Eigentlich waren Clausnitz und Bautzen nur die letzten Glieder einer langen, langen Kette fremdenfeindlicher Randale und Gewalttaten in Sachsen in den letzten anderthalb Jahren. Aber sie waren so etwas wie der letzte Tropfen in ein Fass, das jetzt übergelaufen ist. Und selbst die überregionalen Medien haben die Geduld mit einem Ministerpräsidenten Tillich verloren, der sich jahrelang vor den fremdenfeindlichen Umtrieben im Land nur weggeduckt hat.

Dabei war er nicht allein. Man kann ihm ja zugute halten, dass er immer auch versucht hat, den Spagat innerhalb seiner Partei hinzubekommen, die genauso ihren realistischen und ihren extremen Flügel kennt. Und seit Gründung der AfD 2013 und seit Beginn der PEGIDA-Umtriebe in Dresden (2014) hat die CDU Federn gelassen, sind einstige Rechtsaußen, die zuvor in der sächsischen CDU für rigide Abschottungs- und nationalistische Positionen standen, abgewandert zur AfD, machen dort jetzt Stimmung und scheinen – wenn man den diversen Meinungsumfragen trauen kann – der CDU deutliche Wählerstimmenanteile abzujagen. (Der Linkspartei übrigens auch, die seit gut 25 Jahren den ebenso schwierigen Spagat versucht hat zwischen gepflegter Provinzialität und verschämtem Internationalismus – die Provinziellen (die im Herzen auch immer Nationalisten sind) sind ebenfalls problemlos zur AfD oder zu PEGIDA abgewandert.)

Aber nicht die Linke regiert seit 26 Jahren in Sachsen, sondern die CDU. Und sie hat sich die ganze Zeit hinter fadenscheinigen Extremismustheorien versteckt und sich jedesmal weggeduckt, wenn öffentlich sichtbar wurde, dass Sachsen ein extremes Problem mit Rechtsextremisten hat. Sie ist auch verantwortlich für den drastischen Abbau jener Ermittlungseinheiten, die gegen die Bildung krimineller rechter Netzwerke hätten vorgehen müssen. Stattdessen hat man enorme Ressourcen darauf verwandt, demokratische Initiativen und „linke“ Demonstranten zu schurigeln und in dicken Papieren die Gefahr des „Linksextremismus“ immer weiter aufzublasen, als wenn ausgerechnet linke Randalierer die sächsischen Provinzen in Angst versetzen – und nicht bestens organisierte rechte Kameradschaften.

Es gibt Gründe genug für die beiden Parteien, die sich am Wochenende zu Wort gemeldet haben, den sächsischen Ministerpräsidenten aufzufordern, endlich Flagge zu zeigen für eine starke und wehrhafte Demokratie – und gegen die brutalen und die scheinbar harmlosen Fremdenfeinde im Land.

Die sächsischen Grünen haben sich mit der fatalen Entwicklung in Sachsen im Vorfeld der Sondersitzung des Sächsischen Landtags am Montag im Landesparteirat mit dem Thema beschäftigt und fordern von der Staatsregierung und der sächsischen CDU jetzt ein entschlossenes Eintreten für das demokratische Gemeinwesen und seine Werte. Sie haben dazu auch gleich mal 14 Forderungen formuliert – von der personellen Stärkung von Polizei und Justiz bis hin zur Verabschiedung von der völlig sinnfreien „Extremismustheorie“.

„Tillich und die CDU müssen unsere demokratischen Werte verteidigen und den Rassismus in Sachsen zurückdrängen – schöne Worte reichen hierfür nicht aus! Die jetzige Situation in Sachsen ist das Ergebnis von 26 Jahren, in denen die CDU-Regierung das Problem des Rassismus konsequent verharmlost, beschönigt und relativiert hat“, sagt dazu Jürgen Kasek, der Landesvorsitzende der Grünen. „Es geht um weit mehr als um den ‚Ruf Sachsens‘, es geht darum, Menschenfeindlichkeit zu ächten und wirklich zurückzudrängen. Es geht um die Frage, ob demokratische Werte in Sachsen eine Zukunft haben.“

Und der Erste, der sich nun wirklich bewegen muss, ist der sächsische Ministerpräsident.

