Dass die wiederholten Aufrufe der AfD zu Besonnenheit und MรครŸigung keiner inneren รœberzeugung folgen, zeigte sich einmal mehr wรคhrend des Amoklaufs in Mรผnchen, als Parteifunktionรคre รถffentlich voreilige Schlรผsse zogen. Doch auch in anderen Zusammenhรคngen scheint manchen Abgeordneten jeder Populismus recht. Mitglieder der sรคchsischen Landtagsfraktion setzten in den vergangenen Wochen politische Gegner mit Diktatoren gleich und verglichen Regierungshandeln mit kriegerischen MaรŸnahmen des Naziregimes.

Mรผnchen, 22. Juli, Freitagabend: Als die Polizei noch auf der Suche nach mรถglichen Komplizen des Amoklรคufers ist und รผber die Motive des Tรคters keine gesicherten Informationen vorliegen, haben einige hochrangige Funktionรคre der AfD bereits alle Erklรคrungen parat. Andrรฉ Poggenburg, Landeschef und Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt, dankt kurz vor 22 Uhr auf Twitter ironisch der โ€žMerkel-Einheitsparteiโ€œ fรผr den โ€žTerror in Deutschland und Europaโ€œ. Einige Minuten zuvor hat der Bundespressesprecher Christian Lรผth einen pietรคtlosen Tweet abgesetzt, der mit der Forderung โ€žAfD wรคhlen!โ€œ beginnt. Kurz darauf entfernte er den Beitrag wieder. Auf der Facebookseite der sรคchsischen AfD heiรŸt es noch am gleichen Abend: โ€žDer Terror ist wieder zurรผck! Wann handelt Frau Merkel endlich?โ€œ

Immer wieder rufen Politiker der AfD nach Gewalteskalationen zu Besonnenheit auf. Werden nach Angriffen auf Geflรผchtete, Muslime, Journalisten oder linke Politiker und Aktivisten Vorwรผrfe laut, die Partei betreibe verbale Brandstiftung und trage somit eine Mitschuld, weist die AfD diese von sich.

Ralf Nahlob, Pressesprecher der Leipziger AfD und Mitglied im sรคchsischen Landesvorstand, forderte bereits Anfang Juli 2016 nach dem Angriff von Unbekannten auf einen Legida-Ordner โ€žMรครŸigung auf beiden Seiten der politischen Lagerโ€œ. Doch im sรคchsischen Landesverband klaffen Anspruch und Realitรคt seit diesem Statement weit auseinander. Populistische Vergleiche mit Diktatoren und Naziterror stehen quasi auf der Tagesordnung, man versucht sich als den anstรคndigen Gegenpol zu inszenieren.

Die โ€žDoppelnamenโ€œ-Strategie & verbale Stรถckchen

Als Erste geriet vor zwei Wochen die sรคchsische Integrationsministerin Petra Kรถpping (SPD) ins Visier der Rechtspolitiker. Wurde sie von Generalsekretรคr Uwe Wurlitzer zunรคchst noch als โ€žBierdeckel-Kรถppingโ€œ verspottet, weil ihr Ministerium auf eben jenen Glasuntersetzern รผber Gerรผchte im Zusammenhang mit Geflรผchteten aufklรคren mรถchte, fuhr der AfD-Landtagsabgeordnete Jรถrg Urban einen Tag spรคter schon schwerere Geschรผtze auf.

Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry war dieses Mal nicht betroffen und schwieg bislang zum Vorgang. Ihre Adresse reichte am Nachmittag des 1. Mai ein Indymedianutzer nach. Foto: L-IZ.de
Die sรคchsische AfD unter Frauke Petry (โ€žPinocchio-Presseโ€œ) hat vor allem den rechten Rand im Blick. Foto: L-IZ.de

 

Er stรถrte sich daran, dass zusรคtzlich zu der Bierdeckel-Aktion auch Videoclips in den Dresdner StraรŸenbahnen laufen sollen. Kรถpping sei deshalb eine โ€žKim-Jong-Ministerinโ€œ. Es gelte โ€žnordkoreanische Verhรคltnisseโ€œ zu verhindern. Die UNO warf den Machthabern Nordkoreas vor zwei Jahren โ€žVernichtung, Versklavung und Aushungern der eigenen Bevรถlkerungโ€œ vor. Inwiefern ein solches Regime fรผr einen Vergleich mit Botschaften auf Bierdeckeln und StraรŸenbahn-Monitoren geeignet ist, ist der AfD dabei egal โ€“ es geht nicht um den Sinn.

