr im „Sachsen Monitor“. Denn wenn es um Interesse an Politik geht, liegt der Wert auch nur bei 48 Prozent, bei den 30- bis 44-Jährigen sogar nur bei 41 Prozent. Letzteres sind ja die Eltern der Kinder, die jetzt in der Schule sind. Mit entsprechenden Problemen für die Lehrer. Denn eine entpolitisierte Generation hat andere Ansprüche an Schule als eine, die Schule als gesellschaftliches Bildungsprojekt versteht.

Da hat sich gewaltig etwas geändert – aber die Kultusministerien verschließen ihren Blick dafür, wenn an die Stelle politischer Interessiertheit das Effizienzdenken tritt. Es sind genau jene Eltern, die heute gern als „Propellereltern“ bezeichnet werden, die quasi jeden Schritt ihrer Sprösslinge vorherplanen wollen – und wehe, ein Lehrer spielt nicht mit, gibt nicht die richtigen Noten, hilft dem verhätschelten Kinde nicht die Bohne – dann greifen solche Eltern auch schnell zur Drohung oder zum Anwalt.

Eine Entpolitisierung der Bürgergesellschaft führt zur Verrohung. Es geht nur noch ums Funktionieren. Schulen werden als Produktionsstätten perfekten Karrierematerials verstanden und es wird mit allen Bandagen um Vorteile und Karriereschritte gekämpft. Was leicht ist, wenn in einem Land weder Talent noch Charakter zählen, sondern nur noch eine numerisch erreichbare Leistung. So werden Opportunisten erzeugt. Oder orientierungslose Menschen, denen sich seit ein paar Jahren ein riesiges Fluchtfeld eröffnet hat, wo sie den ernsthaften Forderungen der Realität einfach entweichen können.

Denn das auf Effizienz getrimmte Schulsystem erzeugt zwar Streber, die sich bemühen, dem Lehrplanschema perfekt zu genügen – aber es vermittelt nicht mehr, wie komplex menschliche Gesellschaften sind. Oder Demokratie. Oder Medien.

Wie verblendet feiern sich sächsische Instanzen für die Einführung immer neuer elektronischer Medien in den Unterricht. Nur die inhaltliche Medienkompetenz ist völlig auf der Strecke geblieben. 39 Prozent der 18- bis 29-Jährigen halten „soziale Medien“ tatsächlich für vertrauenswürdig – und damit für vertrauenswürdiger als die Tageszeitung. Die sie kaum noch lesen.

Mit den Worten der Autoren der Studie: „Vor allem die Befragten von 18 bis 29 Jahren und 30 bis 44 Jahren halten die sozialen Medien für deutlich glaubwürdiger (42 Prozent und 36 Prozent) als die Befragten der Alterskohorten 45 bis 59 Jahre, 60 bis 69 Jahre und 70 Jahre älter (29 Prozent, 16 Prozent und 11 Prozent).“

Natürlich sind sie – anders als die 60-Jährigen – mit Facebook & Co. aufgewachsen. Aber damit sind sie noch viel gefährdeter als die Älteren, in den Filterblasen der „social media“ zu landen und den komplexen gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr mitzubekommen. Die „social media“ verstärken die Wirkungen der „peer group“. Und so wird in der Meinungsbildung der jungen Leute der politische Riss deutlich, der quer durchs Land geht: Wer in rechtsradikalen Milieus sozialisiert wurde, wird mit den entsprechenden Angeboten im Internet gleich weiterbetreut (und die Algorithmen spielen dem ganz automatisch in die Hände), wer hingegen in einem großstädtischen weltoffenen Milieu groß wurde, tendiert auch dazu, diese Positionen deutlicher zu leben.

Das wird deutlich, wenn etwa zu den menschenfeindlichen Einstellungen gefragt wird, die derzeit in Teilen Sachsens die Stimmung vergiften: „Insbesondere die junge Generation scheint bei diesen Einstellungsfragen gespalten. Die Zahlen zeigen zwar, dass ein relativ hoher Anteil menschenfeindliche und rechtsradikale Einstellungen teilt, ein anderer  Teil scheint jedoch besonders tolerant und weltoffen zu sein. So stimmen besonders viele Befragte dieser Generation den Aussagen aus dem Bereich der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit nicht zu. Dies gilt beispielsweise für die Aussage, nach der die Bundesrepublik insgesamt ‚durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet‘ sei. Ihr stimmen 26 Prozent der 18- bis 29-Jährigen überhaupt nicht zu.“

