Das Beste hebt man sich bei einer Analyse so eines Teils wie des „Sachsen Monitor 2016“ natürlich für den Schluss auf. All diese Aussagen, über die sich Auftraggeber und Beirat am Ende zu Recht wunderten und ratlos zeigten, denn danach wären die Sachsen ja ganz ausgebuffte Menschenfeinde und Chauvinisten, aufgeladen mit rechtsextremen Ressentiments. Sind sie auch. Aber das hat Gründe.

Gründe, die man nur ahnen kann, wenn man das Schema dieser Befragung liest. Das einem ziemlich vertraut vorkommt – nicht etwa deshalb, weil Ähnliches auch in den „Mitte“-Studien abgefragt wird. Sondern weil die Fragen entweder voller Naivität sind – oder voller Scheinheiligkeit. In ihnen spiegelt sich die ganze ratlose deutsche Politik, die nicht wirklich weiß, ob sie nun modern und demokratisch sein will (was Folgen hätte, vor denen sich viele Politiker fürchten) oder doch lieber paternalistisch. Denn das ist es doch, was der Wähler will?

Oder ist es das, wozu man den Wähler erzogen hat? In Sachsen ganz besonders?

Denn das Unbehagen in vielen Staaten Europas an der Demokratie hat ja nichts damit zu tun, dass die so unbequem und manchmal auch überraschend ist, sondern dass sie sichtlich in einigen Teilen nicht funktioniert. Ihren besten Teilen nämlich: Wie lässt man Bürger wirklich Teil haben an der Lösung heutiger Probleme? Wie schafft man echte Akzeptanz für Politik und behandelt Wähler nicht immer nur als Steuerzahler und Störgeräusch?

Denn da draußen hat sich ja etwas geändert. Nicht nur hat Politik durch die Übernahme neoliberaler Patentrezepte große Teile an Macht und Entscheidungsfreiheit abgegeben, steht also Phänomenen, die sie eigentlich lösen müsste, machtlos gegenüber. Was ja alle Bürger, die das Krisenmanagement der letzten 20 Jahre miterlebt haben, auch mitbekommen haben. Und das ist ja die zweite Seite: Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten, sich zu informieren. Politik passiert nicht mehr im abgeschlossenen Raum, sondern eigentlich überall.

Nur: Es wird noch so getan, als sei das nicht so. Drinnen wird Politik gemacht für die Bürger. Draußen stehen die Empfänger von Politik.

Das kann nicht funktionieren. Das führt zu einer gesellschaftlichen Politikwahrnehmung, die nicht nur eine abgehobene Politik-Elite suggeriert („Die da oben“), sondern beide Seiten auch so agieren lässt. Regierungen – insbesondere konservative – sehen sich immer mehr in eine paternalistische Rolle des Beschützers gedrängt und reagieren auf den hörbaren Wunsch vieler Wähler nach einem stärkeren Staat mit einer Politik von mehr Ordnung, Sicherheit und Restriktion. Oder sie rutschen gleich in autokratische Muster von einer „starken Partei“ mit einem starken Parteichef, die „wissen, wie es geht“, Härte und Stärke demonstrieren. Was sich mit einem starken Nationalismus am besten verträgt.

Und was scheinbar vorhandene Wünsche bedient: 62 Prozent der Befragten im „Sachsen Monitor“ haben der Aussage zugestimmt „in diesen Zeiten brauchen wir unbedingt eine starke Hand“. Aber eine Diktatur wollen nur 11 Prozent. Wie geht das zusammen? Gar mit der Aussage „Was Deutschland jetzt braucht ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Dem haben 69 Prozent der Befragten zugestimmt.

Unübersehbar ist der Wunsch, dass es so etwas wie einen beschützenden, aber auch alles besorgenden Staat gibt. Verkörpert in einer Partei, die sich nicht streitet. Man glaubt, dass das noch keine Diktatur ist – aber man möchte seine eigene Verantwortung als Wahlbürger gern abgeben – an eine Art Staatspartei. Denn nichts anderes steckt ja hinter der Aussage: Man empfindet die Vielzahl der Probleme der Gegenwart als zu belastend, die Vielfalt von Lösungsmöglichkeiten als störend, den demokratischen Aushandlungsprozess als zu kompliziert. Man möchte es lieber einfach haben.

Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Sachsen die Demokratie nicht wirklich als Teilhabe-Projekt verstehen. Warum sie dann auch noch Volksentscheide wollen, erschließt sich nicht wirklich. Vielleicht als Ersatz dafür, dass sie sich eigentlich nicht darum kümmern wollen, wie Politik gemacht wird?

Andererseits sagen 85 Prozent der Befragten, dass eine lebendige Demokratie ohne Opposition nicht denkbar ist.

Das deutet eher auf etwas anderes hin: Eine umfassende Ratlosigkeit darüber, wie Demokratie tatsächlich funktioniert. Man weiß, dass es ohne Opposition nicht geht – möchte aber die Beschäftigung mit den ganzen politischen Entscheidungsfindungen doch gern delegieren an eine große, starke Partei. Die dann augenscheinlich alles macht, ohne den Bürger weiter mit Politik zu stören. Damit macht der Bürger Politik erst richtig zum Eliten-Projekt. Was natürlich paternalistisch geprägten Parteien zugute kommt.

Was aber auch ahnen lässt, dass es in Sachsen für viele Bürger keine Rückkopplung mehr gibt. Sie fühlen sich für das, was sie sich als Politik bestellt haben, nicht mehr verantwortlich. So eine Art Pizza-Lieferservice alle fünf Jahre. Man weiß zwar irgendwie, dass es wichtig ist, dass sich Bürger in Parteien engagieren (immerhin 80 Prozent der Befragten betonen das), aber sich wirklich engagieren wollen nur 21 Prozent.

Man möchte diese schrecklich mühsame Aufgabe also gern an irgendjemanden delegieren – und sich nicht weiter drum kümmern.

Das Kümmern übernehmen dann Leute, die Politik als Profession betreiben. Und die in Sachsen gut fahren, wenn sie den braven Wählern versprechen: Wir kümmern uns drum. Wir machen das schon. Wir behelligen euch nicht weiter damit. Was im Ergebnis zu einer Kabinettspolitik führt, die sich nicht mehr im öffentlichen Diskurs erklären und rechtfertigen muss und mit einem derart sinnfreien Spruch wirbt wie „So geht sächsisch.“

Und wenn dann jemand merkt, dass viele Entscheidungen schlichtweg falsch und desaströs waren, gibt es niemanden, der wirklich Verantwortung übernehmen will. Und auch niemanden, der sie einfordert. Was natürlich schwierig ist, wenn die eine, existierende Politik sich und ihre Entscheidungen als alternativlos darstellt. Und wenn gerade elementare Grundzutaten einer lebendigen Demokratie verpönt sind, regelrecht tabu: Veränderung, Alternativen, Korrekturen.

So bestätigen sich in Sachsen zwei Pole: eine Politik, die betont, es bleibe alles beim Alten, und eine Wählermehrheit, die Angst vor Veränderungen hat. So viel Angst, dass sie nicht einmal merkt, dass es die Veränderungen konsequenterweise frei Haus gibt. Sie kommen trotz alledem. Egal, ob man sie demografischer Wandel, Globalisierung oder Computerisierung nennt. Alles ändert sich. Aber es soll sich nicht ändern.

Dabei ist Demokratie die beste Staatsform, die in der Lage ist, Veränderungen in der Welt zu reflektieren und in veränderte politische Weichenstellungen umzusetzen.

Eigentlich ist es in einer Demokratie nicht peinlich, wenn sich Politik korrigiert, manchmal auch in Versuch und Irrtum gerät – wenn sie das denn überhaupt reflektiert. Evaluieren, nennt sich das dann meist. Aber gerade diese Selbstkontrolle fehlt in Sachsen fast komplett, obwohl sie in einem vernünftigen Staatswesen normalerweise mit eingebaut ist, weil kluge Menschen wissen, dass man zwar gute Gesetze machen kann – aber man kann nie alle Folgen vorausberechnen. Also muss man prüfen und Warnzeichen ernst nehmen.

