Dass in diversen Foren im Internet haufenweise Gerüchte wabern über "kriminelle Ausländer" und Straftaten von Flüchtlingen, hat Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) eigentlich nie sonderlich aufgeregt. Ein anderer Grund ist es, der den Innenminister in letzter Zeit etwas in die Bredouille gebracht hat: Seine Polizisten murren wegen Überlastung. Und was macht Ulbig? Er präsentiert eine "Statistik von durch Zuwanderer begangenen Straftaten".

Beauftragt, diese Statistik zu erstellen, hat er das Landeskriminalamt. Das hat für die ersten neun Monate des Jahres 2015 eine Sonderauswertung zur Kriminalitätsentwicklung in Sachsen im Zusammenhang mit dem Thema „Zuwanderung“ erstellt. In diesem Zeitraum gab es im Freistaat mehr als 45.000 Zuwanderer.

Und das Verblüffende an der Statistik ist: Sie widerlegt all die Legenden, die nicht nur in diversen fremdenfeindlichen Foren im Internet kursieren.

Markus Ulbig: “Die überwiegende Mehrheit der Zuwanderer in Sachsen verhält sich rechtskonform. Bei den ermittelten Tatverdächtigen gilt es zu differenzieren. Es sind nicht die Zuwanderer, die einmalig mit Bagatelldelikten straffällig werden, die uns Sorge bereiten, sondern einige wenige Mehrfach-/Intensivtäter, die fast die Hälfte aller durch Zuwanderer begangenen Straftaten zu verantworten haben.“

Und so kommt durch Ulbig ein neues Schreckgespenst in die Welt: der Mehrfach-/Intensivtäter, kurz: MITA. Und es klingt dann gerade so, als hätte sich Sachsen mit dieser kleinen Gruppe von mehrfach ertappten Tatverdächtigen geradezu das Chaos ins Land geholt.

Hintergrund: Seit Jahresbeginn werden in Sachsen Asylbewerber, Geduldete sowie” illegal aufhältige Ausländer”, die innerhalb eines Jahres mehr als fünf Straftaten begehen, durch Polizei sowie Staatsanwaltschaft täterorientiert und beschleunigt bearbeitet.

Wer also mehrfach ertappt wurde – auch bei kleinen Delikten – bekommt die besondere Aufmerksamkeit des Sächsischen Innenministers.

Die Zahlen: Zum 30. September 2015 waren in Sachsen 596 Mehrfach-/Intensivtäter (MITA) registriert. Diese haben in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres 4.807 Straftaten begangen. Das ist nahezu die Hälfte der durch Zuwanderer insgesamt begangenen Straftaten. Der Anteil der MITA an allen Zuwanderern liegt demgegenüber bei 1,3 Prozent.

Und das Innenministerium schiebt gleich noch nach: Im Vergleich zu allen tatverdächtigen Zuwanderern begehen MITA im stärkeren Maße schwere Straftaten. So haben sie beispielsweise über 60 Prozent aller der durch Zuwanderer begangenen Rauschgiftdelikte verübt.

Es darf gestutzt werden, denn die hier so prononciert hervorgehobenen Rauschgiftdelikte machen mit 567 Fällen nur etwas über 5 Prozent der 10.397 registrierten “Straftaten” aus. Der größte Teil der hier so martialisch als Straftat bezeichneten Fälle waren überwiegend Bagatelldelikte – 4.125 Diebstähle (davon die meisten Ladendiebstähle) und 1.843 Fälle von “Beförderungserschleichung”, zu deutsch: Schwarzfahren.

Und die meisten dieser Kleindelikte gingen – wenn die Statistik stimmt – aufs Konto von  Mehrfach-/Intensivtätern.

Und was macht Ulbig draus?

“Wer permanent gegen die Rechtsordnung verstößt, muss mit Konsequenzen rechnen. Das gilt für Deutsche als auch für Asylbewerber. Vor diesem Hintergrund habe ich veranlasst, dass die Strafverfahren und das Asylverfahren von mehrfach/intensiv straffälligen Asylbewerbern beschleunigt bearbeitet werden. Damit wird für MITA eine effektivere Strafverfolgung sichergestellt und zugleich die Möglichkeit geschaffen, Mehrfach-/Intensivtäter ohne Bleiberecht konsequenter abzuschieben.”

Etwas anderes kann er nicht. Drohen, strafen, abschieben.

Obwohl der Minister am Donnerstag, als er die Zahlen vorstellte, selbst zugeben musste, dass die meisten Straftaten, mit denen Zuwanderer erwischt sind, Ergebnis einer deutschen Spar- und Knauserpolitik sind. Man kürzt die Mittel, versucht die Leute über Monate in rudimentär ausgestatteten Erstaufnahmeeinrichtungen festzuhalten und wundert sich dann nicht mal, dass sie sich versuchen ein bisschen wie Menschen zu verhalten. Zum Beispiel auch mal mit dem ÖPNV zu fahren, den sich ja bekanntlich auch etliche Sachsen nicht mehr leisten können. Vom Tarifdschungel ganz zu schweigen.

