Am 28. Januar hat sich Sachsens Innenminister noch ganz von seiner alten Seite gezeigt. Das war der Tag, an dem der Sächsische Verfassungsgerichtshof drei linken Landtagsabgeordneten in ihren Klagen gegen die Staatsregierung Recht gab: Die Regierung habe Auskunft zu geben, wenn die Abgeordneten fragen. In allen drei Fällen hatte sich Innenminister Markus Ulbig (CDU) in die Nesseln gesetzt. Aber am selben Tag zeigte er auch den Grünen, was eine Nicht-Antwort ist.
Der Grünen-Abgeordnete Wolfram Günther hatte wissen wollen, wie es nun um den sozialen Wohnungsbau in Sachsen bestellt ist – wie viele Sozialwohnungen es gibt, wie viele gebraucht werden und was, bitte schön, der Innenminister zu tun gedenke, um mehr sozialen Wohnraum zu schaffen.
Frage 1 könnte man noch mit Augenzwinkern als beantwortet sehen, denn danach haben nicht nur die Grünen gefragt, danach hatte sich im September auch schon der AfD-Abgeordnete André Wendt erkundigt. Anlass war eine Meldung, die im Juli durch die Medien ging: Zwei Millionen Sozialwohnungen fehlen in der ganzen Bundesrepublik. Auch die „Sächsische Zeitung“ berichtete. Und die Nachricht war eigentlich doppelt brisant, weil zu dem Zeitpunkt auch so langsam offenkundig wurde, dass sich die deutschen Innenminister überhaupt nicht auf die ankommenden Flüchtlinge vorbereitet hatten. Auf einmal brach in allen Bundesländern und Kommunen eine geradezu hektische Suche nach verfügbarem Wohnraum aus, wo man die Flüchtlinge denn nun unterbringen könnte. Und all den nervösen Herren fiel auf einmal die Tatsache auf den Fuß, dass sie vor Jahren einfach den sozialen Wohnungsbau abgewürgt haben.
Übrigens auch in Sachsen. Die Zahlen, die André Wendt bekam, sprechen für sich. Denn gefördert wird sozialer Wohnungsbau unter Innenminister Markus Ulbig seit Jahren nicht mehr.
Das Ergebnis ist: Der Bestand an Wohnungen mit Mietpreisbindung schmilzt wie Schnee in der Sonne. Hatte der Freistaat Sachsen im Jahr 2012 noch 37.373 Wohnungen mit Mietpreisbindung, waren es ein Jahr später nur noch 34.733 und im Jahr 2014 noch 32.605. Zahlen für 2015 hat der Innenminister noch nicht.
Dass die Zahl schmilzt, hat damit zu tun, dass die mit der Mietpreisbindung verbundenen Belegungsrechte in der Regel 15 Jahre lang gelten. Die letzen Sozialwohnungen in Sachen wurden aber 2000 genehmigt. Seitdem wurden keine neuen Sozialwohnungen mehr gebaut, während alle vorher geförderten nun nach und nach aus dem Belegungsrecht fallen.
Die meisten Wohnungen mit Mietpreisbindung gab es 2014 noch in Leipzig – 20.539. Aber das waren auch schon 2.004 weniger als noch 2012. Mitten im stärksten Bevölkerungswachstum verliert Leipzig den sozialen Wohnraum. Das war bis ungefähr 2012 eher kein Problem, weil auch das allgemeine Mietniveau so niedrig war, dass auch die meisten Wohnungen ohne Mietpreisbindung für sozial Schwächere bezahlbar waren, wenn auch mit steigendem Verzicht auf Wohnfläche und bevorzugte Wohnlage. Die Segregation in Leipzig ist seit Jahren unübersehbar im Gang – auch wenn Leipzigs Stadtverwaltung lange so tat, als wäre da überhaupt kein Problem und man habe die Sache im Griff. Hatte man aber nie, sonst hätte man bei den Kosten der Unterkunft (KdU) für die ALG-II-Empfänger niemals derart tricksen müssen, sondern den Betroffenen einfach ihre Wohnungen bezahlt. Bis 2014 waren die Sätze, mit denen Leipzig die KdU definierte, nicht rechtssicher.
Diese Versuche, bei den Kosten für die Unterkunft zu sparen, korrespondieren natürlich auch mit dem anderen Thema, das 2015 mit der Leipziger Diskussion um das Wohnungspolitische Konzept kurz an die Oberfläche kam: Die fehlende Kenntnis der Stadtverwaltung über den tatsächlichen Bedarf an sozial verträglichem Wohnraum in der Stadt. Eine Fehlstelle, die nun auch in der Antwort von Innenminister Markus Ulbig an Wolfram Günther sichtbar wurde.
