Geht die Zeit des Personalabbaus in Sachsen zu Ende? Die Bürger warten ja drauf. Und mit drastischen Worten beschrieb das Martin Dulig, Vorsitzender der sächsischen SPD und stellvertretender Ministerpräsident, am Samstag, 7. November, auf dem Landesparteitag der SPD in Görlitz: "Der Öffentliche Dienst wurde geringgeschätzt und abgebaut, mit der Folge, dass wir inzwischen große Probleme haben, unsere staatlichen Aufgaben ordentlich zu erfüllen."

So kritische Töne direkt an den Koalitionspartner CDU hat man auch von Dulig lange nicht gehört. Dabei holte er weit aus, sprach über die große Herausforderung Integration, die jetzt vor Sachsen liegt: “Lasst uns gemeinsam Integration riskieren. Riskieren heißt in der aktuellen Lage, die Realität anzunehmen und sich dem Wandel, der nicht aufzuhalten ist, mutig zu stellen. Wer jedes Risiko vermeiden will, indem er sich ängstlich im Hier und Jetzt festklammert, der wird das Gegenteil von dem erreichen, was er beabsichtigt. Er zerstört zugleich auch alle Chancen, die Veränderungen bieten. Es klingt nur scheinbar paradox: Nichts zu riskieren, bringt nicht die erhoffte Sicherheit, sondern bedeutet im Gegenteil, mehr zu riskieren – nämlich die Zukunft zu verspielen.“

Und dabei teilte er auch deutlich gegen Pegida & Co. aus, die mittlerweile offen das rechtsradikale Vokabular benutzen. Und das ist in Sachsen kein Zufall. Erstmals benannte Dulig recht deutlich, was das genau mit der bisherigen Politik der CDU in Sachsen zu tun hat.

“PEGIDA zeigt aber auch, was in den letzten 25 Jahren in Sachsen schiefgelaufen ist”, sagte Dulig. “Die alte CDU muss sich ihrer Verantwortung stellen und die richtigen Konsequenzen ziehen. 25 Jahre Staatspartei CDU haben Sachsen auch zu einem demokratischen Entwicklungsland werden lassen. Hier wurde gern eingeteilt, wer ein guter und wer ein schlechter Demokrat ist. Wer die CDU kritisierte bzw. nicht nur alles toll in diesem Land fand, war dann schnell ein Nestbeschmutzer. Wer nicht in das Weltbild der alten CDU passte, wurde schnell auch mal mit Fördermittelentzug bestraft, wie z.B. der Landesfrauenrat oder in der Jugendhilfe. Politisches und gesellschaftliches Engagement wurde eher beargwöhnt als gefördert. In den Schulen fand Unterricht, aber wenig Auseinandersetzung und Erziehung statt. Mitbestimmung, Gewerkschaftsarbeit, sich gegen Nazis und Rassismus engagieren, das galt als ‘links’ und deshalb nicht gewollt.”

Da fanden sich eine Menge Leute, die einfach ihre gesellschaftliche Arbeit machten – auch Gewerkschafter und Pfarrer – nicht nur mit dem Verdikt “links” beklebt, sondern auch oft genug vor Gericht wieder. Das war all die Jahre immer wieder Wasser auf die Mühlen all derer, die eine kritische Demokratie sowieso verachten.

“Demokratie lebt von Widerspruch, von Engagement und von Meinungsvielfalt”, sagte Dulig. “Auch wenn es schwerfällt, das muss man aushalten und sogar einfordern!”

Und er ging auf einen der fatalsten Fehler der letzten Regierung ein: Ihr völlig realitätsfremdes Kürzungsprogramm beim Landespersonal.

“Dazu kam, dass in den letzten Jahren ein starker Staat als hinderlich galt. Der Öffentliche Dienst wurde geringgeschätzt und abgebaut, mit der Folge, dass wir inzwischen große Probleme haben, unsere staatlichen Aufgaben ordentlich zu erfüllen.”

Darunter leiden nicht nur Lehrer, Justizbeamte und Hochschulangestellte, darunter leiden auch all die Polizisten, die mit den Demonstrations-Marathons der sächsischen Rechtsradikalen oft genug schon an ihrer Belastungsgrenze sind. Dulig meint zwar, mit dem Einzug der SPD in die Regierung sei der Personalabbau gestoppt worden, aber das stimmt so nicht. Bei der Polizei geht der Personalabbau noch bis 2019 weiter – jedes Jahr verschwindet eine komplette Hundertschaft. Im Hochschulbereich werden alle Kürzungen bis 2016 beibehalten. Wie es bei den Lehrern aussieht, weiß niemand. Auf eine Anfrage von Cornelia Falken (Die Linke) hat Kultusministerin Brunhild Kurth gerade die Auskunft verweigert.

Im Grunde war Duligs Rede ein Angebot an die CDU, jetzt tatsächlich die Weiche umzulegen.