Dass es die deutschen Bürokraten selbst sein könnten, die Menschen erst zu Straftätern machen, wird ihm wohl nie in den Sinn kommen.

Ulbig: “Um Beförderungserschleichungen künftig zu minimieren, prüfe ich derzeit gemeinsam mit Wirtschaftsminister Martin Dulig die Umsetzung, dass Zuwanderer als Sachleistung aus ihrem Taschengeld ein personalisiertes Ticket bekommen. Damit könnte jede fünfte Straftat durch Zuwanderer wegfallen.“

Das ist auch nur eine Umverteilung, wenn man das aus dem Taschengeld der Asylsuchenden finanziert.

Auffällig hoch sei der Anteil tunesischer Staatsangehöriger. Sie machen fast ein Viertel aller ermittelten tatverdächtigen Zuwanderer aus, stellte Ulbig am Donnerstag fest. Doch der Anteil tunesischer Zuwanderer an allen Zuwanderern betrage gerade einmal 4 Prozent. Bei Zuwanderern aus Syrien ergibt sich ein umgekehrtes Bild. Fast jeder dritte Zuwanderer kommt aus Syrien. Ihr Anteil an den tatverdächtigen Zuwanderern liegt bei weniger als fünf Prozent.

Also will Ulbig die Tunesier gleich wieder loswerden: “Ich fordere vom Bund und der tunesischen Regierung mehr Kooperation sowie Unterstützung bei der Beschaffung von Personaldokumenten, um die Rückführung abgelehnter und mehrfach straffällig gewordenen Asylbewerber weiter voranzutreiben.”

Das muss man wohl nicht kommentieren. Das ist die Schaffung neuer Sonderrechte für besondere Bevölkerungsgruppen. Auch so kann man einen Rechtsstaat aushöhlen.

Die Zahlen in der Übersicht

In den Monaten Januar bis September 2015 sind in der Polizeilichen Kriminalstatistik Sachsen 4.695 Zuwanderer als Tatverdächtige erfasst worden. Durch diese wurden 10.397 Straftaten (ohne ausländerrechtliche Verstöße) verübt. Im Vergleichszeitraum 2014 waren 3.104 Zuwanderer als Tatverdächtige mit 7.029 Straftaten registriert.

Schwerpunkte der durch Zuwanderer begangenen Straftaten:

– Diebstahlsdelikte mit ca. 40 Prozent; dabei ist der Ladendiebstahl absoluter Schwerpunkt (er macht 75 Prozent aller Diebstähle aus),
– Beförderungserschleichung mit ca. 18 Prozent,
– Körperverletzungsdelikte mit etwa 11 Prozent,
– Rauschgiftdelikte mit etwa fünf Prozent.

Straftaten gegen das Leben machen mit 17 Fällen, davon drei vollendete, etwa 0,2 Prozent und Vergewaltigungen sowie sexuelle Nötigungen mit fünf Fällen, davon vier vollendete, etwa 0,05 Prozent aller durch Zuwanderer begangenen Straftaten aus.

„Sie stellen mithin keine Schwerpunkte dar“, so der Innenminister.

Zwölf Prozent der erfassten Fälle der durch Zuwanderer von Januar bis September 2015 begangenen Straftaten wurden in Asylunterkünften verübt. In den Einrichtungen liegt der Schwerpunkt dabei eindeutig bei Körperverletzungen, die über 40 Prozent einnehmen. Zudem wurden auch 15 der 17 Straftaten gegen das Leben in Asylunterkünften begangen.

Und dabei könnte man es belassen und die Menschen ganz normal nach deutschem Strafrecht behandeln.

Aber gelernt hat Sachsens Innenminister aus seiner Anbiederung ans laute rechte Milieu in den vergangen Monaten nichts. Er will für die Flüchtlinge, die in Sachsen straffällig wurden, neue Strafregeln einführen.

“Deswegen fordere ich, dass Personen, die sich im Asylverfahren befinden, ihren Aufenthaltsstatus künftig bereits verlieren, wenn sie rechtskräftig wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von deutlich unter drei Jahren verurteilt werden”, forderte er am Donnerstag.

Bisher können Zuwanderer nur dann abgeschoben werden, wenn sie rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren oder wegen Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden sind – also bei wirklich schweren Straftaten.

Und so ist Ulbig das Kunststück geglückt, bei einer Pressekonferenz, die belegte, dass Zuwanderer vor allem in den Massenunterkünften gegen andere Zuwanderer gewalttätig werden, die allerwenigsten überhaupt straffällig werden und eine sehr kleine Gruppe vor allem mit Rauschgift- und Bagatelldelikten auffällt, wieder den Scharfmacher zu geben.

Präsentation zur Kriminalitätsentwicklung im Freistaat Sachsen im Zusammenhang mit dem Thema „Zuwanderung“.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar