Der König stand nackt da, kaum hatten die Briten ihr „Ja“ zum Brexit erklärt. Völlig ohne jeden Handlungszwang erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, er wolle das umstrittene Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) ohne Mitspracherecht der nationalen Parlamente zur Ratifizierung bringen. Da fassten sich selbst die Kommentatoren der FAZ an den Kopf: Hat der Mann überhaupt nichts gemerkt?
Das ist gut möglich. Dieses Europa ist zur Spielwiese von Leuten geworden, denen nationale Befindlichkeiten suspekt sind, demokratische Rückkopplungen sowieso. Am liebsten verhandeln sie mit Leuten, die nichts anderes kennen, als Verhandeln: Anwälten großer Konzerne, die nach 30 Jahren „Entfesselung der Märkte“ das Gefühl haben, da gibt es nun niemanden mehr, der sich ihnen mit sozialen, ökologischen oder demokratischen Bedenken in den Weg stellt. Die Politikergarde, die sich in den letzten Jahrzehnten an die Spitze gedrängt hat, hat den Lehrspruch verinnerlicht: „Der Markt wird es richten.“
Warum dann nicht den „Markt“ – sprich: die großen Konzerne und Handelskammern – einfach damit beauftragen, die völkerrechtsverbindlichen Verträge der Zukunft zu machen? Solche Verträge wie CETA und TTIP, die gleich reihenweise in nationale und regionale Rechtsbestände eingreifen. Es geht nicht mehr um Chlorhühnchen – aber die Leib- und Magen-Zeitungen der Großunternehmer wärmen das Märchen immer wieder nur zu gern auf, um davon abzulenken, dass es um die rechtsverbindliche Aushebelungen weiterer demokratischer Besitzstände geht.
Nicht das erste Mal. Das ist das Problem. In lauter kleinen, giftigen Dosen haben die Granden der EU-Kommission Europa diese Umwertung aller Werte verpasst. Die Kommunen können ein Lied davon singen, wie ihnen bei der Selbstbestimmung der lokalen Selbstversorgung die Fesseln angelegt wurden. Ein falscher Schritt, ein falscher Ton, und sie sehen sich heute schon in einem teuren Prozess mit gut aufmunitionierten Konzernen vor Gericht wieder. Erlebt bei der Energieversorgung, drohend bei der Betrauung mit dem ÖPNV. Mit CETA und TTIP wird das nur ausgeweitet, werden weitere Bereiche der öffentlichen Vorsorge in die Bereiche des Wirtschaftsrechts verschoben, wird ein wesentlicher Teil der demokratischen Souveränität dem „Wettbewerb“ geopfert.
Logisch. Einer wie Juncker hat damit kein Problem. Als Finanz- und Premierminister von Luxemburg hat er verinnerlicht, wie freundlich die Herren aus den Rechtsabteilungen der Konzerne werden, wenn man ihnen mit massiven Steuererleichterungen entgegenkommt. Stimmt es etwa nicht, dass es dem eigenen Geldbeutel gut tut, wenn es den großen Steuervermeidern gut geht?
Nicht viel besser sind regionale Regierungen, die sich einfach wegducken und sich auch keine eigene Kompetenz in diesen diffizilen – und am Ende so folgenreichen – Fragen aufbauen.
Die europapolitische Sprecherin der Linksfraktion im sächsischen Landtag, Anja Klotzbücher, wollte jetzt aus aktuellem Anlass schon gern wissen, ob sich die sächsische Regierung darüber klar ist, welche Folgen CETA für den Freistaat hätte.
„Die Staatsregierung stellt sich vor allem hinter die Bundesregierung. Die demonstrative Einigkeit der Regierungsparteien CDU und SPD zwischen Bundes- und Landesebene ist ihr einmal mehr wichtiger als ihre Verantwortung für die Bürger*innen in Sachsen“, beschwert sich Klotzbücher nun, nachdem ihr Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) geantwortet hat.
Immerhin: Auch Dulig hat gemerkt, wie die Verfechter von CETA über diesen Vertrag eigentlich ans Eingemachte wollen: Nämlich die Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge, die noch nicht in privaten Händen sind.
„Interessanterweise bekennt sich die Staatsregierung zur öffentlichen Daseinsvorsorge in Sachsen und möchte darauf achten, dass diese durch CETA nicht infrage gestellt wird. Diese Position könnte schon fast als eine Art Rückversicherung gelten, ist es doch einer der Kernpunkte des geplanten CETA-Abkommens, die Märkte für Strom, Personennahverkehr oder auch die Abfallentsorgung zu liberalisieren“, kommentiert Klotzbücher die Stellungnahme des Ministers.
Wie widersinnig die Haltung ist, steckt eigentlich schon in Duligs Antwort in Bezug auf Subventionen: „In ihrer Antwort auf Frage 9 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Garen Lay, Karin Binder u. a. der Fraktion Die Linke im Bundestag, BT-Drs.: 18/6838 hat die Bundesregierung ausgeführt, dass die Regelung zu ‚public Utilities‘ die Möglichkeit gewährt, jederzeit öffentliche Monopole einzurichten oder ausschließliche Rechte zu gewähren.“
Das macht keinen Sinn, wenn man erst die Monopole auf die Daseinsvorsorge unterminiert, um dann die „Möglichkeit“ einzurichten, solche Monopole nachträglich (wieder) aufzurichten. Wer wird das tun und mit welcher Begründung? Und wie schnell sehen sich die Regierungen, die das tun, vor Gericht wieder mit Unternehmen, die durch solche Monopole ihr Geschäft beeinträchtigt sehen?
