Sachsen hat ein Problem - auch wenn es nach Auskunft von Innenminister Markus Ulbig eigentlich keines hat mit Menschenhandel und ausbeuterischer Prostitution. So jedenfalls kann man die Antworten des Ministers auf eine Große Anfrage der Grünen "Menschenhandel, Zwangsprostitution und Prostitution" interpretieren. Denn auch hier gilt: Was eine Regierung nicht wissen will, das gibt es nicht.
Gefragt zu den Zahlen, Gerichtsfällen und Ermittlungen in Sachen Menschenhandel und Zwangsprostitution hatten die Grünen schon im Frühjahr und dann im Mai von Innenminister Markus Ulbig eine Menge Zahlen bekommen, die scheinbar belegen, dass es im Freistaat kaum ein Problem mit Menschenhandel gibt. Aber gerade da, wo die Anfrage ans Eingemachte ging und nach den Ermittlungen und Kontrollen im Rotlichtmilieu gefragt wurde, wurde die Auskunft des Innenministers wieder erstaunlich dünn und verschanzte sich Markus Ulbig hinter dem Hinweis, dazu müsste man haufenweise die Protokolle der Polizei durchforsten, eine Arbeit, die nicht zu leisten wäre, ohne die Arbeitsfähigkeit der sächsischen Polizei zu gefährden.
Man ahnt, wie das der gleichstellungs- und rechtspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion, Katja Meier, regelrecht Gänsehaut machte. Denn wenn ein Land sich derart auffällig zurückhält bei der Beobachtung und Kontrolle eines ganzen Dunkelfeldes, dann bedeutet das nichts Gutes für die Betroffenen.
Was nutzt die beste Beratung im KOBRAnet, wenn die zumeist aus Ländern Süd- und Osteuropas eingeschleusten Frauen nicht einmal in Kontakt mit der Polizei kommen, ihre Rechte nicht kennen und auch eine landesweite Erfassung aller Prostitutionseinrichtungen fehlt? Markus Ulbig spricht mehrfach von Dunkelziffer. Doch selbst die Steuerdaten aus den drei Finanzdirektionen zeigen, dass der Freistaat schlicht keine Übersicht über das Prostitutionsgewerbe hat – im Finanzdirektionsbezirk Chemnitz sind vier Mal mehr Prostituierte steuerlich erfasst als im Direktionsbezirk Leipzig: 4.080 gegenüber 968. In Dresden wurden sogar nur 260 Prostituierte im Düsseldorfer Verfahren erfasst. Deutliches Zeichen dafür, dass ein Wort wie Dunkelziffer eigentlich untertrieben ist.
Und die Zahlen aus den erfassten Gerichtsverfahren deuten darauf hin, dass die Polizei nur selten überhaupt in Kontakt mit dem Rotlichtmilieu kam: Wenn augenscheinlich keine Gewalttaten publik wurden, wurde selten einmal zugegriffen. Von einer systematischen Kontrolle kann keine Rede sein.
Und so formulieren es auch die Grünen jetzt in einem Entschließungsantrag auf Basis ihrer Großen Anfrage: “Die wirksame Verfolgung und Verurteilung hängt derzeit maßgeblich vom Anzeigeverhalten der Opfer ab. Werden die Opfer von Menschenhandel und Prostitution durch spezialisierte Fachberatungsstellen dazu ermutigt, sich an der Aufdeckung und Verurteilung dieser Form der Kriminalität zu beteiligen, wirkt sich dies förderlich auf die Aussagebereitschaft aus.”
Aber um das zu tun, müssen die betroffenen Frauen – und es sind zumeist nur Frauen – die Ermutigung und die Hilfe bekommen, ihre Anonymität zu verlassen. Was nie einfach ist, denn da sie oft genug ins Land geschmuggelt wurden (oft genug mit völlig falschen Versprechen), müssen sie nach dem amtlichen Sprachgebrauch damit rechnen, als “Illegale” abgeschoben zu werden in ihre Herkunftsländer – wo sie dann in der Regel denselben Schlepperbanden und Menschenhändlern begegnen, die sie als “Ware” erst nach Deutschland eingeschleust haben.
