Früher mal, als der kleine tapfere Widersacher Helmut Kohls noch was bewegen wollte in der deutschen Politik, da schrieb er Bücher, die zündeten beim Publikum. So wie 1985 „Die neue Sicht der Dinge“. Da stand Kurt Biedenkopf noch für einen innerparteilichen Streit, den die heutige CDU gar nicht mehr kennt. Kein Vergleich mit dem goldenen Herumgeeier um seine 2015 veröffentlichten Tagebücher.

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, die vielleicht auch nur ein großes Missverständnis ist, wenn der Freistaat Sachsen die drei Tagebuchbände mit Biedenkopfs Notaten aus der Frühzeit als sächsischer Ministerpräsident mit 300.000 Euro finanziert und am Ende ein seltsamer Streit entbrennt, wer denn nun eigentlich die Idee dazu hatte. Der Ministerpräsident soll’s nicht gewesen sein. Biedenkopf sah sich gebeten, es zu tun. Die Summe ist selbst für solche Bücher, die vielleicht mal Historiker interessieren, zumindest ungewöhnlich. Was auch der Grund ist dafür, warum der Landtagsabgeordnete André Schollbach von den Linken immer wieder nachfragt, was genau da wirklich gelaufen ist und warum auch die Staatskanzlei so herumdruckst.

Denn bezahlt wurde das Projekt ja aus dem großen Fördertopf zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit. Das hat noch eine gewisse Logik, obwohl natürlich die Frage berechtigt ist: Warum wurden mit der Summe keine neuen, jungen, frischen Kreativprojekte in Sachsen finanziert? Gibt es nicht spannendere Texte, die davon erzählen, wie 1990 alles begann und was dabei herausgekommen ist?

Zu Recht kritisieren auch Schriftsteller, die sich für ihre Projekte nun seit Jahren um wesentlich geringere Summen bewerben und fast immer leer ausgehen, über dieses politische Geschenk unter Parteifreunden. Denn nichts anderes scheint es am Ende zu sein.

Das Sahnehäubchen gab es ja am 21. September 2015 in der Vertretung des Freistaats Sachsen in Berlin. Da wurden die frisch produzierten Tagebücher Biedenkopf offiziell vorgestellt – natürlich auf Kosten der sächsischen Steuerzahler. Thomas Rathnow vom Siedler Verlag würdigte das „außergewöhnliche Buchprojekt“. Dr. Peter Tauber, Generalsekretär der CDU, sprach lobende Worte. Und moderiert wurde die Veranstaltung, zu der der Freistaat 1.140 Personen eingeladen hatte, von Elisabeth Niejahr, Journalistin bei der „Zeit“. Sie hat dafür sogar ein kleines Honorar bekommen von 700 Euro, wie André Schollbach nun erfährt, nachdem er genau zu dieser Veranstaltung nachgefragt hat.

Aber das Honorar für die Moderatorin war nicht mal das Teuerste. Es waren auch keine 1.140 Gäste gekommen, sondern nur 200. Und die wurden üppig umsorgt: Die Landesvertretung stellte Getränke im Wert von 632 Euro zur Verfügung (wahrscheinlich edle Weine von Meißner Hanglagen oder gleich gar vom Gut Wackerbarth – das steht so nicht da). Und ein opulentes Catering gab es auch. Man hatte eines für 4.010 Euro bestellt. Die Party kostete also mal schnell 5.000 Euro, auch die Übernachtungskosten von Kurt und Ingrid Biedenkopf übernahm der Freistaat, das Porto für die 1.140 Einladungen sowieso, so dass die ganze Feier schlappe 6.000 Euro gekostet hat. Davon hätten andere ein ganzes Buch finanziert.

„Die Präsentation der Tagebücher in der Landesvertretung diente der Zielstellung, die Publikation über die Medien einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland bekannt zu machen“, erklärt Dr. Fritz Jaeckel, Leiter der Sächsischen Staatskanzlei, auf Schollbachs Frage, was das Ganze nun sollte. „Die Tagebücher leisten aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums des Freistaates Sachsen und der Deutschen Einheit einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung der gesamtdeutschen Aufbauleistung am Beispiel der politischen Entwicklung in Sachsen in den Jahren 1990 bis 1994.“

Ein paar der eingeladenen Journalisten haben die Tagebücher dann auch wohlwollend besprochen. Die „breitere Öffentlichkeit“ hat sie bis heute ignoriert. Im Unterschied zu zwei anderen Büchern, mit denen sich Kurt Biedenkopf auch nach seinem Rücktritt 2002 als Ministerpräsident in die öffentliche Debatte einmischte – mit „Die Ausbeutung der Enkel. Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunft“ von 2006 sprach er ein Thema an, das bis heute nicht gelöst ist: die Rentenpolitik, die immer mehr zulasten der jüngeren Generationen geht. 2011 sprach er dann mit „Wir haben die Wahl. Freiheit oder Vater Staat“ den großen Konflikt an, der sich in der schwarz-gelben Koalition, die 2010 bis 2014 regierte, noch einmal austobte – die „Freiheit“ der Märkte wurde noch einmal gefeiert als Goldenes Kalb – aber gerade in dieser Zeit wurde unübersehbar, dass es ohne einen starken Staat für die meisten Probleme keine Lösungen gibt.

Nur darf der Staat nicht gleich Weihnachtsmann sein. Und irgendwie hat Sachsens Staatsregierung im Fall der Biedenkopf-Tagebücher doch ein bisschen den Weihnachtsmann gespielt. Wen man alles zur Party eingeladen habe, wollte Fritz Jaeckel dann freilich nicht verraten – das hat irgendwie mit Persönlichkeitsrechten zu tun. Vielleicht hätte man dann aber auch erfahren, wer alles nicht zu dieser Party gekommen ist – trotz Einladung. Und wer erst gar keine Einladung bekommen hat. Die schönsten Erkenntnisse stecken oft genug in den Antworten, die man partout nicht bekommt.

André Schollbachs Anfrage zu den Partykosten vom 21. September 2015. Drs. 5442

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