Es folgt der eigentlichen Taktik der AfD. Mittels groรŸer Worte, oft als Kombinationen wie das bekannte โ€žPinocchio-Presseโ€œ oder eben โ€žKim-Jong-Ministerinโ€œ werden verbale Stรถckchen hingehalten โ€“ man hofft auf die Reaktion des Attackierten oder der Presse. Den eigenen Anhรคngern, welche diese Art des eher seltsamen Humors in der Nรคhe von Altherrenwitzen goutieren, hofft man Anlass zum Schmunzeln zu geben. Und natรผrlich der Weiternutzung der sinnentleerten Schlagworte.

Unnรถtig eigentlich also zu erรถrtern, was Sachsen von Nordkorea trennt. Dank einer Vielfalt an Informationsmรถglichkeiten, zu denen auch die ร„uรŸerungen der AfD zรคhlen, kann man hier neben ausdifferenzierter Berichterstattung aus allen mรถglichen politischen Sichtweisen auch einen tรคglichen Schlagabtausch der Populisten und Sinnverkรผrzer beobachten. Wenn man die Zeit fรผr derlei Nonsens hat. Unnรถtig auch weiter auszufรผhren, dass die gleiche Hรคme auch bei Legida groรŸen Anklang findet, wo man sich eine Weile รผber solche Wortkreationen wie โ€žConchita-Kasekโ€œ amรผsierte.

Nicht alles was hinkt, ist auch ein Vergleich

Teil zwei solcher Wortmeldungen seitens der AfD sind neben der Taktik โ€“ Dreck werfen, irgendwas wird schon hรคngen bleiben โ€“ nahezu immer vorgeblich globale, wenigstens aber deutsche Themen. So spekulierte Urban anschlieรŸend darรผber, ob die Aufklรคrungsspots รผber Geflรผchteten-Gerรผchte in der Bahn womรถglich gegen das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung, konkret gegen das โ€žRecht auf Nichtwissenโ€œ, verstoรŸen kรถnnten. Fรผr gewรถhnlich wird diese Formulierung jedoch nur im Zusammenhang mit medizinischen Aspekten, etwa der Genforschung, verwendet. Demnach dรผrfen Menschen selbst darรผber entscheiden, in welchem AusmaรŸ sie รผber Krankheiten und vererbte Risiken informiert werden mรถchten.

Dieses gesellschaftlich relevante Thema nun darauf zu projizieren, ob Dresdner Bahnfahrer dort mit einigen Widerworten konfrontiert werden, wo gleichzeitig der Alltagsrassismus Blรผten treibt, beschreibt Teil zwei der Propaganda von rechts. Dass dieses Recht auf Nichtwissen bei vielen AfD-Anhรคngern lรคngst Konjunktur hat, steht auรŸer Frage. Dass es die Partei im Sinne der eigenen Wahlerfolge lieber dabei belassen mรถchte auch.

Neben Urban meldeten sich auch sein Fraktionskollege Carsten Hรผtter und der stellvertretende Landesvorsitzende Siegbert Droese, der zugleich Vorsitzender des Leipziger Kreisverbandes ist, in Sachen groรŸe Politik aus Sachsen zu Wort.

Hรผtter griff Presseberichte von Dienstag, 26. Juli, auf, wonach es innerhalb der Bundesregierung รœberlegungen gebe, โ€žReservistenโ€œ mit polizeilicher oder militรคrischer Ausbildung zur Unterstรผtzung der Polizei einzusetzen. Auf freiwilliger Basis wohlgemerkt. Der sicherheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion schlussfolgerte daraus, dass der โ€žMerkel-Staatโ€œ auf โ€žeine Art โ€šVolkssturmโ€˜ zurรผckgreifenโ€œ wolle.

Zum Hintergrund: Der sogenannte Volkssturm wurde gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gebildet, um insbesondere Verteidigungsaufgaben zu รผbernehmen. Neben Erwachsenen wurden auch Minderjรคhrige, teils deutlich unter 18 Jahren, zwangsweise zum Kriegsdienst herangezogen. Zehntausende kamen dabei ums Leben. Verweigerern drohte die Todesstrafe. So kritisch man also das kurzfristige Handeln sehen mag โ€“ mit โ€žVolkssturmโ€œ hat es nichts zu tun. Das Wort klingelt nur so schรถn in den Ohren.

Bereits eine Woche zuvor griff Landesvize Droese anlรคsslich der unter deutscher Fรผhrung stattfindenden Nato-Truppenverlegung nach Litauen ebenfalls zu einem Vergleich mit dem Naziregime. Er bezeichnete das Vorgehen als โ€žUnternehmen Barbarossa IIโ€œ und zog somit eine Kontinuitรคt zum 75 Jahre zurรผckliegenden รœberfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, dem ursprรผnglich ein rassistisch motivierter Vernichtungskrieg gegen groรŸe Teile der Bevรถlkerung folgen sollte.

