Die sächsische Politik hat ein paar Probleme, die sie teilweise unfähig machen, die Entwicklungen im Land zu begreifen und zu gestalten. Das betrifft auch die Flüchtlingspolitik. Da werden Sonntagsreden gehalten, wie schnell man die Asylsuchenden gleich in Arbeit bringen würde. Aber eine simple Nachfrage zeigt: Der zuständige Innenminister lässt nicht mal die Zahlen erfassen. Aber worüber redet er dann eigentlich?

Gefragt hat die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Petra Zais. Mit zwei Kleinen Anfragen wollte sie erfahren, wie viele Asylsuchende in Sachsen bisher eine Arbeitserlaubnis erhalten haben und wie viele Beschäftigungserlaubnisse zur Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses erteilt worden sind. Doch laut Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) werden diese Daten statistisch nicht erfasst. Eine Beantwortung sei nicht möglich, ohne tausende Akten auswerten zu müssen.

Beide Antworten bestehen praktisch nur aus einem mittlerweile bekannten amtlichen Sermon, der erklärt, warum die Staatsregierung nichts weiß und warum ihr die Datenerhebung einfach zu viel Arbeit macht.

“Angesichts der Ministerreden ĂĽber die Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration von FlĂĽchtlingen sind die Antworten eine Frechheit”, ärgert sich Zais. “Oder sind die angefragten Zahlen so niedrig, dass sich die Staatsregierung scheut, diese zu veröffentlichen?”

Ein Problem ist natĂĽrlich, dass die Asylsuchenden in den ersten drei Monaten in den Erstaufnahmeeinrichtungen ĂĽberhaupt noch nicht arbeiten dĂĽrfen. Und auch danach hemmen bĂĽrokratische HĂĽrden die Arbeitsaufnahme.

“Solange die gesetzlichen Regelungen wie die befristete Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Arbeitsmarktintegration und den Zugang zu Berufsausbildung eher erschweren, wird es wohl bei den schönen Worten von den Chancen bleiben. Sachsen muss sich hier im Bund fĂĽr einen schnelleren Arbeits- und Ausbildungszugang fĂĽr FlĂĽchtlinge engagieren”, kommentiert Zais diese Zusammenhänge. “Dabei hätte die Staatsregierung in der sächsischen Wirtschaft einen Partner bei der Integration von Asylsuchenden in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt”, ist die Abgeordnete ĂĽberzeugt.

Laut Umfragen der IHK signalisieren sächsische Unternehmen Bedarf und Bereitschaft, Asylsuchende zu integrieren. Auf der Webseite der Handwerkskammer heiĂźt es u.a.: “Aufgrund sinkender Nachwuchszahlen ist es fĂĽr sächsische Arbeitgeber von Interesse, Fachkräfte mit Migrationshintergrund bei der Einstellung zu berĂĽcksichtigen.”

Eine im Oktober veröffentlichte IHK-Umfrage ergab: Über alle Wirtschaftsbereiche hinweg signalisieren 63 % der Befragten ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Beschäftigung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Mit 78 bzw. 74 % dominieren das Gastgewerbe und die Industrie, am zurückhaltendsten ist der Handel mit 50 %.

Und nicht die Herkunft der Menschen, die jetzt nach Sachsen kommen, erscheint den befragten Unternehmen als Haupthinderungsgrund fĂĽr eine Einstellung, sondern die vom Staat aufgebauten hohen bĂĽrokratischen HĂĽrden. Ohne Aufenthaltstitel darf nicht gearbeitet werden. Der ganze Irrsinn deutscher Abschottungspolitik der letzten 25 Jahre tobt sich hier aus.

Die einzige Institution, die tatsächlich Zahlen sammelt zu Asylbewerbern, die sich um eine Arbeit bemühen, da und dort auch eine Stelle bekommen, ist die Arbeitsagentur. Aber auch diese Auskunft macht deutlich, wie sehr in den deutschen Bürokraten noch der alte Obrigkeitsstaat lebendig ist, der am Ende vielleicht die Gnade gewährt, dass ein Mensch legal arbeiten darf.

