Manchmal hat man, wenn man so die täglichen Verlautbarungen aus Parteibüros, Regierungskabinetten und Klausurtagungen hört und liest, das Gefühl, dass man in einem schizophrenen Land lebt. Tagelang hört man lauter Kraftmeierei aus der Union und scharfe Angriffe gegen Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik. Und dann beschließen die integrationspolitischen Sprecher der Union ein Papier in völlig anderem Ton.

Auch wenn wieder vollmundig drüber steht: “Unsere Leitkultur ist nicht verhandelbar und Grundlage erfolgreicher Integration“. Das mit der Leitkultur hat man ja nun schon geraume Zeit gehört, oft mit allerlei seltsamen Erwartungen an eine christlich-abendländische Kultur verbunden. Aber das geht auch ganz anders. Die integrationspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Landtagsfraktionen sowie der Bundestagsfraktion kamen in dieser Woche in Dresden zu einer Tagung auf Einladung der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages in Dresden zusammen.

Auf der Tagesordnung des zweitägigen Arbeitstreffens standen neben Gesprächen mit Dr. Günter Krings, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, und dem Sächsischen Ausländerbeauftragten Geert W. Mackenroth die Vorstellung des Modellprojekts “Early Intervention” zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration von Asylbewerbern mit Vertretern der Bundesagentur für Arbeit.

“Wir sind uns einig darüber, dass die Integration nach der Unterbringung von Asylsuchenden in Deutschland, deren Registrierung und die Entscheidung über deren Bleiberecht die eigentliche Mammutaufgabe wird, der wir uns – und damit meine ich die gesamte Gesellschaft – stellen müssen“, erklärte Jörg Kiesewetter, integrationspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion am Rande der Tagung.

Und dann war da diese Leitkultur. Aber welche eigentlich?

Und siehe da: In ihrer verabschiedeten Erklärung haben sich die Teilnehmer der Tagung für eine Leitkultur der Grundwerte ausgesprochen, nach der die freiheitlich-demokratische Grundordnung den Maßstab für die Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland bildet.

“Individuelle religiöse und kulturelle Ansichten müssen sich unserer Verfassung unterordnen. Unsere Leitkultur ist nicht verhandelbar und Grundlage erfolgreicher Integration“, sagte Kiesewetter. Das klang mal ganz anders. Oft genug wurde ja verbal die Leitkultur als Kontra zum viel beschworenen “Multikulkti” gesetzt.

Aber zumindest für die integrationspolitischen Sprecher der Unionsfraktionen gilt das so nicht. Im Gegenteil. Sie formulieren in ihrer Erklärung eindeutig: “Deutschland ist ein weltoffenes Land. Unsere Gesellschaft gründet sich auf eine Leitkultur, die geprägt ist von der freiheitlich demokratischen Grundordnung, dem staatlichen Gewaltmonopol, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der unbedingten Wahrung der Menschenwürde, der Freiheit des Glaubens und der Religion sowie der Toleranz gegenüber diesen, aber auch der Presse- und Meinungsfreiheit, die explizit die kritische Auseinandersetzung mit Religionen, ihren Symbolen und Figuren umfasst.”

Und während ein paar hemdsärmelige Politiker alleweil poltern und nach Obergrenzen, Grenzkontrollen und strafferen Abschiebungen rufen und gleich noch behaupten, Deutschland schaffe das nicht, sehen es die Integrationspolitiker der Union doch etwas anders und wesentlich zuversichtlicher.

Sie zeigten sich nun darüber einig, dass Deutschland auch in Zukunft seiner humanitären Verpflichtung nachkommt, fordern aber auch von Asylsuchenden, Integrationsangeboten nachzukommen. Kiesewetter: “Gleichermaßen erwarten wir von den Menschen, die zeitweise oder dauerhaft bei uns bleiben, dass sie sich in unsere Gesellschaft einbringen.”

Kann man ja machen. Aber integrieren kann man sich als Ankömmling nun einmal nur, wenn es geordnete Aufnahmeverfahren gibt und gut organisierte Integrationsangebote vom Deutschkurs bis zur Arbeitsaufnahme. Das ist nicht die Aufgabe der Asylsuchenden, diese Angebote muss die gastgebende Gesellschaft bereitstellen. Nur so wird ein Schuh draus.

Aber einen Großteil dieser Aufgabe haben eben nicht die überforderten deutschen Bürokratien übernommen, sondern die freiwilligen Helfer, die jetzt schon ein ganzes Jahr lang zeigen, zu was die deutsche Zivilgesellschaft in der Lage ist.

Und so danken die Unionspolitiker nun auch einmal den ehrenamtlichen Helfern und Hilfsorganisationen. “Integration in Deutschland mit Leben zu erfüllen und Werte und Traditionen zu vermitteln, ist eine unerlässliche Aufgabe, denen sich Tausende Helfer tagtäglich stellen“, sagt Kiesewetter.

Und die Integrationspolitiker sagen auch etwas, was man von diversen deutschen Innenministern viel zu selten hört: “Aus unserer Geschichte erwächst eine besondere Verantwortung. Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit treten wir entschieden entgegen. Sie spalten die Gesellschaft, statt sie zu vereinen.”

Was in der Summe eben auch heißt: Die Seele unseres Landes steckt vor allem im Grundgesetz, da stehen die Leitlinien, nach denen das Leben in unserer Gesellschaft sich ausrichten muss, wenn das ein offenes und lebendiges Land bleiben soll. Und diese Botschaft richtet sich eben nicht nur an alle, die in Deutschland Zuflucht suchen, sondern wohl erst recht an all jene, die bereit sind, auch nur einzelne Grundwerte zu opfern, bloß um an einer Stelle “Tatkraft” zu beweisen, wo Menschlichkeit gefragt ist.

Die Dresdener Erklärung für eine Leitkultur der Grundwerte.

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