Da stand Sachsens Regierung gar nicht gut da, als sie am Mittwoch, 12. Oktober, den Selbstmord des mutmaßlichen Terroristen Jaber Al-Bakr vermelden musste. Auf der am Donnerstag, 13. Oktober, anberaumten Pressekonferenz wurde erst recht deutlich, dass selbst die drei Hafttage für den Syrer voller Versäumnisse waren. Und man bekam das flaue Gefühl: Diese Ausreden kennt man doch? Kann es sein, dass dieses Versagen in Sachsen System hat?

Hat es auch. In der letzten Zeit standen vor allem die kaputtgesparte Polizei (die bei der gescheiterten Verhaftung Al-Bakrs in Chemnitz eine peinliche Performance hinlegte) und das auf Verschleiß gesparte Schulsystem im Mittelpunkt der Debatte.

„In Sachsen geschehen Dinge, die fassungslos machen. Das liegt an der regierenden CDU. Wenn Ministerpräsident Tillich das nicht endlich begreift, sollte er besser zurücktreten“, schrieb Florian Gathmann am Donnerstag auf „Spiegel Online“. Und es ist schön, wie er so hübsch von außen feststellen kann, dass das Staatsversagen in Sachsen hausgemacht ist, in der Verantwortung der dauerregierenden CDU liegt und ein Ministerpräsident Stanislaw Tillich sich eigentlich nicht mehr rausreden kann. Dumm nur, dass er Neuwahlen vorschlägt, als würde er die letzte Umfrage nicht kennen: Neuwahlen ändern nichts in Sachsen.

„Der Justizminister ist nach der Al-Bakr-Pleite nicht mehr zu halten, am besten sollte der Ministerpräsident seinen Innenminister gleich mit entlassen. Und Tillich selbst muss sich fragen, ob er eigentlich der Richtige für den Job ist. Gefragt ist eine andere Art sächsischer Politik. Eine Politik, die Probleme angeht und sie nicht ignoriert“, schrieb Gathmann.

Da hat er wohl die sächsische Demokratie nicht ganz verstanden

Es ist eine Spardemokratie, keine Lösungsdemokratie. Den Rücktritt von Innenminister Markus Ulbig haben wir auch schon gefordert. Aber das geht am Problem vorbei. Denn dass Ulbig so freudig einem rigiden Sparkonzept für die Polizei zustimmte und 2010 auch noch die „Polizeireform 2020“ postulierte, ist ja nicht auf seinem Mist gewachsen. Genauso wenig die Sparpolitik in den Schulen auf dem Mist von Roland Wöller oder Brunhild Kurth. Oder die rigiden Sparpläne im Justizvollzugsdienst auf dem Mist von Sebastian Gemkow. Auch wenn sie alle in der CDU sind.

Die ursächliche Verantwortung für das Zusammensparen der sächsischen Staatsapparate trägt kein anderer als Stanislaw Tillich, seit 2008 Ministerpräsident in Sachsen. 2009 vereinbarte er mit seinem damaligen neuen Koalitionspartner FDP ein radikales Kürzungsprogramm für die sächsischen Bediensteten: Von 85.000 sollte der Personalstamm auf 70.000 eingedampft werden. Und das nach einer schon vorher praktizierten Streichkür, bei der der Personalstamm von 110.000 auf 85.000 eingedampft wurde.

Normalerweise wäre 2009 eine Evaluation der vorhergegangenen Kürzungen fällig gewesen. Dann hätte man erfahren, ob die minimale Personalstärke erreicht worden ist oder sogar unterschritten wurde.

Dass sie in allen Bereichen unterschritten wurde, belegen alle Zahlen, die ruhelose Abgeordnete der Opposition bei der Staatsregierung abfragen. Fast winzige Posten sind darunter wie die Fachbearbeiter für den Radverkehr – aber weil selbst die paar Hanseln fehlen, bleiben Millionen Euro an Fördergeldern unbearbeitet liegen.

Dasselbe Lied beim Denkmalschutz. Obwohl Sachsen da schon weiter ist: Es spart nicht nur die angestellten Denkmalschützer, es spart auch gleich noch die Denkmalschutz-Fördergelder.

Über Ausfallzeiten, Überstunden und Krankmeldungen bei der Polizei haben wir schon genug berichtet, über die im Grunde kinderfeindlichen Flickschustereien im Bildungswesen ebenso.

Und nun die Justiz

Sebastian Gemkow, seit 2014 der verantwortliche Minister für das Gebiet, hat das Thema zumindest schon mal angesprochen. Aber die Lösungen wird auch er erst in der ferneren Zukunft bekommen. Denn jetzt leidet das gesamte ihm unterstellte System ebenso unter den 2009 beschlossenen Kürzungen.

Und die Sache wird nicht weniger peinlich, wenn man weiß, dass die Grünen-Fraktion (ja, die Grünen sitzen in Sachsen seit Jahren in der Opposition, weil sie die Schönwetter-Politik der CDU-Regierung immer wieder frech hinterfragen) gerade erst einen Antrag in den Landtag eingebracht hat: „Leistungsfähigkeit des sächsischen Justizvollzugs sicherstellen – Einrichtung einer Fachkommission zur Personalbedarfsberechnung“.

