Anlässlich der Vorfälle in Clausnitz und Bautzen traf sich der sächsische Landtag nun am 29. Februar zur Sondersitzung. Thema waren die rechte Gewalt im Freistaat, Gegenstrategien und Erklärungsversuche. Auf Twitter sorgte zeitgleich ein CDU-Landtagsabgeordneter für Verwirrung: Er unterstellte Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt, der CDU eine Mitschuld am Holocaust gegeben zu haben.

Nach den jüngsten rassistischen Übergriffen in Sachsen hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) im Landtag eine Regierungserklärung verlesen. Anlässe waren die Blockade eines Busses mit Geflüchteten in Clausnitz und der Brandanschlag auf eine geplante Asylunterkunft in Bautzen. Beide Vorfälle hatten die bundesweite Aufmerksamkeit für mehrere Tage auf Sachsen gerichtet. Auf Antrag der Staatsregierung und von Mitgliedern der Fraktionen der Linken und Grünen kam der Landtag nun zu einer Sondersitzung zusammen.

Tillich bezeichnete das Verhalten als „jämmerlich und abstoßend“. Es sei durch nichts zu rechtfertigen. „Die Ereignisse erschüttern mich maßlos. Solche Untaten sind ein Angriff auf unsere Werte und alles, was Sachsen und Deutschland ausmacht.“ Der Ministerpräsident stellte die aktuellen Vorfälle in eine lange Reihe ähnlicher Ereignisse. „Das Problem mit Rechtsextremismus in Sachsen ist größer als viele – auch ich – es wahrhaben wollten“, so Tillich.

Gleichwohl sei es falsch, dem Freistaat vorzuwerfen, in den vergangenen Jahren nichts dagegen unternommen zu haben. Tillich verwies auf die bereits im Jahr 1991 als Reaktion auf das Pogrom in Hoyerswerda gegründete „Soko Rex“ und das sogenannte „Operative Abwehrzentrum“ unter Leitung des Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz. Dieses war im November 2012 eingerichtet worden.

Die Ansprache von Rico Gebhardt (Die Linke) am 29.02.2016/Youtube

Mit Menschen, die die aktuelle Asylpolitik kritisierten, müsse man im Dialog bleiben, so Tillich. „Sonst suchen sie sich die Antworten woanders. Dann stärken wir die Populisten und rechtsextremen Rattenfänger. Wer jedoch Menschen angreift und Häuser anzündet, hat kein Gespräch verdient, sondern eine harte Strafe.“ Tillich kündigte an, das Programm „Weltoffenes Sachsen“ weiterentwickeln und im Schulunterricht mehr Platz für politische Bildung schaffen zu wollen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer wehrte sich gegen „Belehrung von außen“. Er sei stolz auf Sachsen. „Ich lasse mir von niemandem schlecht reden, was wir in den vergangenen 26 Jahren aufgebaut haben.“ Der Rechtsextremismus werde instrumentalisiert, um die Politik der CDU zu diskreditieren. „Von landesweiter Fremdenfeindlichkeit kann in Sachsen überhaupt keine Rede sein“, so Kupfer.

Die Ansprache von Stanislaw Tillich (CDU) am 29.02.2016/Youtube

Den Journalisten Claus Kleber vom „heute-journal“ und Karen Miosga von den „Tagesthemen“ unterstellte er fehlenden Respekt vor dem Ministerpräsidenten. Dies habe sich in der Art der Fragestellung in den mit Tillich geführten TV-Interviews gezeigt. Kupfer schließt damit an eine Pressemitteilung der AfD-Abgeordneten Kirsten Muster an. Diese hatte in der vergangenen Woche Kritik an Kleber und dessen angeblicher Aufforderung an den Ministerpräsidenten, sich an Demonstrationen gegen Pegida zu beteiligen, geäußert.

Im Zusammenhang mit dem Thema der Sondersitzung nahm Kupfer auch zu Geflüchteten Stellung: „Ich möchte nicht, dass es in sächsischen Städten sogenannte No-Go-Areas gibt, in die sich niemand mehr hinein traut – weder Zivilgesellschaft noch Polizei.“ Der Linkspolitiker Klaus Bartl urteilte später: „Herr Kupfer, Sie haben jedes Wort Ihres Ministerpräsidenten wieder infrage gestellt.“

Aber auch der Ministerpräsident wurde kritisiert, von Rico Gebhardt, dem Vorsitzenden der Linksfraktion: „Ich habe Sie im Landtag zweimal ausdrücklich für Ihre Worte zum Thema rechte Gewalt und Rassismus gelobt. Ein drittes Mal tue ich es nicht, denn ich glaube Ihnen kein Wort mehr.“ Gebhardt zählte im Anschluss Beispiele auf, die aus seiner Sicht eine Verharmlosung der rechten Gefahr belegten. So habe die CDU unter anderem die Rolle Sachsens bei der NSU-Mordserie heruntergespielt und nach den rechten Ausschreitungen in Heidenau ein allgemeines Versammlungsverbot erlassen, wovon zunächst insbesondere ein geplantes Willkommensfest für Geflüchtete betroffen war.

