So recht sicher scheint sich auch der kleinere Koalitionspartner in der sächsischen Regierung, die SPD, nicht zu sein, was der amtierende Innenminister Markus Ulbig (CDU) nun eigentlich tun will, nachdem er im Herbst erstmals vernehmbar gejammert hat: "Ich brauche mehr Polizisten." Die Fachkommission zur Evaluierung der Polizei hat das im Dezember bestätigt. Und nun? Wartet Ulbig jetzt einfach auf die Wachpolizei?
“Wir haben jetzt endlich eine praktikable Möglichkeit, um unsere Polizei schnell zu entlasten“, erklärte Albrecht Pallas, sicherheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, am Mittwoch, 16. Dezember, nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Wiedereinführung des Wachpolizeidienstes in Sachsen. Gleichzeitig biete sich nun die Möglichkeit, weiteren Polizeinachwuchs neben den normalen Einstellungen zu erschließen.
Mit Blick auf den vorgelegten Bericht der Fachkommission Polizei, die einen aktuellen Mehrbedarf von 1.000 Stellen festgestellt hatte, erklärte Pallas: “Mit diesem Bericht ist der Stellenabbau bei der Polizei ein für alle Mal Geschichte. Wir haben es jetzt schwarz auf weiß, dass der ein Fehler war. Nun wird es darum gehen, diesen Fehler schnell zu beheben. Deshalb appelliere ich an den Innen- und an den Finanzminister: Sorgen Sie bitte dafür, dass der Stellenabbau bei der Polizei umgehend außer Vollzug gesetzt werden kann und machen Sie uns schnell tragfähige Vorschläge, wie wir den Einstellungskorridor bereits im nächsten Jahr auf 550 Polizisten anheben können.“
Wahrscheinlich hat er dabei das Kichern aus der Linksfraktion gehört. Denn dort sitzt ja einer, der ständig nachfragt und der Regierungskoalition nun immer wieder unter die Nase reibt, dass sie erst im Frühjahr einen weiteren Stellenabbau bei der Polizei beschlossen hat. Man kann nicht nach mehr Polizisten jammern und gleichzeitig die Streichung von Stellen beschließen. Das ist einfach nur närrisch.
Tatsächlich ist im Doppelhaushalt 2015 / 2016, den die Landtagsmehrheit im Frühjahr beschloss, zu lesen: “Im Bereich der Polizei wurden bisher 1.721 Stellen, darunter 300 Anwärterstellen, von insgesamt 3.551 kw-Vermerken abgebaut. Mit der Rücknahme der seit dem Jahr 2010 beschlossenen 810 Stellenabbauverpflichtungen verbleiben noch 1.020 kw-Vermerke, von denen 122 im Jahr 2015 und 148 im Jahr 2016 stellenkonkret ausgebracht sind. Die verbleibenden 750 kw-Vermerke werden auf folgende Jahre ausgebracht: kw 2017: 139 kw 2018: 28 kw 2019: 122 kw 2020: 117 kw 2021 ff.”
Heißt im Klartext: Obwohl jetzt schon 1.000 Polizisten fehlen, sollen allein bis 2020 weitere 454 Stellen gestrichen werden, wenn man die Zahl für 2015 noch dazu nimmt, sogar 576. Die Landesregierung hätte gut daran getan, für diesen Punkt im Doppelhaushalt wirklich einen Änderungsantrag vorzulegen und den Stellenabbau wirklich zu stoppen. Das Gerede von Abbaustopp nimmt sonst niemand mehr ernst.
Enrico Stange – das ist der Bursche aus der Linksfraktion, der nicht aufhört, den Innenminister mit Fragen zu löchern – hat vor Weihnachten deshalb extra noch einmal nachgefragt, wie Markus Ulbig 2010 zu seiner durchwachsenen “Polizeireform 2020” kam.
Selbst die LVZ hatte sich 2010 darüber gewundert, welche seltsamen Konturen die schwarz-gelbe Spar-Freude beim Personal da anzunehmen drohte: “Trotz eines deutlichen Anstiegs der Diebstahlkriminalität besonders in grenznahen Regionen wird der Personalabbau bei der sächsischen Polizei fortgesetzt. Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte bei der Vorstellung eines Prüfberichts zur Stellenausstattung, der Abbau um 2.441 Beamte sei beschlossen und gehe auch so weiter.”
