Je öfter Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sich in der Flüchtlingsdebatte zu Wort meldet, umso deutlicher wird, in welche Sackgasse sich die deutschen Unionspolitiker mit ihrem "Verständnis für die Sorgen der Bürger" manövriert haben. Anfangs war es nur ein alter, antrainierter Reflex: Wenn politische Themen am rechten Rand der Gesellschaft für Aufregung sorgen, dann macht man sie sich zu eigen und nimmt damit den Rechtsradikalen den Wind aus den Segeln.

Das scheint in der Bundesrepublik 60 Jahre lang geklappt zu haben. Mit Betonung auf “scheint”, denn wirklich hinterfragt und untersucht hat niemand diese vor allem von der CSU gern verwendete Begründung für ihr lautstarkes Agieren mit nationalen und fremdenfeindlichen Ressentiments. Möglich, dass dazu auch charismatische Politiker vom Format eines Franz Joseph Strauß gehörten.

Doch in der Flüchtlingsdebatte scheint das nicht zu funktionieren. Je lauter und schriller Politiker der Unionsparteien sich in Vorschlägen überbieten, Asylsuchende in Deutschland zu bevormunden, knapp zu halten, und gleichzeitig die Flüchtlinge irgendwo an deutschen oder europäischen Grenzen zurückzuhalten, umso mehr Zulauf hat die stramm rechtsgerichtete AfD, die Unionsparteien verlieren. Im politischen Spektrum von SPD, Linken und Grünen passiert zwar nichts. Aber vielleicht auch deshalb, weil alle drei Parteien nicht mit einer konsequent anderen Haltung gegenhalten. Insbesondere die SPD laviert.

Vielleicht – und das ist eine Frage, die sich nach dem neuesten Tillich-Interview im Deutschlandfunk auftut – erwarten die Wähler, die jetzt so verstört zur AfD abdriften, gar keine immer neuen Alarm-Rufe aus dem bürgerlichen Parteienlager, sondern etwas völlig anderes, was sie derzeit nicht bekommen: sachliche Stellungnahmen, ordentliche und verlässliche Arbeit, das Gefühl, dass die 17 deutschen Regierungen einfach verlässlich abarbeiten nach den Regeln und Gesetzen, die dieses Land hat.

Möglich, dass diese mutlosen Politiker alle wie gebannt auf die Bildschirme der Fernsehapparate und die Titelseiten der Boulevardzeitungen starren, weil sie glauben, dort bekämen sie Volkes Meinung und die richtige Stimmung zu sehen. Die Akteure im Land, die jetzt alle Kanäle bespielen, um ihre Fremdenfeindlichkeit zur einzig gültigen Staatsraison zu machen, sind ja geradezu losgelassen – und wenn sie schon nicht in Wahl-Duellen auftreten können, dann gehören ihnen immer noch feste Plätze in fast allen Talkshows.

Man reitet sich quasi gemeinschaftlich erst so richtig in die Panik.

Eigentlich wäre es der allerbeste Zeitpunkt, sich tatsächlich einmal als ruhiger und nachdenklicher Macher zu profilieren. Eine Chance, die Sachsens Ministerpräsident eigentlich hätte. Aber selbst dieser sonst so ruhige Mann zeigt immer mehr, wie sehr er sich von der Stimmung in Teilen seiner eigenen Partei treiben lässt, die einfach nicht wahr haben will, dass die abgesplitterte AfD das Geschäft mit Chauvinismus, Nationalismus und Fremdenangst viel besser beherrscht – denn derzeit hat sie gar keine anderen Themen.

Es wäre die beste Steilvorlage für eine Regierung, die zeigen möchte, dass sie zu arbeiten und zu organisieren versteht.

Doch genau das will Tillich augenscheinlich nicht zeigen.

Stattdessen mehren sich seine Interviews mit privaten Großzeitungen und öffentlich-rechtlichen Sendern, in denen er versucht, sich als Mahner und Forderer zu profilieren. Als wenn die Union nicht schon genug solcher Flöhe hätte, die jetzt überall springen und hüpfen und Verschärfungen fordern.

