Vielleicht wäre die sächsische Regierung gut beraten gewesen, auf die Ausrichtung des Tags der Deutschen Einheit 2016 zu verzichten. Zwei Jahre hat Pegida die Stadt auf Trab gehalten, immer wieder kam es zu fremdenfeindlichen Vorfällen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich hätte nicht nur gute Gründe gehabt, die 4,5 Millionen Euro teure Feier abzublasen. Er hätte auch seine Politik ändern müssen.

Denn im Kern ist seine Innenpolitik noch immer dieselbe wie bei seinem Vor-Vorgänger Kurt Biedenkopf, der 2002 wegen der „Hausfrauenaffäre“ so unrühmlich abtreten musste – aber bis heute wie ein König im Ruhestand behandelt wird. Von ihm stammt der Spruch, seine Sachsen seien keine Nazis. Und in Heidenau vermutete er jüngst erst, die Täter seien von außerhalb angereist.

Das Problem der sächsischen CDU ist, dass sie die Fehler ihrer ersten Regierungsperioden nie aufgearbeitet hat, auch nie aufarbeiten musste. Die „Alles bleibt beim Alten“-Politik lullte das ganze Land ein, der fällige Regierungswechsel blieb aus.

Und auch Tillich machte weiter, wo Biedenkopf aufgehört hatte, änderte auch nichts an der fatalen Innenpolitik, in der man die Verfestigung rechtsextremer Netzwerke gerade in Ostsachsen einfach ignorierte, lieber eine völlig sinnfreie Verfolgung von „Linksextremisten“ inszenierte mit dem fatalen Höhepunkt um die Februardemonstration 2011 in Dresden.

Das war schon Tillich-Zeit, das war auch Ulbig-Zeit. Auch wenn bis heute nicht wirklich klar war, wer bei der massiven Strafverfolgung gegen zumeist friedliche Demonstranten im Hintergrund die Strippen führte. Denn offenkundig versuchte da jemand, eine rigide Vorgehensweise gegen jeglichen links verorteten Protest zu implementieren, Sachsen irgendwie zu einem Vorbildland für erzreaktionäre Sicherheitspolitik zu machen – reihenweise landeten auch Gewerkschafter und Politiker von linken Parteien wegen vermeintlicher Ordnungswidrigkeiten oder gar Landfriedensbruch vor dem Richter.

So diffamiert man zwar die Opposition, verkleistert aber die eigentlichen Probleme. Und Sachsen hat seit Ende der 1990er Jahre ein massives Problem mit verfestigten rechtsradikalen Strukturen. Was just 2011 offenkundig wurde, als die Existenz der Terrorzelle „NSU“ bekannt wurde, die über Jahre von einem höchst geschäftigen „Blood and Honour“-Netzwerk im Raum Chemnitz und Zwickau unterstützt wurde.

Und die sächsische Politik wachte immer noch nicht auf. Ignorierte das Problem weiter.

Und versuchte es auch ab 2014 weiter zu ignorieren, als es zu den ersten fremdenfeindlichen Anschlägen in Bezug zur Flüchtlingsproblematik kam (Anschläge und Menschenhatz gab es auch vorher schon) und die rechtsradikalen Strukturen sich auch immer offener bei Pegida und Legida zeigten.

Aber das immerwährende Klippklapp, die Linken seien eigentlich genauso schlimm, wirkt wie antrainiert.

Erst am 28. September wieder zu hören, als der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Hartmann, zu den jüngsten Vorfällen in Bautzen äußerte: „Wir haben in Sachsen ein Problem mit Radikalismus – sowohl von links wie von rechts. Linksextremistische Jugendliche in Leipzig machen sich einen Heidenspaß daraus, den Süden der Stadt in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Linken wie rechten Gewalttätern gelte es, sich entschlossen entgegenzustellen.“

Der Mann ist eigentlich als nüchterner und überlegter Zeitgenosse bekannt – und trotzdem steckt er tief im Extremismus-Sprech der Sachsen-CDU.

Und noch deutlicher zeigte der Bautzener Abgeordnete Marko Schiemann, dass man in der CDU-Fraktion nicht bereit ist, zu lernen, sondern weiterhin alles schönredet: „Bautzen hat es nicht verdient, so von ein paar wenigen Gewalttätern durch den Dreck gezogen zu werden!“ Die Mehrheit der Menschen in seiner Heimatstadt sei gastfreundlich und weltoffen.

So ein Unfug: Die „Mehrheit der Menschen in seiner Heimatstadt“ hat zu Hause gesessen und keinen Pieps gemacht, als die ersten fremdenfeindlichen Attacken in Bautzen passierten. Eingelullt von einer Schönwetterpolitik, die die feste Verankerung rechtsextremer Denkweisen und Netzwerke in der sächsischen Provinz erst ermöglicht hat.

Was dann natürlich zu dieser fatalen Fehleinschätzung im Vorfeld des Tags der Deutschen Einheit führte, es würde mal keine rechtsradikalen Auftritte geben.

Warnungen gab es genug, darauf weist Katharina Schenk, Landesvorsitzende der Jusos Sachsen und Stadträtin in Leipzig, hin: „Schon in der Vorberichterstattung zum 3. Oktober konnte man sich erneut fragen, ob bei Innenminister Ulbig die Gefahreneinschätzung hinsichtlich rechtsradikaler Gewalt und Hetze richtig läuft. Angesichts groß angekündigter rechter Demos warnte die CDU vor Zwietracht am Tag der Einheit und verwies vorab schon einmal auf die Gefahren des Linksextremismus, den man in der CDU ja fast traditionsgemäß geißelt, wenn es eigentlich um rechte Gewalt gehen sollte. Und wieder einmal lief es dann so, wie es in Sachsen auch traditionsgemäß läuft: Demonstrierende gegen rechte Hetze werden aufgehalten, eingekesselt und abgeschirmt, während der braune Mob das gewohnte Bild der sächsischen Hauptstadt zeichnete.“

Das ist eindeutig ein Versagen des Innenministers, der nur zu gern selbst den harten Hund spielt – aber vor allem gegen Schwächere, Asylsuchende zum Beispiel.

Wie gründlich die sächsische Wegschau-Politik am 3. Oktober scheiterte, beschreibt auch Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag: „Der Wunsch nach schönen Bildern zum Tag der Deutschen Einheit aus Dresden ist schlicht an der sächsischen Realität zugrunde gegangen – mit ihrem vollkommen unterschiedlichen Agieren gegenüber Pegida und Demonstrierenden des linken Spektrums haben die Sicherheitsbehörden einmal mehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit unter den Augen der ganzen Bundesrepublik verspielt. Das, was gestern stellenweise passiert ist, kann man kaum noch einem Menschen vernünftig erklären.“

„Es war keine Überraschung, dass Pegida-Anhänger am Montag auf die Straßen gingen. Pegida hatte angekündigt, die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit stören und somit für sich nutzen zu wollen“, stellt auch Daniela Kolbe, die Generalsekretärin der sächsischen SPD, fest. „Trotzdem konnten Demonstranten vor der Frauenkirche ihren Hass verbreiten, andere beleidigen und erniedrigen. Hier sind die Grenzen der Meinungsfreiheit und des Anstandes erneut überschritten worden. Gegendemonstranten berichteten gleichzeitig davon, mit Auflagen gestoppt und eingekesselt worden zu sein. Freital, Heidenau, Bautzen und jetzt der 3. Oktober in Dresden – erneut ist Sachsen im Fokus der Öffentlichkeit, erneut wirft das Agieren des Innenministers Fragen auf. Dabei braucht Sachsen einen starken Innenminister, der klar Flagge zeigt. Einen Innenminister, der den Demokraten den Rücken stärkt und auf die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit achtet. Leider sehe ich von Innenminister Ulbig dazu gerade gar nichts.“

Der Zweifel, ob Ulbig sein Amt überhaupt ausfüllt, ist unüberhörbar.

Das ganze Gefüge der Innenpolitik in Sachsen stimmt nicht mehr. Als hätte der zuständige Innenminister gar kein Interesse daran, die rechtsradikalen Netzwerke aufzuklären.

„Ich erwarte eine umfassende Aufarbeitung und Auswertung des Einsatzgeschehens und des Sicherheitskonzeptes durch die Polizeiführung“, fordert Lippmann. „Es muss jetzt sichtbare Zeichen auch gegenüber der Bevölkerung geben, dass das Neutralitätsgebot bei der Polizei tatsächlich durchgesetzt wird. Wir können nicht so tun, als wäre nichts gewesen und zur Tagesordnung übergehen. Es muss eine Führungskultur etabliert werden, die politische Neutralität, interkulturelle Kompetenz und Grundrechtsorientierung in der gesamten Polizei sichtbar durchsetzt.“

Immerhin war es ein Polizei-Führungsoffizier, der Pegida am 3. Oktober auch noch ein Gelingen der Veranstaltung wünschte. Lippmann: „Ich kann mir schlussendlich fast nur wünschen, dass die neue Liberalität der Sicherheitsbehörden in Bezug auf die Auslegung des Versammlungsrechtes sich auch fernab von Pegida-Veranstaltungen fortsetzt.“

Aber solche Forderungen haben die Oppositionsparteien in den letzen Jahren eigentlich schon zu oft gestellt an einen Minister, der entweder nicht will oder nicht soll.

Katharina Schenk geht längst einen Schritt weiter: „Man kann nur froh sein, dass Herr Ulbig nicht auch noch Tourismusminister ist – zumindest darf bezweifelt werden, ob die Polizeistrategie im Bezug auf das Image Sachsens die richtige war. Viel schlimmer wiegt aber, dass trotz stetig aufeinanderfolgenden Eskalationen, rechter Gewalt und Anschläge der Innenminister offenbar nichts gelernt oder verstanden hat. Wir haben ein Problem in Sachsen – mit der sächsischen Polizei, mit dem Innenminister, der das nicht sehen will und mit tiefsitzendem rechtem Gedankengut. Minister Ulbig muss jetzt endlich die offenen Fragen beantworten oder zurücktreten.“

Fakten hat Ulbig genug auf dem Tisch, das beweisen auch Lippmanns Anfragen an die Staatsregierung. Das Fatale ist: Er zieht keine Konsequenzen daraus und laviert weiter, als würden sich die rechtsradikalen Probleme von allein auflösen, wenn man sie ignoriert. Aber da hat er wohl die Rechtsradikalen unterschätzt, die mit Pegida und Legida ein schönes Schaffell gefunden haben, mit dem sie ihr – ja – völkisches Denken unter die Leute und auf die Straße bringen können.

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Es gibt 3 Kommentare

Vielleicht ist aber auch das Nichtstun von Ulbig (und auch Tillich??) Kalkül? Wenn man Dresden und auch Sachsen auf diese Art für Asysuchende unattraktiv macht, bleiben sie womöglich weg und man spart sich all das schöne Geld, um es für das LBBW-Desaster aufzusparen, das ja immer noch nicht vorbei ist für das Land Sachsen

“So ein Unfug: Die „Mehrheit der Menschen in seiner Heimatstadt“ hat zu Hause gesessen und keinen Pieps gemacht, als die ersten fremdenfeindlichen Attacken in Bautzen passierten.”
So schauts aus. Aber wahrscheinlich muss man da schon froh sein, wenn nicht das halbe Dorf Spalier steht und applaudiert.

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