“Wir brauchen eine Revitalisierung unseres öffentlichen Dienstes. Der Personalabbau muss dem Ende angehören. Die Stellen müssen nach ihren Aufgaben und nicht nach Abbauzielen bestimmt werden. Ich habe der CDU wiederholt angeboten und tue es heute wieder: Wenn wir mehr Polizistinnen und Polizisten brauchen – wir stimmen zu. Werden mehr Lehrerinnen und Lehrer gebraucht – wir stimmen zu. Mehr Erzieherinnen und Erzieher – wir stimmen zu. Und das gilt auch für mehr Professorinnen und Professoren, mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lehre und Forschung, mehr gut ausgebildete und kompetente Beamtinnen und Beamte sowie Angestellte in den Behörden, die sachgerecht und schnell entscheiden. Wir stimmen zu.”

Zum Geldausgeben mit vollen Händen solle das nicht führen.

“Wir werden auch hier nicht alle Wünsche erfüllen können”, schränkte der Parteivorsitzende gleich ein. “Wir werden auch abwägen, was wir uns leisten können und wollen und was nicht. Ich bin nur der Meinung, dass wir jetzt wieder auch in gutes Personal investieren müssen, allein schon, um der Alterung etwas entgegenzusetzen. Lieber jetzt zusätzliches junges Personal einstellen, als später die Aufgaben nicht mehr erfüllen zu können.”

Denn mittlerweile ist der Kampf um den jungen Nachwuchs in Sachsen längst entbrannt. Und der Freistaat ist fünf Jahre später als alle anderen in die verstärkte Nachwuchsgewinnung eingestiegen. Ob das, was die SPD bis jetzt erreicht hat, ausreicht, darf bezweifelt werden. Aber Dulig deutet in seiner Rede zumindest an, woran es liegt: “Nicht jeder Kompromiss mit der CDU war ein guter. So manches Mal mussten wir um des lieben Friedens willen zurückstecken.”

Wahrscheinlich ist es jetzt Zeit für deutlichere Worte. Denn wer von “Revitalisierung unseres öffentlichen Dienstes” spricht, der gesteht ja auch ein, dass es dem Patienten schon jetzt hundsmiserabel geht. Und dass wichtige Aufgaben – Dulig nennt explizit Integrationspolitik – schon nicht mehr fachgerecht ausgeführt werden können. Klammer auf: Für einen Großteil des Integrations-Dilemmas machte er die zuständige Bundesbehörde verantwortlich, die mit der Registrierung einfach nicht hinterher kam und damit erst dafür sorgte, dass sich die Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen stauen – bis heute. Aus ursprünglich einer Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz wurden erst im Frühjahr drei – heute sind es 41.

Dass so ein Problem von den Bürgern als Problem und Grund zur Verunsicherung wahrgenommen wird, ist verständlich. Dass Dulig dann wieder das  Heilmittel in europäischen Lösungen zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen suchte, nimmt seiner Rede freilich die Stringenz. Denn darauf haben weder die sächsische SPD noch die sächsische Regierung Einfluss. Sie müssen – und das ist das Wichtigere an Duligs Rede – mit den Gegebenheiten umgehen und Integration wirklich zur eigenen Aufgabe machen. Mit besserer Kommunikation, wie Dulig mit Fingerzeig auf die verantwortlichen CDU-Minister andeutete.

Duligs Rede zum Nachlesen.

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Es gibt 2 Kommentare

Es wäre mal gut, würde die Landesregierung wenigstens klar stellen, *wofür* die Sparorgien denn sein sollten.

Das Gerücht hält sich hartnäckig, dass alles Geld nur für die Pensionslasten gespart wird. Aber offiziell gibt es nicht keine Aussage.

Das Sparen erscheint als totaler Selbstzweck. Investiert wird scheinbar nur in Gebäude und Sachmitteln, aber es fließe ja bloß kein müder Euro in irgendein Beschäftigungsverhältnis.

Sachsen war in den 1990ern an sich als Musterland in Neufünfland bekannt, und man wartete darauf, dass ca. 2010 in Sachsen die Landschaften blühen.

Stattdessen mutmaßt man schon länger, dass allenfalls ein Sumpf prächtig gedeiht, wobei missliebige Zeugen dann – ganz im Stile “alter” Methode – als psychisch unzurechnungsfähig abserviert werden.

Ja, armes Sachsen. Du hast diese Regierungen nicht verdient.

Und er ging auf einen der fatalsten Fehler der letzten Regierung ein: Ihr völlig realitätsfremdes Kürzungsprogramm beim Landespersonal.

Was hat die sächsische SPD dafür getan, um das zu ändern? Weshalb hat die SPD beispielsweise nicht den Sächsischen Rechnungshof knallhart dafür kritisiert, dass er dieses längst überholte Personalkonzept immer noch als Grundlage für seine Prüfungen benutzt?

Was sind hier nur für Minister in Sachsen am Werk?

Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger scheinen in Sachsen doch längst nicht mehr ernst genommen zu werden.

Armes Sachsen.

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