Auf diese Töne haben nicht nur Grüne und Linke fünf Jahre lang gewartet. Am Montag, 19. Oktober, äußerte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) erstmals die überhaupt nicht überraschende Feststellung, dass der Abbau der Polizei sofort gestoppt werden müsse. Noch im April hat der Sächsische Landtag etwas völlig anderes beschlossen. Nun aber fällt auch dem Innenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion ein Stein vom Herzen.

Denn auch wenn die Fraktion die völlig undurchdachte “Polizeireform 2020” und ihren dafür verantwortlichen Innenminister immer verteidigt hat, hat man auch dort augenscheinlich registriert, wie sehr die Kürzungen bei der Polizei dazu beigetragen haben, das Klima der Unsicherheit im Freistaat zu verstärken. Die Überlastung der Polizisten hat sich schon seit Jahren abgezeichnet und auch die Bürger haben die “Reform” nur als verkapptes Sparprogramm erlebt.

Jetzt aber scheint nicht nur Ulbig eingesehen zu haben, dass er so die Sicherheit im Land nicht mehr gewährleisten kann. “Ich habe mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Finanzminister Georg Unland gesprochen – danach bin ich mir der Unterstützung beider sicher”, sagte er der “Freien Presse”. Womit er auch recht deutlich machte, wer in Sachsen tatsächlich über Stellenkürzungen und Einstellungen beschließt: Tillich und Unland. Dem einen ist sein rigides Sparprogramm heilig, der andere gibt keine Mittel frei, wenn der Ministerpräsident nicht zugestimmt hat. Ergebnis: Die ressortverantwortlichen Ministerinnen und Minister haben keine echten Handlungsspielräume.

Der aufmerksame Leser wird sich an die vielen erfolglosen Bittgänge von Kultusministerin Brunhild Kurth erinnern, die bei Georg Unland mehrfach um die Bewilligung für mehr Lehrereinstellungen gebettelt hat. Das Ergebnis waren jedes Mal nur müde Kompromisse. Sie hat ihr Personalproblem bis heute nicht lösen können.

Ob’s Markus Ulbig schafft, ist völlig offen. Aber er hat den Vorteil: Die CDU-Fraktion steht diesmal hinter ihm. Der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Christian Hartmann, hat nach der Zeitungsmeldung quasi eine sofortige 180-Grad-Drehung hingelegt. Schluss mit dem Lobpreis für die völlig vergurkte “Polizeireform 2020”. Das Land braucht nicht weniger, sondern mehr Polizisten.

Christian Hartmann: “Die Stärkung der sächsischen Polizei ist ein wichtiges Anliegen, das wir als CDU-Landtagsfraktion in den vergangenen Monaten immer wieder aufs Neue bekräftigt haben. Staatsminister Ulbig kann sich bei seinem Vorhaben, den Stellenabbau zu stoppen, die Polizeireform zu überdenken und die Polizei personell wieder zu stärken, der Unterstützung der Innenpolitiker unserer Fraktion sicher sein.”

Er sieht – da staunt sogar der Wahlbürger –  mit Ulbigs “Stopp” auch Forderungen der Fraktion erfüllt.

Dass die “Polizeireform” auch für ihn längst in den Schredder gehört, macht er sogar sehr deutlich: “Dass es bei der Evaluation nicht mehr darum geht, zu prüfen, ob die Reform der richtige Weg ist, dürfte inzwischen jedem klar sein“, sagte Hartmann. “Der Fokus muss darauf liegen, festzulegen, welchen Kräfteansatz die Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben in Zukunft haben muss.”

Genau das hätte eigentlich 2009 / 2010 Grundlage dieser sogenannten Reform sein müssen – aber genau das ist nicht erfolgt. Man hat sich eine ideale Polizei gebastelt, die quasi mit weniger Personal viel effizienter Ganoven jagen kann. Schon die Einsetzung der von der SPD geforderten Expertenkommission war ein Eingeständnis der Tastsache, dass man eine “Reform” ohne wirklich belastbare Aufgabenanalyse gemacht hat.