Da übernehmen also ein paar rechtextreme Gruppen und Medien die Erziehung der jungen Leute und sorgen dafür, dass sich die Haltungen in den Köpfen verfestigen. Da wächst für Sachsen ein gewaltiges Problem heran, denn auch bei einem anderen Stichwort wird dieses Phänomen sichtbar: „18 Prozent der Sachsen vertreten die Auffassung, die Verbrechen des Nationalsozialismus würden in der Geschichtsschreibung übertrieben. „Hier sticht vor allem die junge Gruppe (18 bis 29 Jahre) hervor. Von ihnen sind 29 Prozent dieser Meinung.“

Und bei der Reaktion auf die Einwanderung geht es weiter: „Bei der Frage, ob die persönliche Wohnumgebung durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet sei, sticht die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen heraus. Dieser Aussage stimmen 32 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren voll bzw. eher zu. Von der Gesamtheit der Befragten teilen diese Einschätzung lediglich 17 Prozent.“

Das erzählt von einer zum Teil stark radikalisierten Jugend. Und Sachsens Regierung scheint das gar nicht gemerkt zu haben – bis eben solche Jugendliche vor allem in Ostsachsen meinten, ihre angelernte Weltsicht in Taten umsetzen zu müssen. Man kann nur vermuten, dass sich diese Haltungen zwischen Landkreisen und Großstädten deutlich unterscheiden. Das wurde ja nicht weiter ausgewertet. Würde aber wohl einige Klarheit bringen.

Auch zu dem, was einfach nicht passiert ist. Denn wer die Heranwachsenden immer nur als anpassungsfähigen Nachschub für die Wirtschaft betrachtet und politische Bildung eher als Blümchenfach, der bekommt trotzdem eine politisierte Jugend. Nur nicht unbedingt die, die das demokratische Ganze als ihr Projekt begreift. Dafür eine, die noch dazu die Vergangenheit besonders verklärt, nicht nur die faschistische. Nur 56 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sehen in der Wiedervereinigung mehr Vorteile als Nachteile, das ist der geringste Wert unter allen Altersgruppen. 26 glauben sogar, die Nachteile überwiegen. Da geht eine Verklärung der DDR los, die nur aus verbreiteter Unkenntnis zu verstehen ist. Erlebt haben die jungen Leute das Leben damals ja nicht.

Eigentlich Anlass genug, über die Vermittlung demokratischer Grundkompetenzen auch und gerade in den Schulen wieder nachzudenken. Die meisten Befragten befürworteten eindeutig mehr politische Bildung in der Schule. Was schwierig ist in einem Bildungssystem, in dem man mit möglichst wenig Lehrern möglichst schnellen Durchfluss erzeugen will. Dass man Demokratie ausbilden und vermitteln muss, ist scheinbar nicht mal den gewählten Politikern bewusst, die ja auch im Bildungswesen gern den „Primat der Wirtschaft“ predigen und die Erziehung des perfekten Karrieristen befördern.

Wenn man aber Wert und Geschichte von Demokratie nicht vermittelt, greifen andere gesellschaftliche Bildungsmuster, die mit Demokratie, Gerechtigkeit und Vielfalt nichts anfangen können.

Noch so ein Satz zum Anstoßen: „Insbesondere unter jungen Menschen fällt die positive Bewertung der Demokratie als Staatsform – unabhängig von ihrer Umsetzung – unterdurchschnittlich aus. 76 Prozent der 18-bis 29-Jährigen halten die Demokratie für eine gute und 17 Prozent für eine schlechte Staatsform. Bei Personen der Altersgruppe 70 Jahre und älter ist das Verhältnis 89:8 Prozent.“

17 Prozent der Jugendlichen, die die Demokratie verachten?

Da ist wirklich etwas gründlich schiefgelaufen.

Und vermutlich ist es genau das: Die Leere im Lehrplan, das Loch, das man einfach hat aufreißen lassen, weil man Bildung als eine Art Pressvorgang versteht, nicht als Interaktion einer Bildungsgesellschaft mit ihren jungen Menschen, die dann die Demokratie verantwortlich machen, wenn es in ihrem Leben nicht rundläuft. Das kann man natürlich schleifen lassen – aber für eine Demokratie ist das keine gute Idee. Das Weggucken und Wegducken hat nur Freiräume geschaffen, die Andere weidlich genutzt haben. Leerräume werden immer gefüllt – meist von denen, die die gröbsten Emotionen und Argumente haben. Hinter dem scheinbar niedrigen politischen Interesse der jungen Sachsen steckt ein Haufen von Ressentiments, die einfach vor sich hinbrodeln. Zumindest weiß man jetzt, dass es so ist.

Ob es die Beauftrager des „Sachsen-Monitor“ ändern wollen, steht auf einem anderen Blatt. Wenn es da steht. Man kann ja auch einfach so weitermachen und so tun, als wäre alles in Ordnung.

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