Die Ansprache von Valentin Lippmann (B90/Die Grünen) am 29.02.2016/Youtube

Zivilgesellschaftliche Initiativen würden laut Gebhardt unter Extremismusverdacht gestellt. Gebhardt weiter: „Sie haben aus PR-Gründen einen Sachsenchauvinismus hochgezüchtet, der uns zum Nabel der Welt machen soll. Die geistigen Brandstifter sitzen in der sächsischen CDU.“

Marko Schiemann, der europapolitische Sprecher der CDU-Fraktion, entgegnete darauf: „Wer Hass mit Hass bekämpfen möchte, hat selbst die Brandfackel in der Hand.“ Laut Augenzeugen habe es in Bautzen nur eine Handvoll Menschen gegeben, die der brennenden Asylunterkunft Beifall klatschten. „Wir lassen uns die harte Aufbauleistung des sächsischen Volkes weder von Kriminellen noch von Ideologen kaputtreden“, ergänzte Schiemann.

Auch aus der Grünen-Fraktion hagelte es Kritik an die Abgeordneten der CDU. „Herr Tillich hat den Ernst der Lage erkannt“, erklärte der Fraktionsvorsitzende Volkmar Zschocke. „Aber jedes Mal wenn er eine klare Aussage gegen Rechtsextremisten tätigt, kommt aus der Fraktion reflexartig der Hinweis auf die Gefahr durch Linksextremismus.“ Zschocke forderte eine „neue demokratische Kultur der Zusammenarbeit“ und mehr Personal für das Programm „Weltoffenes Sachsen“. In Richtung des Ministerpräsidenten äußerte er: „Beenden Sie die Unsitte in der CDU, diejenigen, die rechtsextreme Tendenzen und Strukturen vor Ort schonungslos benennen, als Nestbeschmutzer oder vermeintliche ‚Linksextremisten‘ zu diffamieren.“

Die Ansprache von Marco Schiemann (CDU) am 29.02.2016/Youtube

Sein Fraktionskollege Valentin Lippmann, zugleich parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher, ergänzte: „Als die Bundeskanzlerin sagte ‚Wir schaffen das‘, muss sie wohl kurzzeitig vergessen haben, dass Sachsen zur Bundesrepublik gehört.“ Der Rechtsstaat sei hierzulande beschädigt, was sich unter anderem an der Hilflosigkeit gegenüber rechten Aufmärschen zeige. Die sächsische Polizei müsse für Menschenrechte und sichtbares Vorgehen gegen „schwarze Schafe“ sensibilisiert werden. Lippmann sprach sich für eine starke Zivilgesellschaft aus. „Das tut den Herrschenden weh, stört, kritisiert und streitet, aber trägt damit die Grundfeste unserer republikanischen Staatsordnung.“

Dirk Panter, der SPD-Fraktionsvorsitzende, beklagte, dass es im Freistaat mancherorts an „moralischen Kennziffern“ mangele. „Wer Sorgen in angemessener Form äußert, muss ernst genommen werden. Wer nur vorgibt, Sorgen zu haben, aber Andersdenkende und Flüchtlinge niederbrüllt, dem müssen wir klar sagen: Hier ist die Grenze erreicht und die ist nicht verhandelbar. Es gibt ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber es gibt kein Recht auf Beschimpfung, Beleidigung oder Bedrohung.“ Die zuletzt von SPD-Landeschef Martin Dulig geäußerte Kritik am Koalitionspartner CDU, der am Erstarken des Rechtsextremismus eine Mitschuld trage, wiederholte Panter nicht.

Auch die AfD meldete sich in der Debatte zu Wort. „Die jüngsten Vorkommnisse in Clausnitz und Bautzen sind durch nichts zu entschuldigen“, erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jörg Urban. Er forderte einen starken Staat und ein Ende der „leidigen Diffamierungsstrategie gegen alle Kritiker der Migrationspolitik“. Es sei nicht richtig, die Teilnehmer von Pegida-Demonstrationen pauschal als Fremdenfeinde und Rassisten zu bezeichnen. „Das Gutachten von Professor Werner Patzelt belegt, dass ein Großteil der Demonstrationsteilnehmer lediglich zornige und unzufriedene Bürger sind.“

Sein Fraktionskollege Carsten Hütter räumte unterdessen ein, dass die AfD auf ihrer Homepage eine falsche Information verbreitet habe. Sie präsentierte dort ein Foto, das angeblich zeigen sollte, wie Geflüchtete in Freiburg auf einem Polizeiauto herumspringen. Tatsächlich handelte es sich dabei wohl um ein mehrere Jahre altes Foto mit Fußballfans in Italien.