„Wir sächsischen Grünen werden jedes Engagement im Sinne dieser ersten Schritte ungeachtet politischer Differenzen unterstützen. Aber wir erwarten auch, dass der Ministerpräsident und Vorsitzende der sächsischen CDU, Stanislaw Tillich, politische Verantwortung übernimmt“, sagt Kasek. „Wir fordern Ministerpräsident Tillich und die Staatsregierung auf, jetzt endlich die ersten Schritte im aktiven Kampf gegen Rechts zu gehen.“

Die Linken haben sich schon am Freitag, 26. Februar, in Dresden zur Landesvorstandssitzung getroffen. Und man ging auch dort nicht gerade zimperlich mit dem Thema CDU um.

„Wo immer möglich hat genau diese CDU sich dazu verstiegen, antidemokratische, rassistische und rechtsradikale Tendenzen bis in die Mitte der Gesellschaft nicht nur zu relativieren, sondern gar ganz zu negieren”, sagt Rico Gebhardt, Landesvorsitzender der Linken. So habe man mit geradezu aberwitziger Selbstverständlichkeit zehn Jahre lang eine NPD im Landtag hingenommen. „Genau die Zivilgesellschaft, die der Ministerpräsident im Kampf gegen rechts nun einfordert, hat aber die herrschende CDU über Jahre hinweg bekämpft. Die Mitte der Gesellschaft wurde geschwächt bis zur Ohnmacht, weil die Zivilcourage, die das Rückgrat der wehrhaften Demokratie ist, als ‚linksextrem‘ denunziert und Sachsen zur Hochburg von menschenfeindlicher Gewalt der extremen Rechten wurde.“

Gerade linkes Engagement sei so kriminalisiert worden bis zum Letzten, weil man antidemokratische Rechte und demokratische Linke als mindestens gleich gefährliche Ränder der Gesellschaft im Sinne der staatlich verordneten Extremismusdoktrin stigmatisiert hat.

„Ich erlebe seit langer Zeit, dass Verantwortungsträger im Freistaat behaupten, dass es Leute außerhalb des Landes gäbe, die Sachsen nur schaden wollten“, so Gebhardt weiter. Das sei aber hanebüchener Unsinn. „Das tatsächliche Problem scheint ja endlich erkannt: Es ist die extreme Rechte, die sich im Land bisher sicher fühlen konnte.“ Das habe auch der Ministerpräsident in seinem Interviewmarathon der vergangenen Woche einräumen müssen.

„Wer wissen wollte, warum sich der Ministerpräsident nie einer Wahldebatte im Fernsehen stellt, weiß das seit diesen Tagen. Sobald die CDU die Komfortzone verlassen muss und sich kritischer Nachfragen ihres eigenen Handelns stellen muss, kommt sie ins Schwimmen“, stellt der Linke-Vorsitzende fest, der auch noch einmal die Sondersitzung des Innenausschusses im Sächsischen Landtag vom Freitag kommentiert: „Der Landespolizeipräsident betonte die begrenzte rechtliche Handhabe gegen den Mob von Clausnitz. Friedliche Blockaden seien, meinte er, noch nicht strafbewehrt. Wäre diese Erkenntnis bereits vor ein paar Jahren im Hinblick auf friedlichen demokratischen Protest von links gereift, statt Demonstrierende mit hunderten Strafanträgen zu überziehen, hätten wir vielleicht heute eine breite demokratische Zivilgesellschaft, die sich der derzeitigen rechten Umtriebe erwehren könnte.“

Das sind ein paar Vielleichts auf einem Haufen. Aber die Grundkritik stimmt: Sachsens Regierung hat sich ihr eigenes Regierungshandeln in hübschen grün-weißen Farben aufgehübscht, den Rechtsextremismus seit Biedenkopfs Zeiten immer wieder verharmlost und die Linken, wo es nur ging, angeprangert. Das Klippklapp der „Extremismustheorie“ hat sich tief eingefressen in den gesellschaftlichen Diskurs – und es hat auch eine Nebelwand aufgebaut, hinter der die chauvinistischen und fremdenfeindlichen Ressentiments einer mit „demokratischen Zumutungen“ verschonten Bevölkerung regelrecht verschwanden und negiert wurden. Und das selbst dann noch, als der Rassismus in Dresden zu öffentlichkeitswirksamen Spaziergängen einlud.

Der Beschluss des Landesparteirates der Grünen Sachsen „Rassistische Einstellungen in Sachsen – was jetzt zu tun ist“.

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