Während einige politische Verantwortungsträger in Sachsen in den letzten beiden Jahren regelrecht fasziniert auf das Phänomen des zunehmend renitenter agierenden Bürgers schauten, nahmen im rauschenden Hintergrund die rechtsextremistischen Straftaten deutlich zu. Sachsen hat schon seit Jahren ein schwelendes Problem mit gewalttätigen Rechtsextremen. Hausgemacht, wie Kerstin Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion, feststellt.
Das kann sie auch wieder mit Zahlen unterlegen. Seit Jahren fragt die Linksfraktion die Landesregierung nach den aktuellen Zahlen zum rechtsextremen Milieu ab. Jetzt hat sie mal wieder eine Große Anfrage lanciert. Und das Ergebnis zeigt, wie die rechtsextreme Szene in Sachsen – und zwar schwerpunktmäßig in Ostsachsen – immer aggressiver wurde.
„Bundesweit ist und bleibt der Freistaat Sachsen die Hochburg der extremen Rechten schlechthin. Das zeigt die Entwicklung entlang der Zahlen, die behördlich erfasst werden“, erklärt Köditz. „Wir haben es seit mindestens zwei Jahren mit einer verschärften Gewaltdynamik zu tun. Sie steht am Ende einer längerfristigen Enthemmungs- und Radikalisierungskette. Es gilt jetzt, sie endlich zu brechen. Vor diesem Hintergrund sind die Staatsregierung und insbesondere Sachsens Innenminister Ulbig in der Pflicht, endlich ein Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der extremen Rechten vorzulegen und wirksam einzuschreiten.“
Den Grund hat gerade die Linke immer wieder benannt: Wer Rechtsextremismus so verharmlost, wie das sächsische Behörden über Jahre taten, der schafft den Nährboden dafür, dass sich so eine Szene wie zu Hause fühlt und immer mehr enthemmt.
Die extreme Rechte in Sachsen ist aggressiver und krimineller denn je – doch Gegenmaßnahmen greifen nicht hinreichend. Das zeigen die Ergebnisse einer Großen Anfrage (Parlaments-Drucksache 6/6532) der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, deren Ergebnisse nunmehr vorliegen.
Wobei die Anfrage nicht jedes Detail beleuchten kann. Das müsste man eher von Verfassungsschutzberichten erwarten. Aber die gehen schon gar nicht auf die Strukturen der sächsischen Rechtsextremen ein. Denn auch wenn die Verfassungsschützer oft keine organisierten Strukturen ausmachen können, gibt es sie dennoch. So wie die „Gruppe Freital“ oder die „Faust des Ostens“.
Man hat es mit einer gut vernetzten Szene zu tun, die gleichzeitig hochgradig gewaltbereit ist und versucht, mit aggressiven Botschaften auch die Atmosphäre in ganzen Regionen zu beeinflussen.
In den fünf Jahren wurden mehr als 10.000 rechtsmotivierte Straftaten begangen und rund 6.000 Tatverdächtige ermittelt, stellt die Kurzauswertung der von der Regierung gelieferten Zahlen fest. Wegen solcher Delikte ergingen 1.215 rechtskräftige Verurteilungen. Unter allen Taten sind auch 463 Körperverletzungen, ihr Anteil am Gesamtaufkommen steigt deutlich. Auch sonst sucht die extreme Rechte den Konflikt: Immer mehr Übergriffe richten sich gegen staatliche Einrichtungen, politische Gegnerinnen und Gegner sowie Asylunterkünfte.
Wobei die Zahl 10.000 relativiert werden muss, denn dahinter stecken meist Mehrfachtäter, die über die Jahre auch mehrfach bei Polizei und Gerichten aktenkundig wurden. Die Latte der ihnen nachgewiesenen Straftaten ist lang. Im Grunde hat man es mit einem hochgradig kriminellen Milieu zu tun, das seine Kraftmeierei hinter rechtsextremem Klamauk versteckt. Die Gruppe ist deutlich kleiner als 10.000, bewegt sich eher im dreistelligen Bereich. Was die zögerliche Arbeitspraxis der Gerichte nur umso seltsamer erscheinen lässt.
Zumindest die Polizei ist seit der Zunahme der lebensgefährdenden Anschläge ab 2015 munter geworden: Auf lange Sicht werden knapp 40 Prozent aller rechtsmotivierten Delikte polizeilich aufgeklärt. Die Aufklärungsquote steigt in letzter Zeit und hält mit der Deliktentwicklung Schritt – allerdings nicht überall. In einigen Regionen, insbesondere im Landkreis Leipzig, sind Ermittler über einen langen Zeitraum auffällig erfolglos.
Das Problem hat also durchaus auch damit zu tun, wie ernst Ermittler und Gerichte vor Ort die Gefahr nehmen – oder wie sehr sie geneigt sind, lieber wegzuschauen.
Das Gesamtaufkommen rechtsmotivierter Straftaten hat sich ab dem Jahr 2015 deutlich erhöht, eine Trendwende ist nicht zu erwarten. Das Problem ist „hausgemacht“, auswärtige Tatverdächtige treten nicht gehäuft in Erscheinung, betont Köditz. Es zeichnen sich klare regionale Schwerpunkte ab. Sie nennt die Städte Dresden, Leipzig sowie den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Aber wer sich die Leipziger Zahlen anschaut, sieht, dass die Deliktzahlen hier pro Einwohner deutlich niedriger sind als in anderen Landesteilen. Es existiert zwar eine hochorganisierte rechte Szene, aber sie agiert einerseits eher kopflos und zum anderen mit deutlich weniger Akzeptanz, als das z. B. im Schwerpunktgebiet Sächsische-Schweiz/Osterzgebirge der Fall ist.
Schwer tun sich freilich die Behörden, wenn es darum geht, Rechtsextremen den Waffenbesitz zu verwehren.
Denn recht erfolglos ist die Kontrolle von Rechtsextremisten, die im Besitz waffenrechtlicher Erlaubnisse sind: Genau 100 solcher Personen hat sich Sachsens „Verfassungsschutz“ genauer angeschaut, aber nur in drei Fällen konnten die Erlaubnisse und gegebenenfalls auch Waffen erfolgreich entzogen werden. Zwischenzeitlich diskutierte Verbote dreier einschlägiger Gruppierungen – „Nationale Sozialisten Geithain“, „Terrorcrew Muldental“ sowie „Faust des Ostens“ – kamen nicht zustande.
Stark ausgebaut ist derweil die Infrastruktur der rechten Szene, im Gesamtzeitraum standen ihr in ganz Sachsen 62 Objekte zur Nutzung zur Verfügung.
Die Antworten zur Großen Anfrage füllen mehr als 300 Seiten plus etliche Anlagen.
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