14 Jahre ist die große Flut von 2002 her. Sie löste damals in Sachsen so großes Entsetzen aus, dass die damalige Regierung ein milliardenschweres Hochwasserschutzprogramm auflegte, in dem nicht nur lauter neue Deiche und Rückhaltebecken steckten, sondern auch die Wiederherstellung von 7.500 Hektar Überschwemmungsflächen. Zumindest 2013 hatte man hoffen können, dass die tatsächlich bald da sind.
Sind sie aber nicht. Regelmäßig fragen die umweltpolitischen Sprecher der Grünen im Sächsischen Landtag nach. Eigentlich galt die Öffnung der Überschwemmungsfläche 2002 sogar als schnelles und bezahlbares Rezept, die verheerenden Folgen künftiger Fluten sofort zu mindern. Denn wenn die Flüsse bei Starkregen schon im Oberlauf das Wasser in den natürlich breiten Tälern und Senken verteilen können, schwillt die Flut gar nicht erst zu neuen Rekordpegeln an, drückt nicht mit rasender Wucht auf die Deiche am Unterlauf und lässt sie zerbrechen. Mit wenig Geld könnte man die möglichen Flutschäden deutlich minimieren.
Aber schon nach den ersten Beschlüssen zum Hochwasserschutzkonzept wurden seinerzeit die Prioritäten völlig vertauscht. Statt die verfügbaren Überschwemmungsflächen, die hinter einem System oft genug überalterter Deiche verriegelt sind, schnellstmöglich freizugeben, hat die Sächsische Talsperrenverwaltung ein gigantisches Investitionsprogramm in neue Deiche und Wehranlagen gestartet.
Die Zahlen sprechen für sich.
„Spätestens seit dem verheerenden Hochwasser im August des Jahres 2002 ist klar: Wir brauchen mehr Überflutungsflächen. Technische Bauten allein verschieben die Flut nur auf die Unterlieger. Die Bekenntnisse der verschiedenen Staatsregierungen zu natürlichem Hochwasserschutz scheinen aber nur Floskeln zu sein. Es ist bitter nötig, den Flüssen mehr Raum zu geben. Die Realität im Freistaat ist leider eine andere“, stellt der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Wolfram Günther, jetzt fest, nachdem er die neuen Zahlen für 2016 von Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) bekommen hat.
„Von insgesamt 2,4 Milliarden Euro Mitteln für den Hochwasserschutz wurden seit 2002 mit 9,5 Millionen Euro nur 0,4 Prozent für die Schaffung von Überschwemmungsflächen entlang der sächsischen Gewässer eingesetzt“, erläutert Wolfram Günther. „Das ist ein viel zu geringer Anteil. Immerhin werden hier Steuergelder in Milliardenhöhe eingesetzt. Der technische Hochwasserschutz wird trotz der Erfahrungen der jüngsten Flut weiter klar bevorzugt. Das nötige Umsteuern in Richtung nachhaltigem Hochwasserschutz fehlt. Natürliche Auenflächen sind die besten Hochwasserschutzflächen. Selbst für Hochwasserrückhaltebecken wurden nur 131 Millionen Euro ausgegeben und damit nur reichlich 5 Prozent der sächsischen Hochwasserschutz-Gelder.“
In den sächsischen Hochwasserschutzkonzepten für die Elbe und die sächsischen Gewässer 1. Ordnung waren nach den Hochwasserereignissen 2002 insgesamt 49 Maßnahmen mit einem Gesamtumfang von 7.500 Hektar Überflutungsflächengewinn vorgesehen. Dies betraf Deichrückverlegungen und einige neu zu schaffende Polder, wie die Grünen-Abgeordnete Gisela Kallenbach 2010 auf eine Anfrage erfuhr.
„Gemäß den aktuellen Antworten auf meine Anfragen hat sich die Staatsregierung von etlichen Projekten verabschiedet und plant jetzt nur noch 39 Maßnahmen. Damit reduziert sich die geplante Überflutungsfläche von einst 7.500 Hektar auf nur noch 5.650 Hektar. Bis jetzt sind selbst davon aber erst sieben Maßnahmen mit 260 Hektar Flächengewinn umgesetzt. Dies entspricht nur 3,5 Prozent der im Jahre 2010 noch geplanten 7.500 Hektar“, kommentiert Wolfram Günther.
Die Landesregierung setzt also weiterhin auf die Hochrisikostrategie einer technischen Hochwassersicherung, die dafür sorgt, dass die Hochwasserberge sich in rasender Geschwindigkeit talwärts bewegen und am Ende für dramatische Situationen in den Städten am unteren Flusslauf sorgen. Das werden auch die für Milliarden neu gebauten höheren Deiche nicht wirklich abfangen können.
„Angesichts der Gefahr erneuter Hochwasser leuchtet mir die Reduzierung der ursprünglichen Zielstellung um ein Drittel und das Schneckentempo der Realisierung überhaupt nicht ein. Das ist mehr als irritierend“, findet Günther. „Ich erwarte, dass der Umweltminister diese einschneidenden Veränderungen der Öffentlichkeit erläutert. Ich will wissen, wieso 14 Jahre nach der Flut 2002 erst sechs kleinere Deichrückverlegungen bei Eilenburg (Landkreis Nordsachsen), Sermuth (Landkreis Leipzig), Crossen (Landkreis Zwickau), Brischko (Landkreis Bautzen), Dörgenhausen (Landkreis Bautzen) und Flöha (Landkreis Mittelsachsen) sowie ein Polderbauwerk (Umverlegung Weißer Schöps, Landkreis Görlitz) fertig sind. Beim technischen Hochwasserschutz wurde erkennbar mehr auf das Tempo gedrückt und keinerlei Kosten gescheut.“
Von den weiteren durch die Staatsregierung aufgeführten 32 geplanten Maßnahmen ist aktuell lediglich eine einzige weitere im Bau. Dabei handelt es sich um den Polder bei Löbnitz im Landkreis Nordsachsen.
Die Grünen kritisieren den marginalen Stellenwert der Schaffung von Überschwemmungsflächen im Hochwasserschutz Sachsens. Aber das Problem ist wohl eher die Unlust eines zuständigen Ministeriums, sich mit den betroffenen Landwirten und Waldbesitzern anzulegen. Denn immer sind es natürlich auch von Forst und Landwirtschaft genutzte Flächen, die betroffen wären. Gerade in den vergangenen 100 Jahren ist der Mensch auch mit wertvollem Baubestand immer weiter in die natürlichen Auen der Flüsse vorgedrungen. Und das sind nicht unbedingt die Ärmsten der Armen, die hier Wassernähe gesucht haben. In den Großstädten sind es meist sogar die hochpreisigen Wohnquartiere, die weit ins Auenland hineingebaut wurden.
Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfram Günther (Grüne) „Finanzielle Ausgaben für vorbeugenden Hochwasserschutz in Sachsen zwischen 2002 und 2016“ (Drs 6/5575).
Antwort von Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfram Günther (Grüne) „Stand der realisierten Deichrückverlegungen 2002 bis 2016 − Vorbeugender Hochwasserschutz in Sachsen“ (Drs 6/5576).
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