Eile ist wirklich kein gutes Rezept für Meldungen über nicht ganz einfache Gerichtsentscheide - wie der des Bundesverwaltungsgerichts am Freitag, 15. Juli. Da ging es mal wieder um die Waldschlösschenbrücke in Dresden. Irgendwie zumindest. Aber um eines ging es ganz bestimmt nicht: um den Abriss der Brücke. Auch wenn die LVZ am 15. Juli genau so titelte.
„Bundesrichter schmettern Klage ab – Waldschlößchenbrücke in Dresden darf stehen bleiben“, lautete die Überschrift in der gedruckten Ausgabe am Samstag, 16. Juli. Was schlichtweg nicht Thema der Verhandlung war, auch wenn die klagende Grüne Liga den Planfeststellungsbeschluss für die Brücke in Frage gestellt hatte. War er nun rechtswidrig oder war er es nicht? Und: Was folgt daraus?
Schon im Januar 2016 hatte der vom Bundesverwaltungsgericht angerufene Europäische Gerichtshof entschieden, „dass sich im vorliegenden Fall aus dem Verschlechterungsverbot eine Pflicht zur Durchführung einer nachträglichen FFH-Verträglichkeitsprüfung ergibt.“
FFH ist ein nach europäischem Recht geschütztes Flora-Fauna-Habitat. Die Waldschlösschenbrücke wurde genau in so einem Schutzgebiet gebaut.
Die Grüne Liga hat schon Recht, wenn sie feststellt, dass diese Brücke nie hätte gebaut werden dürfen.
Aber wie schafft man es trotzdem, so eine Brücke zu bauen, wenn doch nun einmal in einem FFH-Gebiet ein Verschlechterungsverbot besteht? Man spielt auf Zeit. So geschehen in Dresden.
Denn erzählen, dass die Genehmigungsbehörden der Brücke im Februar 2004 nicht wussten, dass die betroffenen Schutzgebiete im Elbtal als FFH-Gebiet bei der EU-Kommission gemeldet werden sollten, kann eigentlich niemand. Das Bundesverwaltungsgericht hat bewusst daran erinnert, dass die ersten Einsprüche der Umweltverbände genau aus dieser Zeit stammen. Denn es war offiziell bekannt, dass die artenreichen Gebiete im Elbtal als FFH-Gebiet nach Brüssel gemeldet werden sollten. Deswegen haben die Umweltschützer schon im April 2004 Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vor dem Verwaltungsgericht Dresden erhoben.
Es waren immer wieder sächsische Richter, die die berechtigten Klagen der Grünen Liga zurückwiesen. 2007 war es das Sächsische Oberverwaltungsgericht, das mit einer Abweisung der Klage auf Eilrechtsschutz den Weg zum Bau der Brücke freimachte, was dann erst den langen Weg der Umweltschützer durch die Instanzen bis hinauf zum Bundesverwaltungsgericht erzwang, der nun erst einmal sein Ende fand.
2014 waren sich auch die Bundesverwaltungsrichter nicht klar, wie man mit dem Dresdner Umgang mit der FFH-Richtlinie umgehen sollte. Selbst das Dresdner Verwaltungsgericht hatte 2008 so einige offene Fragen und wollte die Sache lieber nicht entscheiden, wies die nochmalige Klage ab, ließ aber die Berufung zu.
Denn 2008 hatte sich sehr wohl herausgestellt, dass der Brückenbau eine erhebliche Beeinträchtigung des FFH-Gebietes darstellte. Die Landesdirektion griff dann zum Mittel einer Ausnahmezulassung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie.
2011 schlug das Ganze eine neue Volte, als zwar das Sächsische Oberverwaltungsgericht die Klage ebenfalls zurückwies, diesmal aber eine Revision des Verfahrens zuließ. Womit das Ganze dann ans Bundesverwaltungsgericht ging. 2014, als das Bundesverwaltungsgericht sich dann mit Bitte um Klärung an den Europäischen Gerichtshof wandte, waren alle Eulen verflogen und die Brücke längst fertig.
Tatsächlich hat das Gericht jetzt festgestellt, dass eine Ausnahme von Artikel 6 der Europäischen FFH-Richtlinie zwar möglich ist – aber nicht so, wie es die Landesdirektion in Dresden gemacht hat. Auch wenn ein berechtigtes „öffentliche Interesse“ (Absatz 4) für so ein Bauwerk vorliegt, wird Absatz 3 damit nicht außer Kraft gesetzt, der zwingend eine FFH-Verträglichkeitsprüfung vorsieht. (Absatz 3).