Rechte Vernetzung unter Nationalisten wird zu Vรถlkerverstรคndigung

Auch hier bricht man ein komplexes aktuelles Thema auf eine preiswerte Nazi-Ebene herunter und greift tief dabei in die nationalsozialistische Sprachkiste. Ein gutes Verhรคltnis zu Russland zรคhlt fรผr die sรคchsische AfD traditionell zu den auรŸenpolitischen Kernforderungen. Fรผr viele linke Politiker durchaus auch, wie auch fรผr Teile der SPD. Was also trennt hier den Wunsch nach Vรถlkerverstรคndigung vom Verhรคltnis der AfD zu Russland?

In der aktuellen Ausgabe ihres regelmรครŸig erscheinenden Infobriefs berichtet der sรคchsische AfD-Landesverband von einer Reise von zehn Dresdner Parteimitgliedern nach Russland und erwรคhnt dabei unter anderem ein Gesprรคch mit einem โ€žAnhรคngerโ€œ des extrem rechten Publizisten Alexander Dugin. Eine โ€žReiseleiterinโ€œ habe sich mit den Worten verabschiedet: โ€žRussland und Deutschland mรผssen wieder zusammenwachsen. Gemeinsam sind wir unbesiegbar.โ€œ Diesen โ€žImpulsโ€œ wolle man laut Infobrief โ€žmitnehmenโ€œ.

Demnach eher ein Vernetzungstreffen mit ultranationalistischen Vertretern aus der ganz rechten Ecke des russischen Vielvรถlkerstaates. Wo da die Friedenspolitik bleibt, ist das Geheimnis der Partei mit den robusten Schlagworten.

Seht her, wir werden verfolgt

SchlieรŸlich legte auch AfD-Generalsekretรคr Uwe Wurlitzer noch einmal nach, als er sich auf ein lรคngeres Interview des stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Ralf Stegner im Deutschlandfunk bezog. Dieser hatte im Zusammenhang mit der Antisemitismusdebatte im baden-wรผrttembergischen Landesverband der AfD gesagt: โ€žMan muss die Rechtspopulisten in aller Hรคrte attackieren. Ich fรผge hinzu: Ihre Fรผhrung, nicht ihre Wรคhlerinnen und Wรคhler.โ€œ

Wurlitzer fรผhlte sich daraufhin laut eigener Pressemitteilung an den sogenannten Spartakusaufstand im Januar 1919 erinnert und zitierte einen damals auf Flugblรคttern in Umlauf gebrachten Text: โ€žSchlagt ihre Fรผhrer tot! Tรถtet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Arbeit und Brot haben.โ€œ Stegners ร„uรŸerung sei โ€žein unverhohlener Gewaltaufruf.โ€œ

Dies ist dann der Taktik dritter Teil. Auf Meldungen politischer Gegner als Opfer zu reagieren und so zwei Dinge รถffentlich zu postulieren: Seht her, wir sind die Gejagten und eigentlich anstรคndig. Und: Natรผrlich aus einer im Kontext anders einzuordnende Aussage eine Drohung zu konstruieren.

Ein kurzer Blick in den Duden hรคtte fรผr Wurlitzer also genรผgt, um festzustellen, dass das Wort โ€žattackierenโ€œ mehrere Bedeutungen besitzt. Eine davon lautet: โ€žscharf kritisierenโ€œ. Dem AfD-Landtagsabgeordneten Detlev Spangenberg wรคre ein solcher Fauxpas womรถglich nicht passiert. In einer zwei Tage spรคter verbreiteten Mitteilung warnte er vor einem โ€žNiedergang der deutschen Spracheโ€œ und stellte fest, dass eben jene โ€žeines der komplexesten Gebilde der Weltkulturโ€œ sei. Offenbar zu komplex fรผr Wurlitzer. Und fรผr die Freunde der verkรผrzten Botschaft in der AfD.

Denn auch der โ€žTerrorโ€œ des Islam hat sich in Mรผnchen eher als die Amoktat eines vollstรคndig sozial entgleisten und vereinsamten Jugendlichen mit extremen Gewaltphantasien entpuppt, der offenbar Tรผrken und Araber hasste und es wichtig fand, am gleichen Tag wie Adolf Hitler geboren zu sein.

Man darf gespannt sein, was die AfD nun daraus machen wird.

Deutschlandfunk: โ€žDie AfD ist gefรคhrlich fรผr unsere Demokratieโ€œ

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Manchmal warte ich wirklich drauf, dass die sich als Satire-Partei outen. Die geben teilweise so unglaublich dumme Dinge von sich โ€“ das KANN einfach nicht echt sein. Ob da vielleicht doch der Bรถhmiโ€ฆ?

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