“Eine besser koordinierte und effektivere Bekämpfung des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Sachsen und darüber hinaus ist längst überfällig. Menschenhandel und Zwangsprostitution stellen gravierende Grundrechtsverletzungen dar”, kommentiert das Katja Meier. “Derzeit wird Sachsen seiner besonderen Stellung als Grenzregion zu Osteuropa hier nicht gerecht. Die Ermittlungen im Bereich des Menschenhandels sind unter anderem aufgrund unbefriedigender personeller Ausstattung bei Polizei und Staatsanwaltschaften, fehlender Sensibilisierung der Polizeikräfte, fehlender Beratungsangebote und großer Beweisschwierigkeiten bei der Überführung der Täter völlig unzureichend.”
Auch hier führt die zusammengesparte Personalsituation bei der Polizei dazu, dass ein wesentliches Kriminalitätsfeld nicht regelmäßig unter Beobachtung steht, obwohl die staatlichen Behörden auch in den jeweiligen Gerichtsfällen immer wieder deutliche Hinweise auf Organisierte Kriminalität bekommen.
“Die Anfrage hat zu Tage gefördert, dass es in Sachsen einen enormen koordinatorischen Nachholbedarf in Bezug auf diese Thematik gibt. Dies beginnt schon bei der derzeit miserablen Datenlage, setzt sich bei der kaum vorhandenen Koordination der Behörden und der Konzeptlosigkeit der Staatsregierung fort und mündet in Beweisschwierigkeiten bei der Überführung der Täter und bei fehlenden Zukunftsperspektiven für die Opfer von Menschenhandel”, listet Katja Meier all das auf, was von Ulbig zwar nicht benannt wird, was aber überall dort sichtbar wird, wo er über die Schwierigkeit der Datenerhebung klagt. Katja Meier: “Sachsen muss sich endlich engagiert gegen diese systematische Ausnutzung von Zwangslagen der Betroffenen stellen.”
Und die magere Förderung für die Beratungsstelle KOBRAnet hat natürlich mit den durchaus wenigen Beratungsfällen zu tun, die dann doch – zumeist durch die Polizei vermittelt – jährlich gezählt werden. So bedingt eine geringe Ermittlungsquote dann auch ein scheinbar geringes Belastungsbild: Wer keine zur Prostitution Gezwungenen antrifft bei einer Kontrolle oder “Dunkelfeld”-Untersuchung, der wird auch keine weitervermitteln können. Motto – wie gehabt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Aber, so Katja Meier, auch das Feld der legalen Prostitution fassen die Landesbehörden in Sachsen lieber mit Samthandschuhen an. “Auch in der legalen Prostitution mangelt es massiv an spezialisierten Beratungsangeboten”, stellt Katja Meier fest. “Wir fordern in unserem Antrag u.a. die Einrichtung eines Runden Tisches. Gemeinsam sollen Vertreterinnen und Vertreter von Beratungsstellen und Berufsverbänden für Prostituierte, der Polizei, der kommunalen Spitzenverbände gemeinsam Empfehlungen zum Thema Prostitution erarbeiten.”
Aber als Fazit bleibt – so formuliert im Entschließungsantrag der Grünen: “Auffallend im Vergleich zu anderen Bundesländern sind die vergleichsweise niedrigen registrierten Zahlen von Fällen des Menschenhandels für Sachsen. Dies ist zu einem erheblichen Teil auf eine mangelnde Kontrolldichte der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen. Vor allem die geographische Lage Sachsens an der Grenze zu Osteuropa deutet auf eine hohe Dunkelziffer nicht erfasster Fälle hin.”
Womit man dann wieder bei der Personalausstattung der sächsischen Polizei wäre, die jetzt schon nicht dem Bedarf gerecht wird und trotzdem weiter geschrumpft werden soll.
Die Große Anfrage “Menschenhandel, Zwangsprostitution und Prostitution im Freistaat Sachsen”.
Es gibt 2 Kommentare
Guter Vorschlag. Danke.
>Grüne fordern koordinierte Bekämpfung des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung in Sachsen
Die Überschrift des Artikels ist aber schon leicht missglückt, nicht wahr?^^
Ein Vorschlag: Streiche “zum Zwecke”, setze “bei”.
Moralisch gesehen wäre ein “und” (plus Kasusänderung) aber noch besser.