Da war Christian Piwarz, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, am Donnerstag, 25. Februar, keine Keule zu groß: Gegen den gemeinsamen Antrag von Links- und Grünen-Fraktion, die aktuelle Situation im Freistaat zum Thema einer Sondersitzung im Landtag zu machen, unterstellte er den beiden Fraktionen kurzerhand "blanken Populismus".

„Selbstverständlich arbeitet die CDU an der Aufklärung der Vorfälle. Linke und Grüne stellen heute ihre Forderung, bevor sich am morgigen Freitag der Innenausschuss zur Sondersitzung zum gleichen Thema trifft – und ohne dessen Ergebnisse abzuwarten! Dabei haben Linke und Grüne genau diese Sitzung des Innenausschusses selbst gefordert“, erklärte Piwarz. „Das beweist, dass es Linken und Grünen nicht um Aufklärung und die Sache geht, sondern nur um blanken Populismus!“

Von Beweis konnte keine Rede sein. Eine Sitzung des Innenausschusses, die sich mit den sicherheitspolitischen Fragen rund um die Vorfälle in Clausnitz und Bautzen beschäftigt, ist nun einmal etwas anderes als eine Aktuelle Stunde mit dem ganzen Landtag.

Die beiden beantragenden Fraktionen hatten deutlich formuliert, dass es um mehr geht, dass der gesamte Freistaat ein Problem hat: „Nach  Clausnitz  und  Bautzen:  Bedauern  reicht  nicht,  die  Staatsregierung muss  endlich  aufwachen – Haltung  zeigen,  Zivilgesellschaft  unterstützen, demokratischen Rechtsstaat stärken“.

Ministerpräsident reagiert auf öffentlichen Druck

Das hatten sie am Donnerstag auch in einem gemeinsamen Statement betont. Sie haben es auch bewusst zusammen getan, wohl wissend, dass sie damit genau die Trägheit attackieren, mit der die CDU-Regierung das Land seit 25 Jahren eingelullt hat. Nur ja keine Regierungsversäumnisse thematisieren. Nur ja nicht eingestehen, dass die Verharmlosung des Rechtsextremismus in Sachsen schiefgegangen ist. Nur ja nicht öffentlich darüber diskutieren, warum Polizei, Verfassungsschutz und Justiz gegenüber den kriminellen Netzwerken der Rechtsextremen so zahnlos sind.

„Ganz Deutschland schaut seit dem letzten Wochenende auf Sachsen. Öffentlichkeit, Medien und sogar der Bundestag diskutieren über Sachsen und die jahrelangen Versäumnisse der CDU-geführten Staatsregierung“, sagte Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, am Donnerstag. „In dieser Situation darf der Landtag dazu nicht schweigen und zur Tagesordnung übergehen. Eine Sondersitzung dazu ist dringend notwendig, das Thema kann nicht einfach in der nächsten Sitzung unter ‚ferner liefen …‘ behandelt werden.“

Und gleichzeitig ärgerte man natürlich die regierenden Christdemokraten, die einen Großteil ihrer Regierungspolitik in den letzten Jahren auch darauf aufgebaut hatten, die brennenden Probleme im Land immer wieder wegzuschweigen und zu ignorieren. Statt mit deutlichen Worten gegen die Anschläge und fremdenfeindlichen Auftritte zu agieren, duckte man sich  immer wieder weg und tat so, als würde man „das Volk“ verstehen und nur dessen Willen verkünden, wenn man für mehr Abschiebungen, härtere Bedingungen für Asylanträge und eine Drosselung der Flüchtlingszahlen plädierte.

Rechtextreme ignorieren, gegen Flüchtlinge poltern

Statt sich deutlich gegen die agilen Rassisten und Fremdenfeinde zu positionieren, verstärkte das Tillich-Kabinett die Stimmung gegen die Flüchtlinge.

Das wurde gerade in dieser Woche regelrecht peinlich, als Tillich den geballten Presseanfragen aus ganz Deutschland versuchte auszuweichen – und als er sich dann äußerte, wirkte er ratlos oder vergriff sich gleich im Ton. Deutliche Zeichen dafür, dass sich Sachsens Ministerpräsident seit Jahren nicht mehr mit einer klaren Position gegen fremdenfeindliche Umtriebe beschäftigt hat.

„Ich erwarte eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU)“, forderte Volkmar Zschocke am Donnerstag. „Dabei geht es nicht nur um die Auswertung der Ereignisse in Clausnitz und Bautzen. Die zentralen Fragen lauten: Wie geht es weiter mit Sachsen? Welcher Kurs- und Strategiewechsel wird durch die Staatsregierung eingeleitet? Wir brauchen einen funktionsfähigen Rechtsstaat und eine neue demokratische Kultur der Zusammenarbeit im Freistaat.“

So etwas debattiert man aber nicht im Innenausschuss, das gehört in den Landtag, wo alle Sachsen, die Zeit und Lust haben, auch zuhören können.