Thema der Sondersitzung war nicht nur Tillichs Regierungserklärung, sondern auch ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der Grünen und Linken. Damit sollte der Ministerpräsident dazu aufgefordert werden, ein Gesamtkonzept für den Freistaat vorzulegen, welches sich mit der Situation geflüchteter Menschen und dem Zustand der Zivilgesellschaft in Sachsen befasst. Der Antrag fand jedoch keine Mehrheit. Aus der SPD hieß es, die Forderungen seien nicht konkret genug.

Trägt die CDU eine Mitschuld am Holocaust? Und hat das überhaupt jemand behauptet? Screenshot: Twitter
Trägt die CDU eine Mitschuld am Holocaust? Und hat das überhaupt jemand behauptet? Screenshot: Twitter

Die Sondersitzung des Landtages fand nicht nur auf den Besuchertribünen, sondern auch auf Twitter großen Zuspruch. Das dazugehörige Hashtag #saxlt rangierte in den Deutschlandtrends lange Zeit ganz oben. Auch der CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer beteiligte sich mit mehreren Tweets. In einem davon unterstellte er dem Linken-Fraktionsvorsitzenden Gebhardt eine Aussage, wonach die CDU eine Mitschuld am Holocaust trage.

Fischers Tweet bezog sich auf die Kritik Gebhardts an einem Zitat des Ministerpräsidenten. Tillich hatte in einem Grußwort zum 70. Jahrestag der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Zeithain gesagt: „Für den Westen Deutschlands war das Kriegsende 1945 eine Befreiung. Für den Osten war es der Beginn neuen Unrechts.“ Gebhardt kommentierte dies mit den Worten: „Damit wird die Befreiung von einem Regime, das einen Weltkrieg mit 60 Millionen Toten angezettelt und industriellen Massenmord als Herrschaftsmethode eingesetzt hat, in den Schatten der Friedlichen Revolution von 1989 gestellt.“

„Konkreter Anlass für meinen Tweet war der Duktus von Herrn Gebhardt“, erklärte Fischer auf Anfrage. „Mit der Behauptung, die sächsische Union relativiere den industriellen Massenmord der NS-Diktatur hat er einen nicht zutreffenden Vorwurf an eine demokratische Fraktion des Sächsischen Landtags erhoben. Diesem Vorwurf habe ich – mit dieser Zuspitzung – widersprochen. “

Keinesfalls wolle er die menschenverachtenden Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz relativieren oder die Opfer herabwürdigen, ergänzt der Landtagsabgeordnete. „Sollte ich mit dieser Formulierung Missverständnisse ausgelöst haben, bitte ich um Entschuldigung.“ Den Tweet hat Fischer mittlerweile gelöscht.

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Es gibt 4 Kommentare

Danke. Aber dazu gehört ja kein Scharfsinn. Diese “Politik” ist so leicht durchschaubar. Wenn man sehen will. Wenn man nicht will, geht man halt zu Legida und Co. und pflegt dort seine Paranoia und Verlustängste. Oder halt bei Facebook. Da kriegt man ja neuerdings so lustige Emoticons zu den Likes dazu. Und man kann endlich auf die Gutmenschen eindreschen, virtuell das tun, was man sich real meist eh nicht traut. Man wird ja auch da beschützt, Facebook lässt das meiste zu. Klar, die haben keine Zeit für Nazihetze, die müssen ja Nippelbilder finden und löschen.

Immer wieder eine Freude, deine Gedanken zu lesen.
Du solltest eine “Gastbeitrag”, einen “Zwischenruf” oder eine “Streitschrift” haben, wöchentlich.
Keiner derer, die sich hier bemühen oder produzieren, bringt derartig scharfsinnig das Wesentliche in den Focus.

Tillich hat nichts unterschätzt. Er hat die Rechten benutzt, genauso wie es etliche CDU-Mitglieder ihm gleichtaten, weil sie ihnen nutzten um ihre eigenen Ziele durchzusetzen. In der Hoffnung, dass die Regierung bald einknicken wird und die Obergrenze beschließt. Dann hätte das hektische Agieren nach Unterkünften und Integrationsmaßnahmen ein absehbares Ende und man könnte weiter den Dornröschenschlaf pflegen.
Nur hat sich die braune Pest nicht kontrollieren lassen, hat den hetzerischen Sprüchen die angekündigten Taten folgen lassen, sie wähnten sich ja sicher unter den schützenden Händen.
Tja, und dann ist man überrascht. Sowas aber auch.

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