Man kann eigentlich wieder Wetten darauf abschließen, dass er von der Regierungskoalition abgelehnt wird. Wie seit 25 Jahren geübt. Nur hat Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) nun zusehen dürfen, wie der Personalverschleiß auch im Justizdienst nun in Leipzig zu medial sichtbar gewordenen Folgen geführt hat. Ein Personalkonzept hat der Justizminister so wenig wie seine KollegInnen im Innen- und im Kultusministerium.

„Die Einrichtung einer Fachkommission zur anstaltsspezifischen Personalbedarfsberechnung für den sächsischen Justizvollzug wird derzeit als nicht zielführend erachtet“, hatte Gemkow im August zu dem Grünen-Antrag erklärt. Und gleichzeitig Zahlen geliefert, dass der sächsische Justizdienst völlig unterbesetzt ist.

„Man muss mindestens eine gewisse Basis haben, die es zu verteilen gibt. Wenn Sie deutlich unter 0,37 bleiben, brauchen Sie auch keine Personalbedarfskommission“, zitiert er den Vorsitzenden der Vereinigung der Leiterinnen und Leiter der Justizvollzugseinrichtungen des Landes Niedersachsen, Oliver Weßels. Und dabei gehe es nur um den Schlüssel Bediensteter im allgemeinen Vollzugsdienst pro Haftplatz. Sachsen kommt auf einen Schlüssel von 0,34.

Ergebnis: Seit Jahren genauso steigende Zahlen von Krankheitstagen wie an Überstunden beim Vollzugsdienst. Die Krankenstände und Überstunden hatte zuletzt erst der Linken-Landtagsabgeordnete André Schollbach abgefragt.

Die Zahl der Krankheitstage pro Bediensteten im sächsischen Vollzugsdienst ist seit 2005 kontinuierlich von 22,9 Tagen im Jahr auf den neuen Rekordwert von 36,1 Tagen im Jahr 2015 gestiegen. Was ja im Klartext heißt: Jeder zehnte Justizvollzugsbeamte ist einfach nicht da, weil er krank ist.

Und in der Folge steigt die Mehrbelastung für die verbliebenen Beamten. Häuften die Vollzugsbediensteten 2009 und 2010 noch Überstundenberge von 33.000 bis 37.000 Stunden an, wurden 2012 schon 64.000 Stunden aufgehäuft, 2014 erstmals 77.000. Und auch 2016 geht die Zahl in Richtung „neuer Rekord“: Zum Ende Juni wurden schon 75.515 Überstunden registriert, teilte Justizminister Sebastian Gemkow auf Schollbachs Anfrage hin mit. Er weiß also sehr genau, wie es um die Personalsituation in sächsischen JVAs und ihren angeschlossenen Einrichtungen wie dem Haftkrankenhaus aussieht. Und dass so ein Vorfall, wie er jetzt passiert ist, eigentlich nur eine Frage der Zeit war.

Die Hauptverantwortung für die Situation aber liegt bei einem Ministerpräsidenten, der sichtlich kein Verständnis hat für die Grundfinanzierung eines verlässlichen Staatsapparats.

Grünen-Antrag „Leistungsfähigkeit des sächsischen Justizvollzugs sicherstellen – Einrichtung einer Fachkommission zur Personalbedarfsberechnung“ mit Stellungnahme des Justizministers. Drs. 5673

Anfrage zu Krankheitstagen im Sächsischen Vollzugsdienst. Drs. 5225

Anfrage zu „Mehrarbeitsstunden und Überstunden im Justizvollzug des Freistaates Sachsen“. Drs. 5226

Überstunden im Justizvollzugsdienst zum Stand Juni. Drs. 6181

Kommentar nach dem Suizid von Al-Bakr in der JVA Leipzig: Langsam sind Erklärungen fast egal

Nach dem Suizid von Al-Bakr in der JVA Leipzig: Langsam sind Erklärungen fast egal

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Das mag alles richtig sein, aber wenn man z. B. die PK heute aus Anlass des Selbstmordes des al Bakr abgehalten wurde, verfolgt ist, wird klar, dass in der JVA Leipzig eigentlich alles ganz normal abgelaufen ist, wie es eben in einer normalen JVA bei einem normalen Zugang einer inhaftierten normalen Person abzulaufen hat. Die normalen Abläufe haben keine erhöhte Suizidgefahr festgestellt, die normale Überwachung hat stattgefunden, und im übrigen scheint es auch normal zu sein, dass sich Leute in einer JVA schon mal selbst töten.
Was wirklich schief gelaufen ist, ist, dass ein Mensch, nachdem zuvor bundesweit mit höchstem Einsatz und Aufwand gefahndet wurde und dem man eine überdurchschnittliche Gefährlichkeit attestierte, nachdem er durch einen glücklichen Zufall gefasst werden konnte, eben genau in einen solchen 0815-Routine-Ablauf gegeben und in einer ganz mormalen 0815-JVA untergebracht wurde, wie irgend ein ganz normaler Kleinkrimineller.
Und dafür trägt wer noch mal die Verantwortung?
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe leitet die Ermittlungen…

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