„Welcher Bedarf an Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung existiert aktuell in Sachsen insbesondere in den drei großen kreisfreien Städten?“, hatte der Grünen-Abgeordnete gefragt. Und dabei konnte er ja wohl mit einiger Berechtigung davon ausgehen, dass der für den Wohnungsbau zuständige sächsische Minister diesen Bedarf genau beziffern kann. Das ist doch sein Job.
Markus Ulbig: „Aktuelle Daten zur Beantwortung dieser Frage liegen der Staatsregierung voraussichtlich im März 2016 vor.“
Das Thema hat also augenscheinlich doch endlich die Regierungsebene erreicht.
Im September hatte Ulbig dem AfD-Abgeordneten André Wendt auf seine Frage „Sind Maßnahmen von Seiten der Staatsregierung geplant, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern?“ noch trocken geantwortet: „Seitens der Staatsregierung sind keine Maßnahmen zur Förderung von Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung geplant.“
Im Grunde hat Wolfram Günther von den Grünen jetzt noch einmal genau dasselbe gefragt: „Plant die Staatsregierung die Wiedereinführung der sozialen Wohnraumförderung in Sachsen aus den dafür vorgesehenen und zur Verfügung gestellten Bundesmitteln? Wenn ja, ab wann und in welcher Höhe und zu welchen konkreten Förderkonditionen?“
Doch diesmal bekam er nicht die so eindeutige Antwort, die André Wendt bekommen hatte. Und das darf im Februar 2016 schon ein wenig aufmerken lassen.
Denn Günther bekam stattdessen eine geballte Ladung Ulbigscher Erklärung, warum er nicht gewillt ist, auf die Frage zu antworten: „Die Frage berührt den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, weil erfragt wird, ob eine Entscheidung der Sächsischen Staatsregierung zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus und zu welchen Konditionen getroffen werden wird. Die Frage ist somit auf interne Abstimmungs- und Willensbildungsprozesse zur Vorbereitung der genannten Regierungsentscheidung gerichtet.“
Da dürfte auch Günther gestutzt haben. Denn warum antwortet Ulbig dann nicht einfach mit „Nein“ und lässt den ganzen Sermon, der auch vor dem Verfassungsgerichtshof keinen Bestand hätte, nicht einfach weg?
Die Folgerung kann nur sein : Die nette kleine sächsische Regierung mit ihrer viel gepriesenen Eigenverantwortung ist tatsächlich endlich dabei, sich mit dem Thema zu beschäftigen, will aber jetzt noch nicht verraten, was dabei herauskommen wird im März, wenn man die genauen Bedarfszahlen hat.
Da fragt man sich wirklich, warum Ulbig das nicht genauso sagt und stattdessen vom „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ schwafelt.
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“Die Zuständigkeit für die Soziale Wohnraumförderung wurde im Zuge der Föderalismusreform I mit Wirkung vom 1. September 2006 vollständig vom Bund auf die Länder übertragen. Den Ländern obliegt nunmehr auch das Recht zur Gesetzgebung in diesem Bereich und die Finanzierung der sozialen Wohnraumförderung. Sie erhalten hierfür bis einschließlich 2019 vom Bund eine Kompensation in Höhe von 518,2 Millionen Euro jährlich. Dieser Betrag entspricht mehr als dem Doppelten der Finanzhilfen, die die Länder nach der geltenden Finanzplanung in den nächsten Jahren erhalten hätten. Die Länder haben also nach der Ãœbertragung der sozialen Wohnraumförderung eine sichere Finanzierungsperspektive für die Aufgabenwahrnehmung in eigener Verantwortung. Inzwischen haben die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen eigene Landes-Wohnraumförderungs- bzw. Wohnungsbindungsgesetze erlassen. Soweit das Wohnraumförderungsgesetz und das Wohnungsbindungsgesetz des Bundes nicht durch landesrechtliche Regelungen ersetzt werden, bleiben sie weiterhin gültig.”
Aus diesem Topf bekommt schon seit 10 Jahren auch Sachsen jährlich ca. 45 Millionen für eben diesen Zweck.
Geplant war: “Mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung wird von zahlreichen Ländern und Kommunen auch die Schaffung von behindertengerechtem Wohnraum gefördert.”
Barrierefreie Wohnungen z.B. wurden in Leipzig damit keine gebaut. Es gibt sie nicht und wenn, dann ab 800,- € Kaltmiete, errichtet ohne staatliche Gelder.
Wo also ist das Geld geblieben?
Im Landeshaushalt verschwunden? In einem Dresdner Fest versumpft?
http://www.bmub.bund.de/themen/stadt-wohnen/wohnraumfoerderung/kurzinfo/