„Sachsen entwickelt sich nachhaltig“, behauptete das Sächsische Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft am 20. September, als Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) den „Ersten Nachhaltigkeitsbericht“ der sächsischen Staatsregierung vorstellte. Der ganze Bericht belegt: Das Gegenteil ist der Fall. Sachsen ist nicht mal auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Das betrifft auch ein zentrales Aufgabenfeld von Schmidt: den Naturschutz.
Im Bericht wird im üblichen verständnisvollen Ton verlautbart: „Ein Begriff für den natürlichen Reichtum ist Biologische Vielfalt oder Biodiversität. Seit Jahren wird global ein Verlust an Biodiversität beobachtet, der mit der natürlichen Dynamik der Systeme nicht mehr erklärbar ist. Dabei ist ein starker Artenschwund zu verzeichnen, dessen Hauptursache im Verlust von Lebensräumen durch die intensive menschliche Landnutzung liegt.“
Und dann klopft man sich selbst auf die Schultern und lobt sich für seine emsige Arbeit mit den Schutzgebieten: „Die Schutzgebiete sind per Verordnung gesichert und größtenteils mit sogenannten Managementplänen ausgestattet, die neben einer Analyse der Schutzgüter und ihres Erhaltungszustandes vor allem Maßnahmen zur Entwicklung und zum Erhalt der Arten und Lebensräume beinhalten.“
Zustand der Schutzgebiete: mangelhaft
Und dann tut man so, als könne man eigentlich nichts dafür, dass auch in Sachsen die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten immer länger wird und viele Schutzgebiete in einem gar nicht vorbildlichen Zustand sind: „Trotz der zahlreichen Maßnahmen zur nachhaltigen Naturnutzung ist im Freistaat Sachsen wie auch europaweit ein Rückgang der biologischen Vielfalt zu beobachten, der sich vor allem in einem Verlust an Arten und Lebensräumen zeigt. Insbesondere die starke Zersiedlung und Zerschneidung des Raumes durch Siedlungs- und Verkehrsinfrastruktur, aber auch die intensive Flächennutzung führen zu einer Fragmentierung und Strukturverarmung der Landschaft und damit zum Verlust von Lebensräumen.“
Die Maßnahmen mögen „zahlreich“ sein. Aber das hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun. Wenn sich Systeme nicht stabilisieren und regenerieren, sind all diese Maßnahmen für die Katz. Schlichtweg sinnlos und überflüssig.
Was auch daran liegt, dass Biodiversität und Lebensraumschutz nicht mal in den sächsischen Schutzgebieten Priorität haben. Die Leipziger Auenwälder sind das beste Beispiel dafür: Mal ist es ein rein technisch verstandener Hochwasserschutz, der Priorität bekommt, noch öfter sind es reine wirtschaftliche Interessen, um nur die Leipziger Narretei vom „Wassertourismus“ zu nennen und das immer neue Unterlaufen der strengen Regeln für die Schutzgebiete, wie am Floßgraben und an der Pleiße erlebt.
Logische Folge: Für mindestens 61 Prozent der Schutzgüter in den Flora-Fauna-Habitaten (FFH-Gebiete) ist der Erhaltungszustand ungünstig bis schlecht. Das sind zwar nur die Zahlen für 2012, aber daran hat sich bis 2016 ganz bestimmt nichts geändert. Die alte Politik der faulen Kompromisse hat sich ja auch nicht geändert. Nur für 25 % der Arten und 32 % der Lebensräume ist der Erhaltungszustand in Sachsens Schutzgebieten gut.
Stabilisierung der ländlichen Räume? – Misslungen.
Natürlich hat das auch damit zu tun, dass in Sachsen jeder Seins macht und nicht mal Klagen der Umweltverbände vor Gericht Wirkung zeigen, weil zwischen Klage und Prozess locker fünf Jahre ins Land gehen. Jahre, in denen einfach weiter geschlampert wird und so getan wird, als wären die Schutzregeln in den FFH-Gebieten reine Auslegungssache.
Und das hat auch viel damit zu tun, dass der Freistaat bis heute keine Strategie hat, die ländlichen Räume zu stabilisieren und die Landbevölkerung zum Teil einer nachhaltigen Landentwicklung zu machen.
Man tut immer nur so. Etwa wenn es im Bericht heißt: „Um darüber hinaus die Attraktivität des ländlichen Raumes als Lebens- und Wirtschaftsraum zu stabilisieren und weiterzuentwickeln, wurden in den Jahren 2013 und 2014 nichtinvestive und investive Projekte und Konzepte sowie interkommunale Entwicklungsinitiativen über die FR Regio gefördert.“
Wer im Bericht einen Fingerzeig sucht, welche Projekte wirklich Wirkung zeigen, der findet keinen. Denn all die schönen Programme zur Aufwertung von Dorf- und Stadtkernen nutzen nicht die Bohne, wenn soziale und wirtschaftliche Infrastrukturen (von Schulen bis zum ÖPNV) verschwinden.