Aber so offen formuliert es auch Hartmann nicht. Er übernimmt lieber Ulbigs Interpretation der Zwangslage: Da sich das Aufgabenspektrum und die Einsatzbelastung der sächsischen Polizei in den vergangenen Monaten in Anbetracht von Großdemonstrationen, der Absicherung von Fußballspielen und der Bewachung von Flüchtlingsunterkünften sowie der gestiegenen Grenzkriminalität stark erweitert habe, hätten sich CDU und SPD bereits im vergangenen Jahr bei den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Reform „Polizei.Sachsen.2020“ ergebnisoffen zu evaluieren.

Die SPD-Forderung damals war noch völlig unanhängig von den verstärkten Demonstrations-Einsätzen erfolgt. Im Gegenteil: Dort hatte man – genauso wie bei Grünen und Linken – längst mitgekriegt, welche Schäden die “Polizeireform 2020″ angerichtet hatte.

Darauf wies dann am Montag auch gleich der Innenexperte der SPD-Fraktion, Albrecht Pallas, hin. „Die Forderung nach einem Stopp des Stellenabbaus bei der Polizei war eines der zentralen SPD-Themen schon in den Koalitionsverhandlungen“, so Pallas. „Wenn der Innenminister dies jetzt wie in der Presse angekündigt durchsetzen kann, ist das nur zu begrüßen. Unsere Unterstützung hat er.“

Er wartet schon sehr ungeduldig auf die Ergebnisse der Expertenkommission. „Unabhängig davon muss die Fachkommission Polizei ihre Arbeit zügig abschließen. Denn wir haben uns in der Koalition darauf verständigt, den Stellenbedarf der Polizei anhand ihrer Aufgaben zu ermitteln”, betonte er. “Das geht nur mit einer gründlichen Aufgabenkritik. Es gilt für uns der Grundsatz: Das Personal folgt den Aufgaben – nachzulesen im Koalitionsvertrag. Wir brauchen langfristig eine verlässliche und aufgabengerechte Personalpolitik.“

Aber der innenpolitische Sprecher der Linken, Enrico Stange, wies gleich am Montag darauf hin, dass der von Ulbig ausgerufene “Stopp”, selbst wenn er sofort mit Beschlüssen und einem größeren Einstellungskorridor untersetzt würde, frühestens 2019 erste Früchte tragen würde.

Tatsächlich geht der Personalabbau selbst bei einem ernst gemeinten Stopp bis dahin ungebremst weiter.

Was aber kann man jetzt tun? Denn unübersehbar ist die Polizei ja jetzt schon an der Schmerzgrenze. Für Hartmann ist die geplante Wiedereinführung der Wachpolizei ein geeignetes Mittel: „So können wir kurzfristig eine Entlastung in bestimmten Aufgabenbereichen der Polizei wie des Objektschutzes und der Personenbewachung herbeiführen. Wenn sich die Wachpolizisten im Dienst bewähren, sehe ich gute Chancen, sie in zwei Jahren durch zusätzliche Ausbildung in den mittleren Polizeivollzugsdienst zu übernehmen.“

Und außerdem fordert er ein Sondereinstellungsprogramm, was dann irgendwie ein bisschen dem entspricht, was auch die Linksfraktion gefordert hat.

„Da es keinen Arbeitsmarkt für Polizisten gibt und die Ausbildung zweieinhalb Jahre in Anspruch nimmt, müssen wir Nägel mit Köpfen machen“, betonte Hartmann am Montag und regte ein Sondereinstellungsprogramm zur Stärkung der Bereitschaftspolizei an. „Wenn wir im März 2016 damit beginnen, haben wir die Beamten im September 2019 fertig ausgebildet auf der Straße.” Die Wachpolizei könne somit den Übergang personell absichern und gleichzeitig als Rekrutierungsinstrument für angehende Polizeivollzugsbeamte dienen.

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