Und eigentlich hat das Gericht auch deutlich gemacht, dass diese Verträglichkeitsprüfungen zwingend mit den Änderungen des Planfeststellungsbeschlusses von 2008 und 2010 hätten erfolgen müssen. Da war die Brücke ja bekanntlich im Bau. Aber seit Dezember 2004 war das betroffene Gebiet eindeutig als Europäisches FFH-Gebiet ausgewiesen.
Diese Verträglichkeitsprüfung ist bis heute nicht erfolgt. Und das endlich nachzuholen, dazu hat das Bundesverwaltungsgericht die Landesdirektion Dresden jetzt verdonnert. Denn bei so einer Prüfung geht es nicht explizit darum, Bauwerke wie die Waldschlösschenbrücke zu beseitigen oder zu sperren oder was der windigen Ideen mehr sind, sondern um eine Wiederherstellung des ursprünglichen geschützten Zustandes. Und wenn das nicht (mehr) möglich ist, dann muss für alle Tatbestände der Verschlechterung im FFH-Gebiet ein Ausgleich gesucht und gefunden werden.
Dass es nicht um die Brücke ging, hat das Bundesverwaltungsgericht extra betont: „Die Landesdirektion Dresden hat nun ein ergänzendes Verfahren durchzuführen, um die festgestellten Mängel zu beheben. Die weitere Nutzung der Brücke bis zum Abschluss dieser Prüfung war nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht.“
Die LVZ hat trotzdem auch online weiter drüber schwadroniert.
Und dabei das ausgeblendet, was die Richter wirklich kritisiert haben: Die sächsische Verwaltungsarbeit, in der man bei Bauprojekten oder Lieblingsideen einiger Politiker nur allzu bereit ist, sämtliche naturschutzrechtlichen Prüfungen zu unterlassen. Das ist in Leipzig ein altes Thema, das um Floßgraben, Flughafen und Pleißeausbaggerung schon einige Kapriolen geschlagen hat.
Bei der Waldschlösschenbrücke aber hat man nicht mal das geprüft, was sogar vor Inkrafttreten des FFH-Schutzes zwingend erforderlich gewesen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht benennt auch das: „Ferner fehlt eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende artenschutzrechtliche Prüfung.“ Da geht es dann nicht um die Gesamtintaktheit des Schutzgebietes, sondern um das Vorkommen besonders geschützter Arten. Für Leipzig legendär sind ja die Debatten um den Eisvogel am Floßgraben oder die Grüne Keiljungfer an der Pleiße.
Die Landesdirektion meint nun aus dem Urteil herauslesen zu können: „Das Gericht hat klargestellt, dass die naturschutzrechtlichen Prüfungen zu jedem Zeitpunkt dem jeweiligen Stand der Rechtsprechung entsprachen.“
Genau das aber trifft nicht zu. Und was das Bundesverwaltungsgericht angewiesen hat ist auch nicht, wie die Landesdirektion meint, „eine ergänzende Prüfung“. „Eine solche Prüfung war zwar auf Grundlage umfangreicher Fachgutachten bereits durchgeführt worden. Diese Prüfung konnte aber die nun vom EuGH und dem Bundesverwaltungsgericht präzisierten zeitlichen Maßstäbe noch nicht berücksichtigen“, meint die Landesdirektion.
Das Bundesverwaltungsgericht aber spricht eindeutig von der „Pflicht zur Durchführung einer nachträglichen FFH-Verträglichkeitsprüfung“. Da mag man in Dresden alles Mögliche geprüft haben, das aber, was tatsächlich zwingend geprüft hätte werden müssen, wurde nicht geprüft. Deswegen spricht das Gericht auch nicht von einer „ergänzenden Prüfung“, als würden nur noch ein paar belanglose Prüfungsteile fehlen, sondern von einem „ergänzenden Verfahren“, das nämlich zwangsläufig feststellen muss, welche Beeinträchtigungen der Brückenbau verursacht hat und welche ergänzenden Ausgleichsmaßnahmen nun folgen müssen.
Dass so etwas auf die Landeshauptstadt Dresden zukommen könnte, vermutet die Landesdirektion zu Recht, wenn sie schreibt: „Ob die Landeshauptstadt Dresden zur Vornahme zusätzlicher Schutzmaßnahmen verpflichtet werden muss, kann aber endgültig erst nach Auswertung der Unterlagen beurteilt werden, zu deren Vorlage die Landeshauptstadt Dresden nach den Urteilen des EuGH und des BVerwG nun verpflichtet ist. Die Unterlagen werden von der Landesdirektion sorgfältig und ergebnisoffen geprüft werden.“
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