Und erstaunlich schnell schwenkt dann der Bericht auf lauter Lieblingsvokabeln wie Wettbewerb, Innovation, Bildung.
Ein ressourcenverschlingendes Wachstum ist niemals nachhaltig
„In der ‚Innovationsstrategie des Freistaates Sachsen‘ hat sich die Staatsregierung im Jahr 2013 dazu bekannt, dass Innovationen die Grundlage für Wachstum, Beschäftigung, sozialen Zusammenhalt und den Schutz der Lebensgrundlagen sind“, tönt es im Bericht. „Sie verfolgt ein ganzheitliches Innovationskonzept mit einem branchen- und technologiefeldübergreifenden Ansatz, der neben technologischen und ökonomischen Belangen auch soziale und ökologische Aspekte beinhaltet.“
Lauter Phrasen, die sich allesamt bei näherer Betrachtung in Luft auflösen. Aber der Satz sagt wenigstens eine Wahrheit: soziale und ökologische Aspekte kommen immer nur „neben“ technologischen und ökonomischen Belangen vor, als hübsches Anhängsel.
Wobei die Sache nicht besser wird, wenn man sie davorstellt. Das Problem wird hier schon sichtbar: Nachhaltigkeit ist mit solchen Prioritätensetzungen nicht mal denkbar. Sie hat da keinen Platz. Logisch, dass der Bericht dann wieder mit BIP und Wachstumsraten um sich schmeißt, ohne auch nur zu hinterfragen, was dahintersteckt und was – bitteschön – ein BIP-Wachstum mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Denn bis heute ist der größte Teil des sächsischen Wirtschaftswachstums nicht nachhaltig erwirtschaftet, sondern rein durch Raubbau an Ressourcen. Und zwar nicht nur einheimischen.
Kohle nicht durch den Schornstein, sondern durch den Auspuff jagen
Dass diese Regierung gar nicht abkehren will vom alten, ressourcenverschlingenden Denken, wird deutlich, wenn man auf die Rohstoffstrategie des Freistaats zu sprechen kommt: „Braunkohle ist mengenmäßig der wichtigste Rohstoff im Freistaat Sachsen, gegenwärtig wird er fast ausschließlich verbrannt. Die energetische Nutzung und der Abbau von Braunkohle gehen mit erheblichen negativen Umweltwirkungen einher. Um die Kohle neben der Energiegewinnung auch anderweitig einsetzen zu können z. B. in einer stofflichen Verwertung, enthält die Rohstoffstrategie für Sachsen unter der Leitlinie ‚Sächsische Rohstoffforschung‘ u. a. die Aufgabe der schwerpunktmäßigen Unterstützung von FuE zur Verwertung von heimischen Rohstoffen, wie z. B. der Braunkohle. So wird beispielsweise am ‚Deutschen Energie-Rohstoff-Zentrum‘ der TU Bergakademie Freiberg aktuell in verschiedenen FuE-Vorhaben daran gearbeitet, Braunkohle zunehmend auch stofflich als Kohlenstoffträger für die chemische Grundstoffindustrie als Erdölersatz zu nutzen und damit die ‚Kohle aus dem Feuer zu holen‘. Die Technologie der Raffinierung von Benzin ist bereits fast marktreif. Künftig könnten bis zu 30 % der erdölbasierten Rohstoffe aus Braunkohle substituiert und damit die Abhängigkeit von Ölimporten entsprechend vermindert werden. Gleichzeitig könnte mit einer solchen Nutzung die regionale Wertschöpfung in Sachsen erhalten und gestärkt werden.“
Vielleicht hat sich das der Investor EPH auch gedacht, als er die Tagebaue in der Lausitz kaufte. Wenn die Kohlemeiler ausgehen, wird Sachsen die Kohle zur Benzinherstellung haben wollen. Sind das nicht schöne Zukunftsaussichten? Für die Lausitz zum Beispiel?
Denn das heißt im nächsten Schritt, dass sich die Tagebaue von der Existenz von Kraftwerken abkoppeln und dann immer neue Abbaurechte beantragen können, wenn der sächsische Verkehrsminister das Gefühl hat, der Sprit an den Tankstellen könnte knapp werden.
Kein Wort dazu, dass das weiter gigantische CO2-Ausstöße bedeutet in einer Zeit, in der die Welt sich zu Recht vor einem extremen Klimawandel fürchtet.
Nachhaltig ist das nicht. Nur ignorant.
Sind wenigstens andere Bereiche der sächsischen Politik nachhaltig?
Wir suchen weiter im nächsten Teil, gleich an dieser Stelle.
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