Ganz wohl muss sich ja Innenminister Markus Ulbig (CDU) nicht gefühlt haben, als er am Mittwoch, 9. März, noch einmal eine große Werbekampagne für IT-Spezialisten starten musste. Denn auf die erste Kampagne hin hatte sich kaum ein junger IT-Spezialist beworben, der Interesse zeigte, im Staatsdienst Cyber-Kriminelle zu jagen. Aber gebraucht werden diese Spezialisten dringend.

„Straftäter im Bereich Cybercrime handeln hoch professionell und sind äußerst gut vernetzt. Im Internet haben sich Strukturen gebildet, die unter dem Deckmantel der Anonymität eine sogenannte ‚Underground Economy‘ aufgebaut haben. Hochspezialisierte und technisch modern ausgestattete Cybercrime-Experten sind deshalb wichtig für die erfolgreiche Bekämpfung dieser Art der Kriminalität. Vereint beim Cybercrime Competence Center werden sie diese Strukturen aufdecken und Täter entlarven“, sagte Markus Ulbig zum Start der neuen Werbekampagne an diversen Hochschulen am Mittwoch. „Um im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft erfolgreich bestehen zu können, schaffen wir für starke IT-Experten Bewerbungsanreize durch Verbeamtung und Mitgliedschaft in der Freien Heilfürsorge.“

Dass dieses Spezialistenloch überhaupt aufklaffte, kreidet ihm Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag, an. Denn seit Jahren löchert er den Minister schon mit Kleinen Anfragen zum Thema. Im Koalitionsvertrag hatten CDU und SPD 2014 die Einstellung von 100 IT-Spezialisten zum Kampf gegen Cybercrime festgeschrieben. Allein dazu hat Stange zwei Mal nachgefragt. Und beim zweiten Mal war dann klar, dass die erste Werbekampagne ein ziemlicher Schuss in den Ofen war.

„In seiner anhaltenden Erfolglosigkeit, Lösungen für Personalnotstand und Überbelastung der sächsischen Polizei zu finden, ist das sächsische Innenministerium mittlerweile dazu übergegangen, jede noch so selbstverständliche Maßnahme als riesigen Fortschritt zu verkaufen“, stichelt nun Stange mit Verweis auf die im Koalitionsvertrag versprochenen 100 zusätzlichen IT-Spezialisten. „Wie die Antworten auf meine Kleinen Anfragen zeigen, wurden von diesen geplanten Spezialisten, die zur Entlastung der Polizei vorgesehen waren, im Jahr 2015 lediglich 31 Bedienstete eingestellt. Jedoch befanden sich davon bereits 13 vor 2015 in einem Arbeitsverhältnis mit dem Freistaat Sachsen und wurden lediglich versetzt oder nunmehr unbefristet eingestellt. Damit konnten wiederum nur 18 zusätzliche IT-Spezialisten für die Polizei angeworben werden. 2014 wurden 8 IT-Spezialisten eingestellt, von denen schon 6 in einem Anstellungsverhältnis mit dem Freistaat standen. Somit sind bis Dezember 2015 von 100 avisierten gerade mal 20 zusätzliche IT-Spezialisten zur sächsischen Polizei gekommen.“

Doch zur direkten Bekämpfung von Cyber-Kriminalität seien diese Bediensteten gar nicht vorgesehen, staunt Stange.

„So wurden alle der Polizeiverwaltung zugeteilt und keiner der Spezialisten steht dem Landeskriminalamt und damit dem Cybercrime-Competence-Center zu Verfügung. Vor diesem Hintergrund muten die Jubelgesänge aus dem Hause Ulbig geradezu absurd an, dass im Herbst dieses Jahres 10 Kommissare ihre Ausbildung abschließen und endlich das Cybercrime-Competence-Center verstärken sollen“, stöhnt der Innenexperte der Linken. „Weitere 15 sollen mittels einer Werbekampagne gefunden werden, um frühestens im nächsten Jahr der sächsischen Polizei zur Verfügung zu stehen. Damit hat Innenminister Ulbig erneut wichtige Zeit verschenkt und verwaltet stattdessen auch in der virtuellen Polizeiarbeit lediglich den Mangel an Personal und Ressourcen.“

Und dann staunt er auch noch über den erstaunlichen Aufwand.

„In dieses Gesamtbild passt auch, dass zur Anwerbung zukünftiger IT-Spezialisten an 29 Hochschulen in 4 Bundesländern ganze 1.000 Flyer verteilt werden sollen, also rund 35 Flyer pro Hochschule. Das kann nur dann zielführend sein, wenn die ‚Zielpersonen‘ denn auch gezielt angesprochen werden können, also die Flyer nur an ausgewählte Studierende übergeben werden“, findet Stange. „Um der zunehmenden Cyber-Kriminalität wirklich beizukommen, bedarf es schnell gut ausgebildeten Personals für die sächsische Polizei. Werbekampagnen allein reichen hierfür nicht aus. Es müssen finanzielle Anreize geschaffen werden, um mit der freien Wirtschaft auch tatsächlich um diese klugen Köpfe konkurrieren zu können.“

Da aber auch ein paar Medien – wie die L-IZ – über die neue Werbeaktion berichten, könnte der Effekt doch noch ein bisschen größer sein. Man hilft ja dem armen Innenminister, wo man kann. Und Sachsen braucht nun einmal IT-Spezialisten, die auch in der Lage sind, Cyber-Kriminelle aufzuspüren. Das Feld, das da zu beackern ist, ist groß.

„Cybercrime umfasst Straftaten, die sich gegen das Internet, weitere Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren Daten richten sowie darüber hinaus Straftaten, die mittels dieser Informationstechnik begangen werden“, hatte das Innenministerium am Mittwoch extra betont und dann mal aufgelistet, um welche Straftaten es bei dieser Aufklärung geht:

– Computerbetrug (§ 263 a StGB)
– Ausspähen und Abfangen von Daten (§§ 202 a, 202 b StGB)
– Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB)
– Datenveränderung/Computersabotage (§§ 303 a, 303b StGB)
– Täuschung im Rechtsverkehr bei der Datenverarbeitung (§ 270 StGB)
– Falschbeurkundung im Zusammenhang mit der Datenverarbeitung (§ 271 StGB)

Enrico Stanges erste Anfrage vom Februar 2015.

Enrico Stanges zweite Anfrage vom März 2015.

Der Werbeflyer „Endlich Zugang zum Polizeirechner“.

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