Martin Dulig: “Im Hinblick auf die zustimmungspflichtigen Beschäftigungen liegen der Staatsregierung folgende Erkenntnisse vor: Im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 2015 wurden bei der Bundesagentur fĂĽr Arbeit 591 Zustimmungen zur Beschäftigung von Asylbewerbern erteilt und 273 Anträge abgelehnt. Die wesentlichen GrĂĽnde fĂĽr die Ablehnung durch die Bundesagentur fĂĽr Arbeit waren nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, ungĂĽnstigere Beschäftigungsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer und ausreichend zur VerfĂĽgung stehende bevorrechtigte Arbeitnehmer (sog. VorrangprĂĽfung).”

Im Klartext: Asylbewerber stehen immer ganz hinten an, wenn es um die Vermittlung von Jobangeboten geht. Und wenn die Arbeitsagentur “nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt” sieht, bekommen sie auch diesen Job nicht.

Erst am 29. Dezember veröffentlichte die Sächsische Arbeitsagentur gemeinsam mit den Wirtschaftskammern eine Erklärung mit dem Bekenntis der besseren Integration von Asylsuchenden – auch durch berufliche Qualifikation und Vermittlung in Arbeit.

“Angesichts des BevölkerungsrĂĽckgangs setzen wir bei der Fachkräftesicherung auf inländische Fachkräftepotenziale und auf Zuwanderung. Damit lassen sich die Folgen des BevölkerungsrĂĽckgangs abmildern. Zuwanderung ist deshalb ein wichtiger Teil der Lösung“, sagte Dr. Klaus Schuberth, Vorsitzender der GeschäftsfĂĽhrung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur fĂĽr Arbeit.

Und auch die Unternehmen haben noch einmal ihre Bereitschaft bekräftigt, die Asylsuchenden ins Erwerbsleben zu integrieren. “Die Unternehmen sind bereit, ihren Beitrag zur Integration zu leisten und Asylberechtigte und Asylbewerber mit guter individueller Bleibeperspektive zu ordentlichen Konditionen in den Betrieben zu beschäftigen. Zunächst muss aber die Politik ihre Hausaufgaben machen und unter Beweis stellen, dass sie die Organisation und Steuerung des FlĂĽchtlingsstroms unter Kontrolle hat. Aktuell ist noch gar nicht vollumfänglich klar, wer mit welchen Qualifikationen in unserem Land ist. Erst wenn wir das wissen und auch das Bleiberecht geklärt ist, kann die Integration in den Arbeitsmarkt erfolgen“, sagte Joachim Otto, Vizepräsident der VSW.

Die am Dienstag, 29. Dezember, veröffentlichte Erklärung hat freilich nicht das so wenig auskunftsfreudige Innenministerium unterstĂĽtzt, sondern das SPD-gefĂĽhrte Wirtschaftsministerium. Es wird wohl wie so oft sein in der jĂĽngeren sächsischen Regierungspolitik: Die einen zucken die Schultern und bemĂĽhen sich nicht einmal um belastbares Zahlenmaterial – und die anderen packen einfach an und tun, was getan werden muss – auch im Interesse des Landes.

Das ResĂĽmee von Petra Zais: “Vor diesem Hintergrund fordere ich Innenminister Ulbig dazu auf, sich schleunigst einen Ăśberblick ĂĽber die Arbeits- und Ausbildungsmarktzugänge zu verschaffen. AuĂźerdem erwarte ich, dass sich die Fachkräfteallianz von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) dieses Themas annimmt.”

Antwort auf die Kleine Anfrage von Petra Zais “Erteilung einer Arbeitserlaubnis fĂĽr Asylsuchende” (Drs. 6/3327).

Antwort auf die Kleine Anfrage von Petra Zais “Betriebliche Berufsausbildung fĂĽr Asylsuchende” (6/3328).

Presseerklärung der Unterzeichner der Erklärung “Die Chancen der Integration gemeinsam nutzen”.

Die Erklärung “Die Chancen der Integration gemeinsam nutzen”.

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