Am Dienstag, 10. November, war Valentin Lippmann ein wenig zornig. Auch stellvertretend - für uns nämlich, die Medien, die Medienmacher, all die Journalisten, die seit über einem Jahr über Pegida, Legida, OfD & Co. berichten und die immer öfter Opfer von Angriffen und Gewalt aus diesen Demonstrationen heraus werden. Und die auch erleben mussten, dass ihnen die Polizei da keineswegs schützend zur Seite stand. Klares Thema für eine Regierungsanfrage in Sachsen.

Die hat Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dann auch gestellt. Und jetzt hat er eine windelweiche Antwort auf seine Fragen bekommen, zwar unterschrieben von Justizminister Sebastian Gemkow. Aber der Inhalt kommt aus dem Innenministerium von Markus Ulbig, der dem Treiben bis heute mit sichtlicher Ratlosigkeit zuschaut: die Polizei überlastet, der Minister wortgewaltig, wenn wieder eine Asylunterkunft brennt (wie zuletzt am 5. November: “Wir werden weiter konsequent gegen rechte Gewalttäter und Brandstifter vorgehen“), schwach in der Analyse, der Aufklärung und der Umsetzung.

Und nicht nur der Bundesinnenminister hat so seine Schwierigkeiten mit dem Grundgesetz, wenn er in immer neuen Sticheleien das Grundrecht auf Asyl infrage stellt, bloß weil er sich in seinem Amt völlig überfordert fühlt.

Dasselbe gilt für Sachsens Innenminister Markus Ulbig. Denn wenn es um den Schutz von Journalisten im Umfeld von Demonstrationen geht, dann geht es um ein Grundrecht. Dass das den teilweise rechtsextremen Hooligans, die bei Pegida und Co. mitmarschieren, egal ist, ist nicht die Frage. Dass es den Polizisten, die vor Ort zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eingesetzt sind, nicht egal sein darf, das ist die eigentliche Frage.

Wer selber nachlesen will: Es steht in Artikel 5 des Grundgesetzes. Klingt ganz harmlos und so, als würde sich der Staat nur nicht einmischen in die mediale Berichterstattung. Aber der Satz formuliert auch eine Schutzleistung, die der Staat gewährleistet: “Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.”

“Gewährleistet” steht da. Nicht “gewährt” oder “gegönnt” oder “gebilligt”. Der Staat verpflichtet sich damit, freie Berichterstattung zu sichern. Auch bei Demonstrationen. Und dazu gehört auch, dass alle Angriffe auf Journalisten aus Demonstrationen heraus von der Polizei nicht nur unterbunden, sondern auch geahndet werden. Es ist nur folgerichtig, davon auszugehen, dass alle diese Angriffe irgendwo zentral von der Polizei erfasst werden.

Doch nichts davon scheint zu existieren, wie Lippmann nun aus der abwiegelnden Antwort der Staatsregierung herauslesen kann.

“Sachsens Innenministerium nimmt die Gefährdung der Pressefreiheit in Sachsen auf die leichte Schulter.” Diesen Vorwurf erhebt Lippmann nun nach der Beantwortung seiner Kleinen Anfrage zum Thema “Angriffe gegen Journalisten bei -GIDA-Demonstrationen in Sachsen seit 2014” (Drs 6/2888).

In der Antwort des Innenministeriums wird auf die Fragen 1 bis 4 lediglich mitgeteilt: “Der Beruf eines Tatbetroffenen wird weder grundsätzlich noch regelmäßig erhoben und recherchierbar erfasst. Selbst eine Durchsicht aller einschlägigen Vorgänge würde deshalb eine vollständige Antwort nicht ermöglichen”.

Das ist dann schon amtliche Arbeitsverweigerung: Bei Angriffen auf Journalisten wird der Beruf der Betroffenen zwangsläufig erfasst.

Dem Abgeordneten wurden noch nicht einmal die jüngsten Übergriffe auf Reporter der DNN und des MDR oder der Deutschen Welle mitgeteilt, die am 28. September und am 19. Oktober 2015 pressebekannt geworden sind, beschwert sich Lippmann. Und auf die Frage nach konkreten Maßnahmen zum Schutz von Journalisten wird auf die Lagebeurteilung im Vorfeld von Versammlungen verwiesen. Weiter heiße es: “Dazu gehört auch die Schaffung eines Raumschutzes um die Veranstaltung herum, die möglichen Angriffen aus der und auf die Veranstaltung entgegenwirken soll. Dieser Schutz gilt auch den Akteuren der Presse.”

Aber selbst ein Blick auf Wikipedia zeigt: Zum Schutz der Journalisten ist das Mittel Raumschutz gar nicht gedacht: “Die Zielrichtung des Raumschutzes ist die Gefahrenabwehr.” Entweder weiß also die Polizei nicht, was sie da tut, oder die Staatsregierung weiß nicht, worum es geht.

Lippmann hält diese Antwort angesichts der realen Situation auf den Demonstrationen in Sachsen für “skandalös”.

“Innenminister Markus Ulbig (CDU) muss die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten ernst nehmen und endlich reagieren. Die Ignoranz seines Ministeriums bringt uns keinen Schritt weiter. Ein Innenminister sollte schon gegenüber der aggressiven Haltung gegen die ‘vierte Gewalt’ eindeutig Stellung beziehen”, fordert der Grünen-Abgeordnete. “Zu einer demokratischen Gesellschaft gehört eine unabhängige Berichterstattung. Die Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte in der Demokratie, die es zu verteidigen gilt – auch von einem Innenminister.”

Womit er den Kern des Ganzen nennt. Denn eine Demokratie funktioniert nicht ohne unabhängige Medienberichterstattung. Egal, ob sich die Leute, über die berichtet wird, betroffen oder falsch verstanden fühlen. Aber die Schilder und Rufe “Lügenpresse” bei all diesen rechten Demos zeigen auch, was die Demonstranten von einer freien Gesellschaft und einer freien und unabhängigen Presse halten: nichts. Schon das sollte einen Innenminister alarmieren, egal, was er von den konkreten Medien hält. Denn sein Job ist es, das Funktionieren der demokratischen Gesellschaft zu sichern. Wenn die freie Presse in Bedrängnis gerät, ist auch die Demokratie in Gefahr. (Ein großes Thema, aber darum werden wir uns an dieser Stelle in nächster Zeit noch intensiver kümmern.)

“Ich wünsche mir, dass der Innenminister auf Journalistenverbände und Medienhäuser zugeht und zusammen mit der Polizei Strategien entwickelt, wie den Angriffen und Bedrohungen Einhalt geboten werden kann”, sagt Lippmann. “Da auch Politiker mehr und mehr solchen Übergriffen ausgesetzt sind, könnte dieses Problem ebenfalls einbezogen werden. Grundlage dafür ist zunächst die Dokumentation der Angriffe und Bedrohungen sowie der Wille, diese wirksam zu bekämpfen.”

Die Antwort des Innenministeriums auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann “Angriffe gegen Journalisten bei ‘-GIDA-Demonstrationen’ in Sachsen seit 2014” (Drs 6/2888).

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