2013 hat nicht nur die damalige Staatsregierung aus CDU und FDP in Sachsen eine große Chance verpasst – auch die Grünen haben eine einmalige Gelegenheit vermasselt, die dauerregierenden Konservativen dazu zu bringen, die Hürden für direkte Demokratie abzubauen. Ohne die Grünen hätte es die Verfassungsänderung, mit der die sogenannte „Schuldenbremse“ Verfassungsstatus bekam, nicht gegeben. Jetzt kichert selbst die AfD und lehnt Direkte Demokratie ab.
Denn im Wahlkampf hat die Alternative für Deutschland (AfD) allerenden getönt, sie würde mehr Volksentscheide und mehr direkte Demokratie befürworten. Wenn es aber ans Handeln geht, benimmt sich diese grauhaarige Partei genauso wie alle anderen Parteien, die in Sachsen um die Macht pokern. Am Mittwoch, 31. August, stimmte die AfD-Fraktion genauso wie die Fraktionen von CDU und SPD gegen den Antrag von Grünen und Linken, die Schwellen für direkte Demokratie in Sachsen endlich einmal zu senken. Die meisten Volksbegehren scheitern schon an der Schwelle, dass sie die enormen geforderten Unterschriftenzahlen nicht zusammenbekommen, damit überhaupt einmal ein Volksentscheid zustande kommt.
Im März 2015 haben Grüne und Linke einen solchen Gesetzentwurf ins Verfahren gebracht. Mitte August haben CDU und SPD den Entwurf in der Sitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses schon einmal abgelehnt. Dem sind beide Fraktionen nun auch in der Landtagssitzung gefolgt. Dass die AfD gleich mit ablehnte, überrascht so langsam auch die Linkspartei nicht mehr.
„Wir haben zum x-ten Mal gefordert, der Volksgesetzgebung eine Lebensgrundlage zu geben: Wir wollen unter anderem die Quoren auf ein der Bevölkerungsentwicklung entsprechendes Maß reduzieren und dem Landtag das Recht geben, einen Gesetzentwurf zur endgültigen Abstimmung dem Volk zu überantworten“, erläutert der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Klaus Bartl, das Anliegen des Antrags. „Wir nehmen die Verfassung auch nach 25 Jahren ernst! Sie stellt das Volk dem Landtag als gleichberechtigten Partner in der Gesetzgebung zur Seite. In der Realität hat diese Partnerschaft nie funktioniert. Nur ein einziges Begehren wurde zum Volksentscheid gebracht. Das liegt überwiegend an den zu hohen Quoren. Wir wollen, dass es auch im Freistaat wieder realistischer wird, eine Initiative der Volksgesetzgebung auf den Weg zu bringen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen nicht länger demotiviert werden.“
Beide Fraktionen erleben jetzt also, was auch schon zu anderen Vorstößen zu einer niedrigschwelligeren Demokratiebeteiligung passiert ist: Die Regierungsfraktionen blocken ab und vertrösten auf eine ungewisse Zukunft. 2019 vielleicht.
„CDU und SPD aber erklären schlicht und ohne inhaltliche Debatte, dass sie bis 2019 keine Verfassungsänderung wollen“, stellt Bartl fest. „Tillichs Äußerungen über die Stärkung der Demokratie waren wohl nur leere Floskeln. Dass die SPD mitmacht, ist enttäuschend – sie hatte noch im Wahlkampf verkündet, dass man ‚keine Angst vor direkter Demokratie‘ habe und ‚mehr davon‘ wolle. Auch die sonst in dieser Sache schaumschlägerische AfD votiert gegen mehr Volksgesetzgebung, offensichtlich weil der Gesetzentwurf von politisch ungeliebter Seite kommt. Sie hat sich schnell den leidigen Ritualen angeschlossen, die in deutschen Parlamenten an der Tagesordnung sind.“
Enttäuscht von so viel alter Macht-Politik zeigt sich auch Lutz Richter, Demokratiepolitischer Sprecher der Linksfraktion: „Wir haben der Koalition schon zu Beginn der Wahlperiode angeboten, mit uns eine Demokratieoffensive zu starten. Der Wille dazu besteht auch bei dieser Koalition nicht. Da nützt auch eine Demokratiekonferenz nichts, die de facto nur den Status Quo verteidigt hat.“
Dabei ist eine Stärkung der Demokratie – auch durch mehr Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger – überfällig.
Lutz Richter: „Wir erlebten in den letzten Jahren eine Negativschlagzeile nach der anderen, gerade nach den Vorfällen in Freital, Heidenau, Clausnitz oder Bautzen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft, sich radikalen Forderungen anzuschließen, und der Unfähigkeit, kulturvoll zu debattieren. Demokratie muss gelernt werden, sie braucht Raum für Bewegung. Die Ost-Länder haben die Volksgesetzgebung aufgrund der Erfahrungen mit der DDR in ihre Verfassungen aufgenommen, um Lust an Beteiligung zu wecken. Heute ist sie ein zahnloser Tiger – peinlich für Sachsen! Die Koalition sollte den Menschen und sich selbst etwas zutrauen, den Mut haben, mit Vorschlägen auch dorthin zu gehen, wo ihr die Mehrheit nicht sicher ist und wo sie mit Argumenten überzeugen muss. Das wäre gut für die politische und demokratische Kultur!“
Der Gesetzantrag von Linken und Grünen. Drs. 1088 6_Drs_1088_101_1_1_
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