Es geht ja so eine beliebte Geschichte durch die Medien: Wenn Autofahrer an Straßenbäume krachen, sind die Bäume dran schuld – und die ganzen Baumalleen, die die DDR-Zeit überlebt hatten, sind mit der Motorisierung nach 1990 zur Gefahr für Leib und Leben der Autofahrer geworden. Also wird auch in Sachsen gefällt, was man zu fällen schafft.
So ungefähr scheint man auch in Sachsen zu denken. Man ist zwar emsig dabei, ganze Straßenabschnitte von möglichen gefährlichen Baumbeständen zu befreien. Aber für Ersatzpflanzungen fehlen augenscheinlich Platz und Geld und Lust.
Rund 45.000 Straßenbäume wurden zwischen 2010 und 2015 an sächsischen Staats- und Bundesstraßen gefällt. Das ist eine enorme Zahl, erfuhr Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der sächsischen Grünen-Fraktion, auf Anfrage vom Verkehrsminister.
„An Bundes- und Staatsstraßen in ganz Sachsen fielen zwischen 2010 bis 2015 insgesamt 17,5 Prozent des Baumbestandes der Säge zum Opfer. Die Nachpflanzungen von ca. 20.300 neuen Bäumen an Bundes- und Staatsstraßen in ganz Sachsen innerhalb dieser sechs Jahre sind absolut nicht ausreichend, um den Baumverlust zu bremsen, schließlich wurden gerade mal 45 Prozent der Bäume ersetzt“, stellt Günther fest. Aber die Landesregierung ersetzt die Bäume gar nicht alle – schon gar nicht sofort, um die Verluste auszugleichen. „Selbst wenn die Anzahl der gefällten Bäume ersetzt worden wäre, wäre dies allerdings völlig unzureichend. Ein neu gepflanzter, junger Baum erbringt nur einen geringen Bruchteil der biologischen Leistungen eines Altbaumes − etwa in Bezug auf Sauerstoffproduktion, Temperaturausgleich oder Lebensraumeignung für Tiere. Damit der Ausgleich eines alten Baumes durch Neupflanzung annähernd erreicht wird, muss bei Neupflanzungen wenigstens ein Verhältnis 1:3 oder darüber angestrebt werden.“
Dabei ist die Landesregierung eigentlich zu Ersatzpflanzungen verpflichtet. Nur ein funktionierendes Programm scheint es dafür nicht zu geben.
„Trotz zunehmenden Bürgerengagements, wenn es um den Schutz von Bäumen geht, haben insbesondere Straßenbäume bei Staatsregierung und Verwaltung noch immer eine schwache Lobby. Schnell ist die Säge angesetzt, um Bäume als Hindernis für Baumaßnahmen oder aus Gründen der Verkehrssicherung zu beseitigen. Das Anbringen von Schutzeinrichtungen muss generell Vorrang vor Baumfällungen bekommen“, erklärt Günther.
Und er hat so eine Ahnung, warum sich sächsische Behörden so schwertun mit dem Baumpflanzen. Auch die SPD hat dem Thema kein schwereres Gewicht gegeben im Koalitionsvertrag.
„Extrem langsam bewegen sich zuständige Verwaltungen, um die entstandenen Lücken zu füllen. Baumschutz war und ist Sachsens CDU-geführter Staatsregierung allerdings völlig egal. Und sie scheint konsequent zu sein: Im Koalitionsvertrag kommt das Wort ‚Baumschutz‘ überhaupt nicht vor“, ergänzt Günther. Und dann gibt es da noch die sächsischen Regelungen, die Bäume geradezu auf Maximalabstand zur Fahrbahn bringen wollen. Denn die Richtlinie für den passiven Schutz an Straßen (RPS) aus dem Jahr 2009 sieht bei Straßen ohne Höchstgeschwindigkeit einen Mindestabstand für Neupflanzungen von 7,50 Meter zum Fahrbahnrand vor. Diese Bäume stehen dann in der Regel schon auf Ackerflächen. Mit ihren eigentlichen Funktionen – bis hin zum Lärm- und Feinstaubschutz an der Straße – haben sie da nichts mehr zu tun. Ganz davon zu schweigen, dass dem Freistaat diese Flächen in der Regel gar nicht gehören. Es ist eine echte Baumverhinderungsordnung.
„Selten verfügt der Straßenbaulastträger über so viel Land am Straßenrand. Der Zukauf erweist sich oft als schwierig. So besteht eine hohe Diskrepanz zwischen den durch gutachterliche Bewertung ermittelten Bodenpreisen, die die Straßenbauverwaltung für Grunderwerb erstatten darf und den zurzeit am freien Markt erzielten Bodenverkaufspreisen“, stellt Günther zu dieser völlig weltfremden Regelung fest. „Die Richtlinie ist allerdings kein Gesetz, sondern lediglich eine Empfehlung. Sie geht von der Maximalforderung aus, neue Bäume möglichst weit vom Fahrbahnrand zu pflanzen. Wo dies allerdings nicht möglich ist, kann der Zielkonflikt zwischen Verkehrssicherheit und Alleenerhalt nicht nur zulasten der Bäume ausgehen.“
Und dann wird Günther ganz aufmüpfig und erinnert daran, dass die Gefahr nicht von den sturen Bäumen ausgeht, sondern von Menschen, die ihr Automobil auf Hochgeschwindigkeit bringen. Sie sind es, denen Bäume in Fahrbahnnähe zum Verhängnis werden. Aber das ist ja eigentlich kein Argument gegen die Bäume, findet Günther. Er sieht den Freistaat in der Pflicht, abgestimmte Lösungen vorzulegen.
„Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum Einen können Schutzeinrichtungen wie Leitplanken eingesetzt werden. Dann lässt sich der Pflanzabstand deutlich minimieren. Zusätzlich eröffnen Geschwindigkeitsreduzierungen die Möglichkeit von Alleepflanzungen mit einem Pflanzabstand von weniger als 7,50 m zum Fahrbahnrand“, sagt der Landtagsabgeordnete. „Drittens empfehle ich der Staatsregierung, sich für eine Überarbeitung der RPS 2009 einzusetzen. Nach- und Lückenbepflanzungen sind in der Flucht der Altbäume zu setzen. Sie sollten grundsätzlich nicht als Neupflanzungen gelten.“
Da hat er aber etwas gefordert. Als wenn Straßenbäume in Sachsen so etwas wie Bestandsschutz genießen.
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