Was der eine Teil einer aktiven Demokratie ist – der der gewählten Amtsinhaber. Die dann logischerweise auch ein anderer Typus Politiker wären als der, der derzeit in Europa Furore macht: kommunikativ, immer wieder im Gespräch mit Landtag, Parteien, Wählern, Medien über Probleme, Lösungsansätze, Korrekturen.

Mal einfach so fürs digitale Zeitalter und einen Berg abgeschotteter Verwaltungen gesagt: In einer Informationsgesellschaft braucht es eine interaktive Politik.

Wir haben völlig andere Möglichkeiten als einst die Griechen, wenn die sich auf dem Forum trafen.

Und wir nutzen sie nicht.

Der Wähler übrigens auch nicht. Der „Sachsen-Monitor“ zeigt ziemlich deutlich, dass 26 Jahre Wiegenlied dazu geführt haben, dass er die aktuelle Politik nicht als das Projekt begreift, das er selbst in Auftrag gegeben hat. Augenscheinlich begreifen auch die meisten Sachsen Politik als eine Art Show-Veranstaltung, einen öffentlichen Schlagabtausch im Fernsehen, bei dem alle Recht haben und wo der am Ende gewinnt, der die stärksten Emotionen erzeugt.

Was dann natürlich zu der Frage führt: Wohin mit den Emotionen, wenn Politik nicht als Interaktion begriffen wird, sondern als Konfrontation?

Dazu geht’s gleich weiter an dieser Stelle.

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“dass es die Veränderungen konsequenterweise frei Haus gibt. Sie kommen trotz alledem. Egal, ob man sie demografischer Wandel, Globalisierung oder Computerisierung nennt.2
Womit unterstellt wird, daß diese Entwicklungen “naturgegeben” seien. Auf jeden Fall aber kämen. Ja schon da sind. Vielleicht nur noch graduell politisch beeinflußt werden könnten.
Nein, das sind sie nicht. Sie sind Folgen von Politik, Folgen politischer Entscheidungen, Folgen rechtlicher Entscheidungen (deren Grundlage wiederum die politischen Machtverhältnisse sind).
Globaliesierung ist nicht uber “uns” hereingebrochen. Nein, es ist nichts anderes, als die Aufhebung und/oder Änderung politischer und wirtschaftlicher Beziehungen auf innerstaatlicher Ebene. TTIP, CETA gibt es doch schon seit über 100 Jahren. Sie hießen nur nicht so. Lediglich verstärkt wurde der Vorgang durch den Wegfall des Kalten Krieges.Der Wegfall ideologischer Schranken führte zum Wegfall rechtlicher Schranken.
Wir haben alte Stahlkraftwerke ab-, in China aufgebaut. Was nur möglich war, weil es dort keine Umeltschutzgesetze gab (gibt). Ganz abgesehen von rechtsstaatöichen Genehmigungsverfahren bei der Errichtung. Den “billigen” (nicht preiwerten) Stahl haben wir dann wieder eingekauft. DSamit aber gelcihzeitig die in China geltenden Produktionsbedingungen importiert. Ein Superdeal. Globalisierung eben.
Demographischer Wandel – ist ebneso keine Naturkonstante. Vielmehr Folge einer falschen neoliberalen Wirtschafts- und Steuerpolitik. Die sich nach der sogenannten Wende auf der gesamten Erde ausbreitet und, einhergehend mit steigendem Bildungsniveau, dazu führt, daß die Menschen genau das feststellen – und reagieren. In dem sie den Armutsfaktor, den sie selbst beeinflussen können, auch beeinflussen. Um dann auch noch auf das perfide Ausspielen Jung gegen Alt hereinfallen…

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