Peinlich findet der Fraktionschef der sächsischen Grünen, Volkmar Zschocke, das neueste Interview Tillichs am Donnerstag, 21. Januar, im Deutschlandfunk, wo Tillich durchaus andeutete, warum er derzeit auch so herumhüpft, auch wenn er dazu aufrief, “nicht wegen der aktuellen AfD-Umfragen den Kopf zu verlieren.”

Da kommt das alles her. Und augenscheinlich fehlt der CDU jegliche Analyse, warum das so ist und wie man damit souverän umgehen könnte.

“Der erneute Ruf nach Asylrechtsverschärfung führt in die Sackgasse”, erklärt Zschocke. “Das Asylrecht wurde mehrfach verschärft. Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben sich bereits auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen verständigt. Diese müssen doch erst einmal umgesetzt werden, bevor die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Außerdem ist bei der Umsetzung noch jede Menge Luft nach oben, wenn ich allein an die langen Verfahrensdauern beim Bundesamt für Migration denke.”

Verständigt hat sich die Bundesregierung auf das Maßnahmenbündel schon im Herbst. Aber beschlossen hat es das Regierungskabinett noch nicht.

Zschocke stellte auch Tillichs Überlegungen für Zurückweisungen an der Grenze infrage. “Selbst wenn ich die menschenrechtlichen Probleme dieses Vorschlags beiseitelasse, ist er doch wieder nur eine Scheinlösung. Ein Land mit einer langen Landgrenze wie Deutschland lässt sich nicht abriegeln. Der Versuch der Grenzschließung wäre ein weiteres Konjunktur-Programm für Schlepper und treibt Flüchtlinge in Deutschland in die Illegalität. Es ist doch naiv zu glauben, dass Flüchtlinge nach der Abweisung an der Grenze einfach wieder nach Hause zurückkehren.”

Und dann benannte Zschocke das, was eigentlich auch den Unionspolitikern klar sein müsste: Deutschland und die komplette EU müssen auch endlich echte Verantwortung für die Krisenregionen in dieser Welt übernehmen, helfend, sichernd und stabilisierend eingreifen. Die Zeit der Entwicklungshilfe nach dem Gießkannenprinzip ist eigentlich vorbei. Wenn es nicht gelingt, den Menschen in Syrien, Irak, Afghanistan und anderswo wieder stabile und verlässliche Lebensbedingungen zu schaffen, werden weiterhin Millionen versuchen, sich übers Meer und gefährliche Grenzen aufzumachen in Regionen, die noch stabil sind – wie Deutschland eben. Deutschland wird niemals eine Insel der Seligen sein können in einer Welt, in der ganze Regionen in Instabilität abdriften. Aber all die Leute, die jetzt Obergrenzen und dicht gemachte Landesgrenzen fordern, glauben das augenscheinlich mit einer Naivität, die schon erschrecken darf.

Volkmar Zschocke: “Um die Flüchtlingszahlen zu senken, werden wir einen langen Atem brauchen. Der Schlüssel findet sich aber weniger in Abschreckung, sondern in der Beseitigung von Fluchtursachen und wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern.”

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“Doch in der Flüchtlingsdebatte scheint das nicht zu funktionieren. Je lauter und schriller Politiker der Unionsparteien sich in Vorschlägen überbieten, Asylsuchende in Deutschland zu bevormunden, knapp zu halten, und gleichzeitig die Flüchtlinge irgendwo an deutschen oder europäischen Grenzen zurückzuhalten, umso mehr Zulauf hat die stramm rechtsgerichtete AfD,”

Herr Julke, ich gehe davon aus, dass Sie sich hier speziell auf Sachsen bezogen haben. Ich schätze Ihre Beiträge sehr.

Wie erklärt sich aber der rasante Anstieg des Wählerpotentials der AfD in der gesamten BRD? Ist die AfD denn tatsächlich so stramm rechts gerichtet, wie es in den Medien zum Ausdruck kommt? Sind den die bisherigen und kommenden Wähler der AfD durchweg Rechtsradikale? Was ist denn heute in der Politik noch rechts und was links? Gibt es diese politischen Grenzen überhaupt noch?