Der Widerspruch zwischen Kriminalitätsentwicklung und Personalabbau war also offenkundig. Da wollte Stange jetzt wirklich mal wissen, womit der Stellenabbau seinerzeit überhaupt begründet wurde. “Hinsichtlich der Personalausstattung der Polizei wird in dem Bericht darauf verwiesen, dass sich diese an der Sicherheitslage orientieren muss”, antwortet Ulbig jetzt.
Aber bei Stanges nächster Frage widersprach er sich eigentlich.
Stange hatte gefragt: “Welche Empfehlungen hat die in der Vorbemerkung genannte Projektgruppe zur Personalstärke und zur Aufgabenzuweisung der sächsischen Polizei abgegeben und welche dieser Empfehlungen wurden bisher umgesetzt?”
Eine Frage übrigens, die Ulbig nicht wirklich mit einem Hinweis auf den Bericht der damals eingesetzten Projektgruppe zur Personalstärke und zur Aufgabenzuweisung der sächsischen Polizei abtun kann, denn zu sehen bekamen die Abgeordneten nur das neue Personal- und Organisationskonzept, nicht die Empfehlungen aus der Kommission. Klammer auf: Wenn es die überhaupt gegeben haben sollte in dieser Form. Denn die Aufgabenstellung war eigentlich eine andere.
Denn Ulbigs Antwort deutet auch jetzt darauf hin, dass man seinerzeit lediglich eine Straffung und Verschlankung des Polizeiapparates im Sinn hatte, keine personell nachvollziehbare Absicherung aller polizeilichen Aufgaben.
Ulbigs jetzige Antwort: “Durch die Projektgruppe ist als zentrale Empfehlung eine weiterführende Aufgaben- und Organisationskritik im Bereich der Polizei für zwingend erforderlich gehalten worden.”
Man scheint also vor allem von der Theorie her eine schmucke schlanke Polizei geplant zu haben, ohne wirklich die Arbeitslast zu ermitteln und die dafür notwendige Sollstärke zu erfassen. Da nutzen dann alle Synergien und Straffungen nichts, wenn man nicht genug Polizisten im Einsatz hat.
Aber darum ging es bei der “Aufgabenkritik” überhaupt nicht. Das steht so deutlich auch im “Feinkonzept”: “Mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung wird die sächsische Polizei nach dem Jahr 2025 über 11.280 Stellen verfügen (2010: 13.911). Damit wird der Freistaat weiterhin über eine höhere Polizeidichte verfügen als der Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer.”
Man hat nichts anderes gemacht als bei Lehrern, Professoren und anderen Landesbediensteten: Man hat eine längst überholte Bevölkerungsprognose von 2008 als Zielmaß genommen und dann das Personal zusammengestrichen, bis es zahlenmäßig “passte”. Und dann hat man die Organisation an die zusammengestrichene Personalstärke angepasst. Nichts anderes. Das nannte man dann forsch Modernisierung.
Um sich ein Bild zu machen, wie viele Polizisten in Sachsen insgesamt in welchen Schritten seit 1990 abgebaut wurden, hatte Stange extra auch noch nach diesen Zahlen gefragt. Aber da verwies ihn Ulbig gleich mal an die Stellenabbauberichte der Regierung. Die gibt es tatsächlich. Aber sie sind zu einem Nachvollzug des Stellenabbaus denkbar ungeeignet. Online liegen sie sogar erst ab 2001 vor. Da müsste Stange also irgendwie ins Landtagsarchiv tappeln, um sich die früheren Berichte zu besorgen. Und der jüngste verzeichnet die Stellenkürzungen von 2011/2012. Bei so viel Aktualität ist natürlich verständlich, warum nicht nur Abgeordnete im Dunkeln tappen, sondern auch zuständige Minister.
Aber vielleicht hat man die Stelle, wo die Stellenabbauberichte erstellt wurden, 2012 einfach mal beiläufig mit gestrichen. Kann ja passieren in all der Hektik.
Es gibt 2 Kommentare
Ist das nicht alles schon vorsätzlich?
Ich bin erschüttert, wie sich alle Entscheidungsträger so an der Nase herumführen bzw. “verarschen” lassen, und dass diese Situation einfach so möglich ist!
Jedem vernunftbegabten Mensch schmerzt doch bereits das Hirn bei dieser Geschichte!
Als ich das große Gesichtsbild von Herrn Ulbig gleich auf der “Titelseite” sah, dachte ich: Ist er endlich zurückgetreten!? … Schade , doch nicht zurückgetreten. 😛