Was sich in England durch den Brexit aussprach, gärt ja überall in Europa – und zwar nicht nur in populistischen Strömungen. Das Unbehagen an der selbstherrlichen, eigentlich junckerlichen Politik der EU-Kommission ist überall präsent. Auch weil zu viele Bürger sehen können, wie die scheinbar irgendwo in höheren Sphären geschlossenen Verträge dazu führen, dass ihre Heimat privatisiert wird.
Da glaubt auch Klotzbücher nicht wirklich daran, dass ausgerechnet die so zögerliche sächsische Regierung dann, wenn die ersten negativen Folgen auch Sachsen erschüttern, die Kraft hat, sich gegen die Eingriffe zu wehren. Denn hier geht es nun einmal nicht um bürgerliche Rechte, sondern um Wirtschaftsrecht. Und wie schnell das übergriffig werden kann, wenn regionale Monopole der Daseinvorsorge die Konkurrenz stören, macht Dulig deutlich, wenn er erläutert: „Nach den Regelungen des Subventionskapitels (Kapitel 7 CETA) kann eine Vertragspartei Konsultationen mit der anderen Partei einfordern, wenn eine Subvention ihre Interessen beeinträchtigt. Die angesprochene Partei soll sich darum bemühen, ihre Unterstützungsmaßnahmen zu eliminieren oder jegliche negativen Effekte zu minimieren.“
Aber wann werden aus natürlichen Monopolen inkriminierbare Subventionen? Das weiß man ja selbst jetzt nicht, wenn man nur an die vorsichtige Eierei der Stadt Leipzig denkt, wenn sie versucht, ihre miserabel schlechte Subventionierung der eigenen Verkehrsbetriebe zu erklären.
„Wenn das Freihandelsabkommen CETA in Kraft getreten ist, wird es sich zeigen, ob die Staatsregierung ihr Rückgrat behält und die Deregulierung in der öffentlichen Daseinsvorsorge in Sachsen verhindert“, sagt Klotzbücher. „Wenn die EU-Kommission das Abkommen an den nationalen Regierungen vorbei beschließen will, ist es die Aufgabe der Staatsregierung, auch an den höchsten Stellen dagegen zu intervenieren.“
Sie hat dasselbe eigentlich auch zu TTIP angefragt. Aber die Antwort fand sie genauso frustrierend.
„Aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage zur Bedeutung und zu den Auswirkungen von TTIP im Freistaat Sachsen wird ersichtlich, dass die sächsische Staatsregierung auch weiterhin ein Investitionsstreitbeilegungssystem begrüßt. Mit einem solchen System sollen auch weiterhin die rechtlichen Interessen von Firmen in einem gesonderten Gerichtssystem durchgesetzt werden. Die Haltung der Staatsregierung bezieht sich dabei auf ein grundsätzlich reformiertes System“, kommentierte sie die Antwort, die sie dazu bekommen hatte. „In diesem sollen die Investitionsschiedsgerichte durch einen Handelsgerichtshof ersetzt werden, dieser soll aus unabhängigen Richterinnen und Richtern zusammengesetzt werden, soll öffentlich tagen und eine Berufungsmöglichkeit zulassen. Diese drei Bedingungen sind zunächst zu begrüßen, jedoch bleibt erneut die Frage im Raum: Warum können derartige Streitigkeiten nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterworfen werden?”
Dabei biss sie sich in dieser lächerlichen Sondergerichtsbarkeit fest, die natürlich nicht mehr lächerlich ist, wenn sich renditehungrige Konzerne in jede kleine juristische Unsicherheit verbeißen und Kommunen mit teuren Prozessen rechnen müssen, weil auf einmal ihre natürlichen Hoheiten nicht mehr gelten.
Vielleicht sollte auch Sachsens Wirtschaftsminister langsam munter werden und sich nicht mehr darauf verlassen, dass alles rechtmäßig ist, was vor Gerichten landet. Schon gar nicht in Wirtschaftsfragen, wo es immer um Macht und Geld geht. Klotzbücher: „Stattdessen wird erneut die Schaffung einer weiteren Paralleljustiz grundsätzlich unterstützt. Doch genau dieser Weg ist trügerisch und kann nicht der richtige Weg für die Gerichtsbarkeit in der Europäischen Union sein. Stattdessen gilt es, juristische Verhandlungen über TTIP-Streitigkeiten letztinstanzlich dem Europäischen Gerichtshof als ordentliches Gericht vorzulegen.“
Anja Klotzbüchers Anfrage zu CETA. Drs. 5229
Anja Klotzbüchers Anfrage zu TTIP. Drs. 5230
In eigener Sache
Jetzt bis 8. Juli für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.
Keine Kommentare bisher
Man muss sich einmal als Beispiel Länder wie z. B. Brasilien anschauen, die schon ein sogenanntes Freihandelsabkommen eingegangen sind, dort ist es so, dass sie mit Gerichtsprozessen und horrenden Geldforderungen von Konzernen überschüttet werden. Man muss sich nur mal damit beschäftigen, was uns blühen wird, wenn die Demokratie immer mehr ausgehebelt wird.