Es gibt Landtagsabgeordnete, die haben augenscheinlich so dicke Aktenordner angelegt, in denen die Reden berühmter Minister gesammelt sind, denen zu ihrer Zeit schon nicht so recht zu trauen war. So einen Aktenordner muss es bei der Linksfraktion im Landtag geben. Und beim Blättern im vergilbten Druckerpapier stieß der Abgeordnete Enrico Stange auf eine alte Auskunft von Albrecht Buttolo.

Buttolo war von 2005 bis 2009 Sächsischer Innenminister. Und auch zu seiner Zeit wurde im Landtag heftig über Stellenstreichungen bei der Polizei diskutiert. Das war damals schon ein heißes Eisen, denn erst kurz zuvor hatten seine Vorgänger im Amt, ein gewisser Thomas de Maizière und dessen Vorgänger Horst Rasch (alle CDU), einen heftigen Stellenabbau bei der sächsischen Polizei durchgezogen. Der war noch nicht einmal verdaut – gerade 210 von 360 Stellen waren abgebaut – als unter Buttolo schon wieder die nächste Kürzungsdiskussion begann.

Die erinnerte schon sehr an das, was Buttolos Nachfolger Markus Ulbig dann ab 2012 als “Polizeireform 2020” vorlegte.

Schon 2005 war eine Koordinierungsgruppe beim Sächsischen Finanzministerium eingerichtet worden. Denn alle “Reformen” im sächsischen Staatsapparat gingen nie von den einzelnen Fachministerien aus, sondern vom Finanzministerium. Man definiert die Staatsaufgaben nicht über den Bedarf, sondern übers Geld.

Damals hieß das Projekt noch nicht “Polizeireform 2020”, sondern “Stellenabbaukonzept 2010”. Und als 2006 die Landtagsabgeordnete der SPD, Margit Weihnert, mal nachfragte, was in dieser komischen Kommission eigentlich ausgeheckt würde, verbat sich der damalige Finanzminister Dr. Horst Metz so viel Neugier aus dem Landtag. “Im Übrigen (Ziffern 2 und 4) bitte ich Sie um Verständnis, dass ich in analoger Anwendung des Art. 51 Abs. 2 SächsVerf von einer inhaltlichen Stellungnahme zu o. g. Antrag namens und im Auftrag der Staatsregierung absehe”, bügelte er die neugierige Abgeordnete ab. “Mit den gestellten Anträgen in Ziffer 2 und 4 werden die Grenzen des parlamentarischen Fragerechts überschritten, da sie den durch Art. 51 Abs. 2 SächsVerf geschützten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berühren.”

Man kennt das Verhalten mittlerweile recht umfassend aus den Antwortbeiträgen von Innenminister Markus Ulbig: Man erklärt ein Thema einfach zum “Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung” und knallt den Abgeordneten die Tür vor der Nase zu.

Ergebnis: Margit Weihnert blieb auf ihrer Frage sitzen. Die Kommission mauschelte hinter verschlossenen Türen weiter.

Und Metz leugnete einfach, dass es weitere Abbaupläne gab: “Die von Herrn Staatsminister Dr. Buttolo während seiner Rede in der 40. Sitzung des Sächsischen Landtages am 25. Januar 2006 getätigte Ausführung, ‘Die Zahl 3.000 ist keineswegs eine Zahl, die mit dem Finanzministerium abgestimmt ist und die die Richtschnur für unsere jetzigen Überlegungen ist.’, trifft nach wie vor zu. Es gibt kein Bestreben der Staatsregierung, aufsetzend auf den im Jahr 2002 für den Polizeibereich beschlossenen Abbau von insgesamt 360 Stellen, wovon 210 bereits abgebaut wurden, weitere 3.000 Stellen bei der Polizei abzubauen.”

Das ist das Papierchen, das Enrico Stange im Fraktionsarchiv noch als unerledigt vorfand, wissend darum, dass Markus Ulbig ja mit seiner Amtsübernahme 2009 nichts anderes tat, als die “Polizeireform 2020” vorzubereiten.

Stange wollte zwar nur noch konkret herausfinden, was 2002 tatsächlich beschlossen wurde. Aber wirklich klarer wird das nach Ulbigs Auskunft nicht. Denn der verweist auf eine Unterrichtung der Sächsischen Staatsregierung aus dem Jahr 2002, in der im Grunde schon all die Einschnitte vorweggenommen wurden, die in einigen Ministerien schon vor Beginn der gelb-schwarzen Kürzungspläne ab 2010 für ein Kippen der Personalsituation sorgten. Das Sächsische Innenministerium stand damals nicht nur mit 360 Planstellen in der Liste, sondern mit 893.

Und Ziel war es auch damals, die Personalausstattung des Landes irgendwie an die Bevölkerungsentwicklung anzupassen. Ausgehend von 100.000 Landesbediensteten wollte man bis 2008 auf 88.500 kommen, was man als angemessene Personalausstattung für 4,2 Millionen Einwohner ansah.

2006, als Margit Weihnert nachfragte, war man also noch mitten drin in einem heftigen Stellenabbau – und bereitete schon den nächsten vor. Doch der schoss dann augenscheinlich deutlich übers Ziel hinaus. Man hatte wieder ein ganz ähnliches Verfahren versucht – irgendwie die durchschnittliche Polizeistärke in westlichen Flächenbundesländern ausgerechnet, das auf die prognostizierten 3,7 Millionen Sachsen im Jahr 2025 umgelegt und dann einfach drauflosgekürzt.

Doch schon im Dezember 2015 bekam dann Markus Ulbig durch die auf Druck der SPD eingesetzte Evaluierungskommission bestätigt, dass diese Rechnerei mit einem fiktiven Bundesland West völliger Blödsinn war und Sachsen schon jetzt weniger Polizisten hat, als es eigentlich braucht: 1.000 insgesamt.

Da wurde auch schon unter Ulbigs Vorgängern unübersehbar zu viel gestrichen.

Die Antwort auf Enrico Stanges Anfrage. 3389

Die Antwort von 2006 an Margit Weihnert.

Der Stellenabbaubericht von 2002.

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