Seit Dezember haben auch die Landtagsfraktionen darauf gewartet, dass sie endlich den Bericht der Fachkommission Polizei in die Hände bekommen, die damals ziemlich deutlich festgestellt hatte, dass in Sachsen heute schon 1.000 Polizisten fehlen. Aber wo sie genau fehlen, das war nicht klar. Und auch der 150-Seiten-Bericht räumt nicht alle Unklarheiten aus. Das könne eigentlich erst der Anfang sein, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas.
Eigentlich ist die SPD stolz, dass sie es überhaupt geschafft hat, den Koalitionspartner CDU endlich zum Umdenken zu bewegen, die mit der „Polizeireform 2020“ auf einem völlig desolaten Weg war und die Personalprobleme bei der sächsischen Polizei erst hat so richtig aufkochen lassen.
„Mit der Einrichtung der Fachkommission Polizei durch den Landtag haben wir einen Richtungswechsel bei der Personalpolitik der Polizei vollzogen. Erstmals sollte der Personalbedarf wirklich aufgabenorientiert ermittelt werden. Sachsen hat damit einen bundesweit einzigartigen Weg eingeschlagen, den wir nun, unter Beachtung der Kritik, weitergehen werden. Denn er kann beispielgebend für andere Länder sein“, kommentiert Albrecht Pallas, Innenexperte der SPD-Fraktion, die Vorstellung der Arbeit der Fachkommission in der Anhörung im Landtag am Donnerstag, 12. Mai.
Für ihn hat die Expertenanhörung die Notwendigkeit der Fachkommission und ihrer Arbeit bestätigt. Aber er hat auch die durchaus fundierte Kritik an der Methode und der Berechnung des Stellenbedarfes registriert. Die Fachkommission habe Pionierarbeit geleistet, da sei es natürlich klar, dass sich noch einiges verbessern muss.
„Wir nehmen die Kritik an der Arbeit der Kommission ernst. So müssen weitere Indikatoren, die belastbar und vergleichbar sind, geschaffen werden. Die Hochschule der sächsischen Polizei (FH) oder die Deutsche Hochschule für Polizei in Münster müssen in die Arbeit der Kommission einbezogen werden. Außerdem muss überlegt werden, die Leitung und die Evaluierung der Kommission geeigneten Externen zu übertragen“, zieht er sein Resümee. „Eine solche ‚Fachkommission 2.0‘ muss sich stetig mit dem Personalbedarf befassen. Eine aufgabenorientierte Personalberechnung ist eine Daueraufgabe. Nur so kann zügig auf Entwicklungen reagiert und die Polizei auch in Zukunft den Anforderungen gerecht werden. Wir dürfen nie wieder in die Situation kommen, dass Planung und Wirklichkeit so weit auseinander driften, wie es in Sachsen der Fall war. „Klar ist aber auch, dass die 1.000 neuen Stellen schnellstmöglich umgesetzt werden. Dazu gehört auch, die Diskussion über Konsequenzen für Verteilung und Struktur schnell zu führen“, fordert Pallas abschließend in Richtung des Innenministers.
Worum es bei der Kritik ging, macht Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, deutlich.
„Der Freistaat Sachsen braucht deutlich mehr Polizei auf der Straße. Darüber waren sich heute alle einig. Ich hoffe, dass sich diese Erkenntnis jetzt endlich bis ins Innen- und Finanzministerium durchsetzt. Im kommenden Doppelhaushalt muss der Einstellungskorridor bei der Polizei deutlich erhöht werden, das ist uns jedoch schon ohne diesen Bericht klar gewesen“, kommentiert er das Ergebnis der Fachkommission. Auch er sieht, dass der Arbeitszeitraum ziemlich kurz war, um wirklich punktgenau alle Personalbedarfe zu erfassen. „Die Zeit von neun Monaten war offensichtlich zu knapp bemessen, um eine vernünftige aufgabenorientierte Personalberechnung vorzulegen. Stattdessen wurde sich auf eine weit weniger komplexe Kennzahlenmethodik zurückgezogen, die heute nahezu von allen Sachverständigen angegriffen wurde. All jene, die Zweifel an der Aussagekraft des Evaluationsberichtes gehabt haben, sind heute bestätigt worden.“
Das Problem sieht er darin, dass damit die notwendige Erhöhung des Einstellungskorridors unnötig verzögert wurde.
