Journalismus ist manchmal einfache Mathematik. Man sieht die Zahlen, kann sich ausrechnen, was daraus in den nächsten Jahren entsteht und warnt dann. Geduldig, immer wieder. Wie beim Personalabbau im sächsischen Staatsapparat. Da geht es schon lange nicht mehr nur um fehlende Lehrer und Polizisten. Der sächsische Staatsapparat bekommt ein gewaltiges Problem, überhaupt noch Nachwuchs zu finden. Und das Problem beginnt gerade zu feuern.
So richtig zu feuern, während die Minister in der Regierung gern noch abwiegeln und so tun, als könnten sie weitermachen, wie sie seit 2009 gehaushaltet haben. Damals beschlossen CDU und FDP – obwohl es schon längst knirschte im Staatsgebälk – weitere Streichungen von tausenden Stellen, vom Bildungsbereich bis zur Polizei. Bis zur Wahl 2014 gab es immer nur ein stoisches „Ist kein Problem“, wenn die Opposition im Landtag mahnte, fragte, forderte. Erst die SPD in der Regierung sorgte dafür, dass wenigstens die Bremse eingelegt wurde.
Mehr noch nicht. Denn allein die Erhöhung der Einstellungskorridore ändert ja am Dilemma noch nichts. Denn die beginnen erst mit Verzögerung zu greifen – wenn sie denn überhaupt hoch genug sind. Was vor allem Linke und Grüne vehement bezweifeln. Denn in allen Landesbereichen rollt auf den Freistaat jetzt eine Verrentungswelle zu, die aus dem Gezeitenwechsel von 1990 resultiert: Die damals jungen Beamtinnen, Beamten und Angestellten kommen nun nach 25, 30 Jahren gleich kohortenweise ins Verrentungsalter. Stärker noch als die sächsische Gesamtbevölkerung weist der „Lebensbaum“ der Staatsbediensteten eine gewaltige Unwucht aus.
Gerade in den Altersjahrgängen 43 bis 63 gehen in den nächsten Jahren zehntausende Staatsdiener in den Ruhestand, die allesamt ersetzt werden müssen. Die Chance, den Personalpuffer schon einmal vorsorgend aufzubauen, hat die letzte Landesregierung völlig verpasst.
Was das genau heißt, ist jetzt in der neuen Statistik für die Landesbediensteten ablesbar. Noch nicht für 2016. Auch hier sind die Statistiker nicht ganz so schnell. Aber sie haben jetzt die Zahlen für Juni 2015 vorgelegt, quasi die Endabrechnung für die schwarz-gelbe Personalpolitik. Und die erweist sich für die Arbeitsfähigkeit der sächsischen Verwaltung als herbes Verlustgeschäft.
Nur noch 79.573 Bedienste wurden im Landesbereich gezählt, das waren genau 1.002 weniger als im Juni 2014 (80 575).
Betroffen hat es auch die Zahl der Richter und Beamten im Landesdienst: Die ging von 28.029 auf 27.675 (davon 4.479 in Teilzeit) zurück.
Welches Ausmaß dieser massive Personalabbau im Landesbereich hat, wird deutlich, wenn man das mit dem Jahr 2009 vergleicht, bevor zwei sparbesessene Parteien unbedingt noch einmal die Schere ansetzen mussten: Damals waren noch 87.320 Menschen im Landesdienst beschäftigt. Binnen sechs Jahren wurden also über 7.000 Stellen abgebaut. Und das, nachdem schon die Vorgängerregierungen die Personalstatistik immer weiter nach unten gedrückt hatten. In den 1990er Jahren war das noch verständlich – da war der Staatsapparat tatsächlich noch ziemlich üppig ausgestattet, was sich aber schon ab den 2000er Jahren spürbar änderte. Wahrscheinlich wäre gerade die 2009 eingesetzte Regierung diejenige gewesen, die den Zeitenwechsel hätte organisieren müssen – auch wenn deren Vertreter derzeit nur zu gern auf die vorhergehende CDU/SPD-Regierung zeigen. Aber Politik ist kein Kindergezappel im Sandkasten. Für die aktuelle Personalklemme ist die letzte Regierung verantwortlich.
Die aktuelle Regierung wird dafür verantwortlich sein, ob sie die Kurve kriegt, ob die Einstellungskorridore groß genug sind und überhaupt noch genügend Bewerber gefunden werden. Im Schulbereich ist ja schon unübersehbar, dass man der Entwicklung ziemlich hilflos hinterher hechelt.
Denn jetzt haben auch alle anderen Bundesländer einen enormen Lehrerbedarf und werben mit teils wesentlich besseren Konditionen. Dasselbe wird jetzt auch bei Richtern und Polizeibeamten Thema werden.
Die kurze Zeitspanne, in der eine vorsorgliche Regierung hätte handeln können, war zwischen 2010 und 2015. Die wurde verpasst. Mittlerweile ist der Bewerbermarkt jeden Sommer regelrecht leer gefegt. Und es wird eine ganz heftige Bergetappe, die jetzt auf den Freistaat zukommt, wenn man in Zeiten fehlenden Nachwuchses die riesigen Zahlen von Altersabgängen auch nur ausgleichen will.
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