Man versteht den Justizminister ja, wenn er stöhnt, dass diese kleinen Fragen des Grünen-Abgeordneten derart viel Arbeit machen, dass sie eigentlich nicht detailliert zu beantworten sind. Aber man versteht ihn auch wieder nicht, denn wenn es sich um kriminelle Vereinigungen handelt, dann kann man ja nicht wirklich erwarten, dass sich deren Mitglieder nach dem Verbot in brave Staatsbürger verwandeln.

Valentin Lippmann ist innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion und wollte einfach mal wissen, wie viele Ermittlungsverfahren gegen die Mitglieder verbotener rechtsextremer Vereinigungen in Sachsen nach deren Verbot geführt wurden. Manche Politiker glauben ja, das Problem krimineller Gruppen erledige sich mit ihrem Verbot. Doch die Leute, die sich in diesen Gruppen zusammengetan haben, sind keine „besorgten Bürger“. Sie legen auch ihre Gesinnung nicht ab. Sie machen meistens weiter – in neuen Gruppen oder allein. Und immer wieder auf ganz simple kriminelle Art: mit Gewalt, mit Diebstahl, Betrug. Die Liste ist lang. Auch wenn Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) nur für einen Teil des verbotenen Spektrums Zahlen liefern kann.

Gegen Mitglieder verbotener rechtsextremer Organisationen wurden nach den jeweiligen Verbotsverfügungen bis November 2016 mindestens 617 Ermittlungsverfahren mit insgesamt 672 Tatverdächtigen eingeleitet.

Über 400 Verfahren entfallen dabei auf die Mitglieder der bereits 2001 verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz. Rund 140 Verfahren entfallen auf die Mitglieder der 2006 verbotenen Kameradschaft Sturm 34 (Mittweida). Etwa je 40 Verfahren entfallen auf Mitglieder der 2013 verbotenen Nationalen Sozialisten Döbeln sowie auf die Mitglieder der 2014 verbotenen Nationalen Sozialisten Chemnitz.

Und das sind noch längst nicht alle. Denn an einer Stelle hat der Justizminister dann lieber auf die ungeheure Arbeit beim Durcharbeiten der Akten verwiesen.

Für die Mitglieder krimineller Vereinigungen nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch, wie zum Beispiel die Hooligans Elbflorenz, geht die Staatsregierung sogar von Ermittlungsverfahren in vierstelliger Höhe aus.

Gemkow spricht von 851 Beschuldigten, die in den Datenbanken der sächsischen Staatsanwaltschaften gespeichert sind.

„Die mitgeteilten Zahlen machen deutlich, wie groß das Problem mit gewaltbereiten und straffälligen Neonazis in Sachsen tatsächlich ist“, kommentiert Valentin Lippmann diese Zahlen. „Die hohe Zahl an Ermittlungsverfahren, die gegen Mitglieder rechtsextremer Organisationen und Mitglieder krimineller Vereinigungen auch nach dem Verbot eingeleitet wurden, zeigt, dass Verbote allein nicht ausreichend sind, um den kriminellen Energien von Neonazis Einhalt zu gebieten. Während es eine spezielle Statistik und Maßnahmen für ausländische Mehrfachintensivtäter – die sogenannte Sächsische Kriminalitätsstatistik im Zusammenhang mit den Themen Zuwanderung – gibt, begehen Neonazis fortwährend Straftaten ohne dass ihnen eine solche Aufmerksamkeit zuteil wird.“

Ein Vergleich macht deutlich, wie sehr das rechtsextreme Milieu im Grunde ein kriminelles ist. Im Sächsischen Verfassungsschutzbericht 2016 kann man lesen: „Das gewaltorientierte rechtsextremistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen wird für das Jahr 2015 auf ca. 1.300 Personen geschätzt (2014: 1.000 Personen). Die zunehmende Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Szene schlägt sich auch in der Zunahme der Gewaltdelikte im Jahr 2015 nieder. Dieser Personenkreis setzt sich vor allem aus Angehörigen der subkulturellen Szene aber auch aus Personen der neonationalsozialistischen Szene und der rechtsextremistischen Parteien zusammen.“

Was darauf hindeutet, dass die langjährigen Mitglieder dieser Szene immer wieder straffällig werden und sich auch immer wieder neu organisieren.

„Ein Blick auf die Deliktgruppen zeigt zudem: Neben szenetypischen Straftaten wie Volksverhetzung, Zuwiderhandlungen gegen das Verbot, Propaganda- und auch Körperverletzungsdelikten finden sich in der Übersicht auch Delikte, die Bezüge zur organisierten Kriminalität nahelegen, wie Betrug, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, schwerer Diebstahl und in einzelnen Fällen auch die Verbreitung von Kinderpornographie. Auch Trunkenheit im Verkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Erschleichen von Leistungen gehören zu den Deliktgruppen“, erläutert Lippmann. „Die Auswertung der Statistik zeigt, dass die Mitglieder keineswegs nur politisch motivierte Delikte begehen, sondern ein gesteigertes kriminelles Verhalten zeigen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich unter den Mitgliedern der verbotenen Organisationen Intensivtäter mit Bezügen zur Organisierten Kriminalität finden.“

Im Freistaat Sachsen wurde seit der Wiedervereinigung in vier Fällen ein Verbot einer neonazistischen Gruppierung durch den Innenminister oder den Polizeipräsidenten erlassen. Am 5. April 2011 wurden durch das Innenministerium die Skinheads Sächsische Schweiz verboten und am 26. April 2006 die Kameradschaft Sturm 34 aus Mittweida. Am 12. Februar 2013 verbot der Landespolizeipräsident die Nationalen Sozialisten Döbeln und am 20. März 2014 die Nationalen Sozialisten Chemnitz. Die Verbotsverfügungen bezogen sich stets auf etwaige Nachfolgeorganisationen sowie ein- oder angeschlossene Gruppen. Gegen Mitglieder der SSS und Sturm 34 wurde auch Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben.

Augenscheinlich hat das aber nur dazu geführt, dass der Personenkreis sich neu strukturiert und weniger öffentlich unter einer Gruppenbezeichnung agiert. Was zwar die Beobachtung erschwert – aber wenn gleichzeitig das Erfassen von Mehrfachtätern unterlassen wird, vergibt sich der Freistaat die Gelegenheit, die nach wie vor existierenden Strukturen zu erfassen.

„Ich fordere Innenminister Markus Ulbig auf, den Verfolgungsdruck auf neonazistische Strukturen weiter zu erhöhen und dabei verstärkt auch die Verbindungen in Kreise der Organisierten Kriminalität in den Blick zu nehmen“, sagt Lippmann.

Die neueren Ermittlungen gegen die Gruppe Freital und die „Freie Kameradschaft Dresden“ deuten darauf hin, dass sich aus dem eben nicht nur radikalen, sondern auch stark kriminellen Milieu immer neue Gruppierungen bilden, die für einen Großteil der rechtsextremistischen Anschläge in einigen Regionen Sachsens verantwortlich sind.

Antwort von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann (Grüne): „Straffälligkeit von Mitgliedern von in Sachsen verbotenen Organisationen und kriminellen Vereinigungen aus dem rechtsextremen bzw. dem Hooliganmilieu“ (Drs 6/6729).

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