„Nachdem die Koalition fast ein Jahr unter Verweis auf den Evaluationsbericht das notwendige Umsteuern bei der Stellenausstattung der Polizei unterlassen hat, hat die Anhörung das Wundermittel des Evaluationsberichts zum Placebo degradiert. Allen politischen Kräften war klar, dass wir mehr Polizei brauchen. Unsere Vermutung hat sich bewahrheitet, dass der Polizei mehr geholfen gewesen wäre, wenn man gleich den Stellenabbau gestoppt hätte, anstatt permanent auf den Evaluationsbericht zu verweisen“, so Lippmann.
Denn im Doppelhaushalt 2015 war der Stellenabbau finanztechnisch noch verankert. Die Schaffung der Wachpolizei war nur ein Behelf, um die eh schon aufklaffende Lücke ein wenig zu verkleinern. Und dabei hat die sächsische Polizei durchaus Fachleute, die die technischen Details sehr genau kennen.
Valentin Lippmann: „Der Sachverständige Prof. Dieter Müller, Hochschullehrer der Hochschule der Sächsischen Polizei, bescheinigte der Evaluierung daher erhebliche Schwächen in der Methodik, eine unvollkommene Datenbasis und lückenhafte Ergebnisse. Die Fachkommission hat einige wichtige Parameter in ihrem Bericht nicht berücksichtigt. So wurden die Fallzahlen zu den Verkehrsvergehen, immerhin 43 Prozent der Unfälle, nicht bei der Personalbedarfsberechnung berücksichtigt. Auch die Betrachtung der sogenannten Mannstunden war unvollständig, weil die Zahlen der größten Polizeidirektion Dresden nicht vorlagen. Ob die von der Fachkommission ermittelte erforderliche Zahl von rund 1.000 zusätzlichen Polizeibediensteten in Sachsen ausreicht, ist vor diesem Hintergrund mehr als zweifelhaft.“
Unzufrieden mit dem Ergebnis zeigte sich auch Enrico Stange, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion.
„Die Sachverständigen-Anhörung hat ergeben: Die Fachkommission hat ihren Auftrag nicht erfüllt, weil sie ohne wissenschaftliche Methoden den Personalbedarf der Polizei zu ermitteln versuchte. Stattdessen hat sie eine politisch gesetzte Zahl von 1.000 zusätzlichen Stellen zu legitimieren versucht. Zukünftige Bedrohungsszenarien durch Terrorismus, organisierte Kriminalität und Cyber-Crime wurden nur einer notdürftigen Betrachtung unterzogen“, stellt er fest. Womit auch er Lippmanns Vermutung unterstützt, dass die 1.000 Fehl-Stellen möglicherweise zu gering angesetzt sind. “Wir fordern eine Neuauflage der Evaluierung der Polizei auf wissenschaftlicher Grundlage, die alle Säulen der polizeilichen Arbeit betrachtet und dabei die berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung beim Polizei-Personalbedarf berücksichtigt. Kurzfristig brauchen wir einen Ausbau der Kapazitäten an den Ausbildungs-Standorten der sächsischen Polizei und eine Ausweitung des Einstellungskorridors auf 800 Polizeianwärter*innen pro Jahr.“
Und auch Lippmann fordert jetzt schlicht mehr Einsatz vom Innenminister: „Ich fordere Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf, den Evaluierungsprozess mit einer aufgabenorientierten Personalberechnung, die diesen Namen auch verdient hat, fortzusetzen. Nur so können wir auch für die Zukunft sicherstellen, dass Sachsens Polizei über ausreichend Personal zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügt. Dazu gehört aber auch, dass Interventionszeiten definiert werden, in der die Polizei vor Ort ist. Für den nächsten Doppelhaushalt ist eine deutliche Erhöhung des Neueinstellungskorridors notwendig. Die angekündigten 550 Stellen werden nicht ausreichen.“
Dass die Arbeit jetzt erst beginnt, sieht auch Christian Hartmann, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, so. Für die Kritik der Experten an Methodik und Berechnungsverfahren ist er dankbar. „Nur so können wir zukünftig die Arbeit einer solchen Kommission weiterhin verbessern“, so Hartmann. „Unser Fazit ist klar: Die CDU-Fraktion wird bei den kommenden Haushaltsverhandlungen auf den Rat der Experten hören. Wir werden dafür sorgen, dass schnell die empfohlenen 1.000 neuen Stellen besetzt werden können und damit deutlich mehr Polizeibeamte für die Sicherheit auf Sachsens Straßen da sind.“
Die Linke hat in diesem Frühjahr gleich zwei entsprechende Anträge gestellt, denn bis die höheren Einstellungszahlen auch wieder zu höherem Personalbestand bei Sachsens Polizei führen, kann es Jahre dauern. Die Deckungslücke aber besteht jetzt.
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