Die Prognosen für die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt haben die Beine der etablierten Parteien längst weich wie Butter werden lassen. Selbst in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wie meine Aktivitäten zur Reform der kommunalen Finanzkontrolle ergeben haben. Die AfD ist übrigens bezüglich der ordnungsgemäßen Kontrolle der Steuergelder genauso hilflos wie die anderen Parteien. Das geht in Sachsen-Anhalt so weit, dass im Programm der AfD eine Stärkung des Rechnungshofes Sachsen-Anhalt gefordert wird. Absoluter Murks. Ich bin dabei, dort die Freien Wähler auf diesen Angriffspunkt der AfD hinzuweisen.

Ich habe zur AfD eine andere Ansicht. Wer hat denn die AfD auf den Thron gehoben? Es waren die Medien, ohne wenn und aber. Seiten (eingeschlossen vieler Sendezeiten) mussten gefüllt werden, als die Problematik Griechenland nichts mehr her gab. Die Show musste weitergehen. Gedankenlos.
Es war beispielsweise ein gewaltiger Fehler Legida, Pegida, u.s.w. mit der AfD in einen Topf zu werfen. Das werden die Wähler nicht verzeihen! Weder in den alten, noch in den neuen Bundesländern. Die Zeiten sind längst vorbei, als ganze Generationen immer die gleiche Partei gewählt haben. Die Menschen gehen den Medien nicht mehr so leicht auf den Leim, was hervorragend ist.

Nicht wenige der sogenannten investigativen Journalisten haben sich in der Zwischenzeit als das erwiesen, was sie tatsächlich sind, super bezahlte Marionetten. Sie wollen vorwiegend eins, Kohle verdienen, viel Kohle. Dort, wo es wirklich stinkt und kracht, wagen die sich nicht hin. Ich kann längst Lieder davon singen, viele Lieder. Ich könnte auch Namen dieser Personen nennen, die bis heute gern gesehene Gäste im Fernsehen sind. Oftmals peinliche Auftritte. Wie beispielsweise diese Woche in einer Sendung der ARD (Hart aber Fair) wunderschön erkennbar.

Ich bin der Ansicht, dass es noch nie leichter war in die Parlamente einzuziehen, bis zum Bundestag, wie gegenwärtig. Diese Partei kann heißen AfD, ABC oder DEF, das spielt gar keine Rolle. Das Entscheidende ist, dass das Volk andere Alternativen hat bzw. sieht Ein sehr großer Teil hat es satt, sich wie ein Tanzbär an der Nase herum führen zu lassen. Er möchte dieser politischen Cliquenwirtschaft, die im Eilzugtempo auch in den neuen Bundesländern Einzug gehalten hat, etwas entgegen setzen. Auch deshalb, weil es sehr wohl Alternativen in unserer Gesellschaft gibt, ohne das Gesellschaftssystem selbst beseitigen zu wollen. Das ist auch gar nicht erforderlich. Zumindest wahrscheinlich nicht die nächsten 100 Jahre.

Nun kann lachen so laut und lange jeder will. Ich habe ausreichende Ideen, um eine Partei aufzustellen, die spielend in Parlamente einziehen würde. Geben wir dieser Partei den Namen “FDV” (Freunde des Volkes).
Hauptthemen dieser Partei wären u.a. Reformen der kommunalen Finanzkontrolle, der Steuerfahndung sowie der Wirtschaftsprüfungen, sparsamer und wirtschaftlicher Umgang mit Steuergeld, Besetzung von Posten in öffentlichen Verwaltungen nach Leistung und nicht nach Parteibuch, wesentliche Reduzierung des Beamtentums, kostenloses Mittagessen sowie kostenlose Milch für alle bedürftigen schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland, Natürlich wäre die FDV in der Lage Finanzierungsquellen aufzuzeigen. Die FDV wäre keine Schaumschläger- und auch keine Utopie-Partei.

Letzte Bemerkungen:
Ein riesiges Feld für Diskussionen. Ein schwer zu beackerndes Feld, was sehr viel Aufmerksamkeit und besonders viel Sachlichkeit und Fingerspitzengefühl erfordert.

Um jeglichen Interpretationen zuvor zu kommen, ohne diese ausschließen, geschweige denn, verhindern zu können: DAS WAR BZW. IST KEINE LOBESHYMNE AUF DIE AfD!

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