„Der Ministerpräsident muss erklären, wie Verwaltung, Polizei und Justiz in die Lage versetzt werden, Menschen zu schützen, komplexe Problemlagen bei Aufnahme und Integration zu lösen und konsequent gegen fremdenfeindliche Hetzer und Gewalttäter vorzugehen“, formulierte Zschocke. „Der Ministerpräsident muss erklären, was er konkret damit meint, dass die Zivilgesellschaft Verantwortung für die Bekämpfung von Rechtsextremismus trägt. Es ist kein Geheimnis: Das Verhältnis von den zivilgesellschaftlich Engagierten zur CDU-geführten Staatsregierung ist seit Jahren nachhaltig gestört. Bisher war dieses Engagement nämlich oft alles andere als gewollt, zum Teil wurden Engagierte als Linksextremisten verunglimpft. Die zahlreichen Absagen aus der Zivilgesellschaft zur ‚Dankesparty‘ zeigt die Skepsis vieler Engagierter gegenüber der Politik des Ministerpräsidenten deutlich.“

Und dann mahnte er, weil augenscheinlich die medialen Botschaften die dicke Haut der sächsischen Regierungspartei einfach nicht durchdringen.

Winkefähnchen NPD-Verbot

Piwarz meinte gar, ein Verbot der NPD könnte Sachsen entlasten: „Das NPD-Verbotsverfahren hat Sachsen mit massiv vorangetrieben. Unser Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist deshalb nächste Woche in Karlsruhe, um als Bundesratspräsident und damit als Vertreter der Länder an der wichtigen Verhandlung teilzunehmen. Es irritiert, dass ausgerechnet Linke und Grüne das NPD-Verbotsverfahren offenbar als nebensächlich ansehen.“

Deutlicher kann man gar nicht erklären, das man die letzten 15, 18 Jahre in Sachsen einfach verschlafen hat. Die NPD kam zwar zwei Mal in den sächsischen Landtag. Aber schon 1998 hatten die rechtsextremen Netzwerke in Sachsen (und nicht nur hier) begonnen, sich anders zu organisieren, wesentlich dezentraler in Kameradschaften, Netzwerken und Aktionsgruppen vom Format „NSU“. Und alles, was über die sächsischen Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte in letzter Zeit bekannt wurde, verweist auf – nirgendwo registrierte – Mitläufer oder Mitglieder dieser rechtsextremen Gruppierungen. Die NPD ist bestenfalls noch das etwas gesäuberte Aushängeschild. Ein NPD-Verbot wird eine klassische polizeiliche Aufklärung der kriminellen Strukturen nicht ersetzen.

„Es brennt in Sachsen. Die aktuellen Anschläge auf den Moscheebau in Leipzig und auf eine geplante Asylbewerberunterkunft in Lobstädt (Landkreis Leipzig) unterstreichen die Dringlichkeit des Handelns“, warnte Zschocke. „Die Ankündigung des Ministerpräsidenten, die Fraktionsvorsitzenden über Kabinettsbeschlüsse zu informieren, reicht keinesfalls aus. Für ein ‚Weiter so!‘ ist die Lage viel zu ernst.“

Und kaum hatten Linke und Grüne den Antrag öffentlich gemacht, polterte Piwarz in alter Manier los. Am Freitag tagte dann natürlich der Innenausschuss. Aber der kann das große Dilemma nicht lösen: Die sächsische Regierungspolitik im Umgang mit Rassisten, Fremden- und Demokratiefeinden muss sich ändern. Sonst geht das einfach so weiter. Denn bislang fühlen sich die gewaltbereiten Menschenfeinde durch die Wegduck-Politik der sächsischen Regierung nach wie vor ermutigt.

Blanker Populismus? Oder Zwang zur Realpolitik?

Der mediale Druck auf Tillich scheint nun doch endlich zumindest die Bereitschaft ausgelöst zu haben, über das Thema zu reden. Der Vorstoß von Piwarz war also völlig überflüssig.

„Wenige Stunden nach Ankündigung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, eine Sondersitzung des Sächsischen Landtages zu beantragen, hat die Staatsregierung ebenfalls um eine solche außerordentliche Parlamentssitzung gebeten. Der Druck der Opposition hat damit sein Ziel erreicht“, stellt Sebastian Scheel, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, fest. „Der Ministerpräsident wird sich endlich dem Parlament und der Öffentlichkeit erklären. Die Staatskanzlei kann nun mit der CDU-Fraktion klären, was ‚Populismus‘ ist, denn als solchen hat die größte regierungstragende Fraktion das Begehren einer Sondersitzung vonseiten der Opposition zunächst abgetan.“

Und extra für schwerhörige Christdemokraten erklärte er es am Freitag noch einmal: „Wir haben schon gestern darauf hingewiesen, dass die Sitzung des Innenausschusses und die Sondersitzung des Landtages unterschiedliche Schwerpunkte haben. Im Innenausschuss geht es um die Klärung offener Fragen zu den Ereignissen in Clausnitz und um den dortigen Polizeieinsatz. Im Landtagsplenum geht es um Schlussfolgerungen für eine starke Zivilgesellschaft und handlungsfähige rechtsstaatliche Strukturen. Deshalb geht der Vorwurf der CDU-Fraktion, die Opposition habe erst die Ergebnisse der heutigen Ausschusssitzung abwarten müssen, fehl. Diese wären zum Zeitpunkt der Landtags-Sondersitzung in jedem Fall bekannt gewesen.“

Das Problem könnte natürlich in der Landtagssitzung noch einmal aufbrechen. Denn noch steckt die sächsische Regierung in den alten Reflexen – zumindest der CDU-Teil mit Innenminister und Ministerpräsident an der Spitze.

Der kleine Regierungspartner SPD ist sich sehr wohl bewusst, dass all die medienwirksamen Anschläge in Sachsen auch etwas mit strukturellen Problemen im Staatsapparat zu tun haben.

39 Fragen zu Clausnitz

„Die Ereignisse von Clausnitz erfordern eine umfassende Aufklärung. Ich habe daher einen Fragenkatalog an das Innenministerium übermittelt, dessen Beantwortung ich am Freitag im Innenarbeitskreis der SPD-Fraktion sowie in der Sitzung des Innenausschusses erwarte“, erklärte der Innenexperte der SPD-Fraktion, Albrecht Pallas, am Mittwoch.

Der Katalog umfasst insgesamt 39 Fragen. Beleuchtet werden sollen, so Pallas, das Vorfeld des Einsatzes, der Ablauf des Einsatzes selbst, dessen Auswertung und die Schlussfolgerungen daraus: „Bezüglich des Einsatzes ist für uns insbesondere interessant, wie die einzelnen beteiligten Stellen zusammengearbeitet haben und welche Auswirkungen dies hatte. In diesem Zusammenhang wollen wir etwa klären, ob es zutrifft, dass verantwortliche Polizeikräfte, be­vor die Situation bedrohlich wurde, für längere Zeit nicht erreichbar waren, woraufhin die Flüchtlinge nicht aussteigen konnten, und wer entschieden hat, den Bus zu räumen. Wir wollen klären, wie in Zukunft vergleichbare Situationen vermieden bzw. besser gehandhabt werden können.“

Staatskanzlei schwenkt ein

Am Freitag, 26. Februar, beantragte dann die Staatsregierung selbst die Sondersitzung.

„Ich begrüße, dass die Staatsregierung auf Druck von Opposition und Öffentlichkeit nun die Notbremse zieht und von sich aus eine Sondersitzung des Landtags ankündigt. Ministerpräsident Stanislaw Tillich erkennt hoffentlich, dass es ein bloßes ‚Weiter-so‘ jetzt nicht mehr geben kann“, sagte Volkmar Zschocke, der Grünen-Fraktionsvorsitzende, dazu. „Währenddessen reagiert die größere Regierungsfraktion CDU völlig destruktiv und verwirrt. Zunächst versucht sie, das Ziel, gemeinsam und entschlossen die offensichtlichen Probleme Sachsens anzugehen, als ‚blanken Populismus‘ abzutun. Dann applaudiert sie in einem 180-Grad-Schwenk der Ankündigung der Staatsregierung auf eine Sondersitzung. Der Vorwurf der CDU, die Opposition würde dem Innenausschuss vorgreifen, geht somit völlig ins Leere.“

Für ihn wird an dieser Stelle wieder sichtbar, wie die CDU mit der Opposition im Landtag umgeht: „Hier offenbart sich ein unsäglicher Umgang der sächsischen CDU mit dem Parlament. Im Freistaat bestimmt die Staatsregierung die Themen des Landtags. Die CDU-Fraktion scheint ihre Aufgabe darin zu sehen, die Opposition zu diffamieren.“

Und auch Scheel sieht es so: „Das Vorgehen von Staatskanzlei und CDU-Fraktion zeugt leider erneut davon, dass beide auch unter dem Eindruck der schwersten Krise Sachsens seit 1990 in ihrer demokratisch defizitären politischen Kultur verharren. Stunden vor Eintreffen des Antrags der Staatskanzlei auf Sondersitzung verkündete die CDU-Fraktion auf der Basis ihres Herrschaftswissens bereits das beantragte Thema und den Zeitpunkt der Sondersitzung.“

Am Freitagmorgen um 9:30 Uhr haben Linksfraktion und Grüne ihre Unterschriften eingereicht. Inzwischen hat der Landtags-Präsident zur Landtags-Sondersitzung am Montag um 10 Uhr eingeladen – und zwar genau zu den von der Opposition und der Staatsregierung gewünschten Themen.

„Einen wichtigen Unterschied gibt es“, betont Scheel. „Während die Staatsregierung nur reden lassen will, haben Linke und Grüne konkrete Vorschläge zur Stärkung der Zivilgesellschaft, die der Landtag am Montag mit unserem Antrag beschließen kann.“

Antrag der Fraktionen der Linken und der Grünen zur Sondersitzung „Nach Clausnitz und Bautzen: Bedauern reicht nicht, die Staatsregierung muss endlich aufwachen – Haltung zeigen, Zivilgesellschaft unterstützen, demokratischen Rechtsstaat stärken“.

Der 39-Fragen-Katalog der SPD-Fraktion zu Clausnitz.

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