Wer fleißig sammelt, bekommt irgendwann auch die richtigen Dokumente zugespielt. So wie Netzpolitik.org, wo man die Mächtigen, Heimlichen und Überwachungsbesessenen der Republik eifrig beobachtet und immer wieder mit Dokumenten konfrontiert, die die Heimlichkeiten öffentlich machen. Wie am 4. März wieder mit dem Vertrag zum ostdeutschen Überwachungszentrum.
Darüber haben wir an dieser Stelle mehrfach berichtet. Immer wieder prallten Anfragen aus den Landtagsfraktionen am auf sächsischer Seite zuständigen Innenminister Markus Ulbig (CDU) ab. Nur ein Geldposten im Sächsischen Doppelhaushalt 2015/2016 von 4,2 Millionen Euro wies darauf hin, dass zumindest der Innenminister eifrig dabei war, das neue Überwachungskonstrukt mit dem ellenlangen Namen Telekommunikationsüberwachungszentrum (TKÜZ) – mittlerweile: „Gemeinsames Kompetenz- und Dienstleistungszentrum auf dem Gebiet der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung“ (GKDZ) – mit seinen Amtskollegen aus Berlin, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen irgendwie doch hingestellt zu bekommen.
Was Netzpolitik.org am 4. März veröffentlichte, war der Vertrag, mit dem die Länder sich irgendwie vertraglich zu einigen versuchen über das, was diese Kommunikations-Überwachungsanstalt eigentlich alles können soll und darf. Und es ist keine Überraschung, dass man dabei einen ganzen Berg von datenschutzrechtlichen Regelungen einfach ignorieren will.
Überrascht ist auch Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Sächsischen Landtag, denn hier steht eine Menge von dem, was er eigentlich vom Sächsischen Innenminister wissen wollte und was Markus Ulbig sich strikt geweigert hat zu verraten. Denn da sind ja auch noch andere Partner im Boot: Wie kann man da verraten, was deren Interessensphäre berühren könnte? – Auch so kann parlamentarische Kontrolle komplett ausgehebelt werden.
„Alle Welt kennt die Pläne der Staatsregierung, nur die Abgeordneten des Sächsischen Landtags werden vom zuständigen Innenminister Markus Ulbig (CDU) nicht informiert. Das ist eine unglaubliche Missachtung des Parlaments. Ich habe bereits bei den Haushaltsverhandlungen im vergangenen Jahr und zuletzt im Rahmen eines parlamentarischen Antrags um konkrete Informationen insbesondere zum Inhalt des Entwurfs und den Gesamtkosten gebeten. Diese Informationen werden mir bis heute verweigert“, kommentiert Lippmann die Informationslage.
Er staunt auch, welche Dimension diese Kommunikationsüberwachung in Ostdeutschland nach dem Willen der versammelten Innenminister nun annehmen soll: „Mit der Veröffentlichung der Unterlagen durch Netzpolitik.org erhalte ich erstmals Kenntnis von der geplanten Gesamtstruktur des Projekts und den Gesamtkosten. Die sind mit insgesamt über 15,5 Millionen Euro für die ersten beiden Geschäftsjahre nicht unerheblich. Auf Sachsen entfallen davon 4,2 Millionen Euro. Ich fordere den Innenminister nochmals auf, dem Landtag endlich alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Antrag der Grünen-Fraktion liegt dazu vor.“
Netzpolitik.org berichtete auch darüber, dass die Innenminister der fünf Länder wohl den Mund zu voll genommen hatten und 2014 wohl überhaupt noch nicht wussten, was genau sie sich da auf welcher Gesetzesgrundlage zusammenbasteln wollten. Deswegen sind die Vertragsentwürfe wohl auch noch nicht in die parlamentarischen Beratungen gegeben worden und an einen Start des Unternehmens ist 2017 oder 2018 wohl auch nicht zu denken, auch wenn man sich einig zu sein scheint, dass Leipzig ein guter Platz für die neue Abhörzentrale wäre. Immerhin ist hier einer der wichtigsten Netzknoten, auf den man zugreifen kann.
Dass Sachsen die treibende Kraft hinter der Überwachungseinrichtung ist, wird an der beabsichtigten Sitzwahl deutlich: „Die Anstalt hat ihren Sitz in Leipzig. Sie unterhält einen zweiten Standort in Dresden.“ Da zweifeln nicht nur die Berliner mit Recht, ob sie aus der Ferne überhaupt kontrollieren können, was in diesem Überwachungszentrum passiert.
Aus den veröffentlichten Unterlagen ist freilich auch ersichtlich, dass es erhebliche datenschutzrechtliche Defizite gibt. Zwar sollen die Länder Herr der auf der jeweiligen landesgesetzlichen Grundlage erhobenen Daten bleiben. Der Grundsatz werde an anderer Stelle des Entwurfs jedoch wieder aufgeweicht, stellt Lippmann fest. So dürfe die zu errichtende Anstalt Befugnisse und Zuständigkeiten auf Behörden im Freistaat Sachsen übertragen (Paragraf 9 des Entwurfs) oder sich Dritter bedienen (Paragraf 4).
„Wie das sächsische Innenministerium die Rechtsaufsicht über die Anstalt führen soll, ohne kontrollieren zu können, ob die Datenverarbeitungsregelungen der anderen Bundesländer eingehalten wurden, bleibt unklar“, sagt Lippmann deshalb. Und sieht die Akteure des Überwachungsprojekts auf dem besten Weg, sich abseits gesetzlicher Regelungen wieder ein paar Sonderregeln zu schaffen, die das ganze Projekt in einen diffusen Rechtsraum verlagern. Lippmann: „Nicht zuletzt soll ein Großteil der erforderlichen Regelungen nicht im Staatsvertrag selbst, sondern in einem Verwaltungsabkommen, der Benutzerordnung, der Geschäftsordnung bzw. der Satzung der Anstalt geregelt werden. Insbesondere hinsichtlich der Beauftragung Dritter ist diese Vorgehensweise rechtswidrig. Ich bekräftige daher nochmals meine Forderung, dieses Projekt ad acta zu legen.“
Aber man kennt ja die Innenminister der Welt: Wenn sie die Chance sehen, ihre Überwachungskompetenzen auszuweiten, dann tun sie das auch. Gern mit ein paar Millionen Euro an Steuergeldern. Und gern auch ohne jegliche Erklärung, wozu das Ganze eigentlich gedacht ist und wer dann alles damit rechnen muss, die Aufmerksamkeit der Kommunikationsüberwacher zu bekommen.
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Soll das jetzt wie in der DDR werden? Die eigene Bevölkerung überwachen!