Entweder hat Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) längst den Überblick verloren - oder er hat den Kollegen vom MDR das Blaue vom Himmel erzählt, was den Zustand der sächsischen Polizei betrifft. Zwar klang es schon erstaunlich deutlich, wenn da am 26. Oktober zu erfahren war: "25.250 Überstunden haben Sachsens Bereitschaftspolizisten zwischen Januar und August geschoben. Damit haben sie ihre Belastungsgrenzen längst überschritten." Aber die Zahl stimmt nicht.
Darauf kommen wir gleich. Im MDR-Beitrag wurde aber auch – wieder einmal – behauptet, der Abbau der Personalstärke bei Sachsens Polizei sei vom Tisch. Der MDR-Beitrag: “Der in der Polizeireform 2020 vorgesehen Stellenabbau ist laut Ulbig erst einmal vom Tisch.”
Doch hinter der Aussage steht wieder nichts anderes als Ulbigs schwammige Aussage dazu in der “Freien Presse” – aber kein Beschluss. Bis 2019 geht der Personalabbau munter weiter. Die jüngsten Personalkürzungen wurden erst mit dem Doppelhaushalt 2015 / 2016 vom Sächsischen Landtag im Frühjahr beschlossen. Selbst der jetzt endlich auf 400 Anwärter erhöhte Einstellungskorridor fängt nicht mal die Altersabgänge auf.
Und das in einer Situation, in der die Polizei längst überm Limit beansprucht wird und bei den vermehrten Demonstrationen teilweise immer irrationaler agiert – wie am Wochenende zuletzt in Markkleeberg erlebt. Friedliche Demonstranten bekommen den zunehmenden Frust von Polizisten zu spüren, die kaum noch Freizeit und Wochenende kennen. Die rechtsradikalen Demonstrationsanmelder feixen sich eins und genießen es geradezu, wie sie die wichtigste Stütze der Staatsmacht mit immer dichteren Demonstrationsanmeldungen mürbe machen. Auch so kann man ein demokratisches Staatswesen kaputtspielen.
Und auf der anderen Seite agiert ein Innenminister, der augenscheinlich nicht mal weiß, wie beansprucht die Truppe, die er so wohlfeil zum Sparobjekt gemacht hat, längst ist.
Darauf weist Enrico Stange hin, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im sächsischen Landtag. Seit der Demo-Rummel der sächsischen Rechtsradikalen auf Hochtouren läuft, fragt er mit einer gewissen Ahnung regelmäßig von der Staatsregierung die tatsächliche Überstundenzahl der Polizei ab.
Und die Zahl von 25.250, die Ulbig dem MDR nannte, hat mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun.
“Es kann sich bei dieser Aussage nur um einen schlechten Scherz oder um böswillige Untertreibung handeln. Innenminister Ulbig muss sich ein realitätsnahes Bild verschaffen. Wie die Beantwortung meiner Kleinen Anfragen zeigt, liegt die Zahl der Mehrarbeitsstunden (Überstunden bei Polizeibeamtinnen und -beamten) um ein Mehrfaches höher: Bei der Bereitschaftspolizei sind im Juni 57.149 Mehrarbeitsstunden angefallen. In den Juli sind summiert 59.089 übernommen worden (Drs. 6/2057). Bei der sächsischen Polizei sind insgesamt allein im Juni 101.195:35 Mehrarbeitsstunden angefallen und 133.756:40 Stunden vom Juni in den Juli übernommen worden”, nennt er einfach mal die blanken Zahlen, die er direkt von der Staatsregierung bekommen hat.
Und das ging ja im Juli und August munter weiter. Stange: “Im Juli sind bei der sächsischen Polizei insgesamt 52.830:30 Mehrarbeitsstunden, davon bei der Bereitschaftspolizei 17.962:05 Stunden angefallen. Die Bereitschaftspolizei hat vom Juli in den August 34.942:20 Stunden, die sächsische Polizei insgesamt 99.404:10 Mehrarbeitsstunden übernommen (Drs. 6/2373). Im August hat die Bereitschaftspolizei Mehrarbeit in Höhe von 28.311:15 Stunden geleistet, die gesamte Sächsische Polizei von 60.062:20. Vom August in den September haben die Bereitschaftspolizisten 36.244:15 Stunden übernommen, die gesamte Sächsische Landespolizei 81.349:50 (Drs. 6/2605).”
Da braucht man eigentlich nicht mal einen Taschenrechner, um zu sehen, dass er der Wirklichkeit in seinem Amtsbereich wohl so um acht bis neun Monate hinterher hinkt.
“Damit hat die Bereitschaftspolizei in den Monaten Juni bis August allein 103.422 Mehrarbeitsstunden geleistet. Also mehr als das Vierfache dessen, was Ulbig ihr in acht Monaten zugeschrieben wissen will. Die Polizei insgesamt hat also in den Monaten Juni, Juli und August 214.088 Mehrarbeitsstunden geleistet”, zieht Stange die Summe. Wohl wissend, dass der strapaziöse Demo-Rummel der Rechtsradikalen im September und Oktober munter weitergegangen ist: “Das Bild wird sich mit den Zahlen für September weiter eintrüben. Ich kann dem Minister nur raten, sich mit der Situation der sächsischen Polizei und ihrer Überlastung hinreichend professionell auseinanderzusetzen.”
Da werden die 400 Neueinstellungen in zwei Jahren (früher wird ja die magere Korrektur von 2014 nicht im Vollzugsdienst ankommen), nicht mal verspätete Abhilfe schaffen. Wenn die Ankündigung Ulbigs wirklich ernst genommen werden sollte, müsste der Einstellungskorridor der Polizei ab nächstem Jahr sofort auf 600 steigen. Was natürlich viel zu spät ist, deswegen hat ja die CDU/SPD-Koalition im Sommer schon so eifrig über schnelle Einstellungen bei der Wachpolizei debattiert. Den eigentlichen Zeitkorridor, in dem Ulbig seine völlig realitätsfremde “Polizeireform 2020” hätte korrigieren können, der wurde verpasst.
“Es muss schnell glaubwürdige und verlässliche Abhilfe geschaffen werden”, fordert Stange. “Vor allem muss der Einstellungskorridor umgehend auf mindestens 600 Polizeianwärter geöffnet werden. Die Voraussetzungen für die Mehreinstellungen 2016 müssen jetzt geschaffen werden, haushalterisch, materiell-technisch in den Ausbildungseinrichtungen und mit genügend Lehrpersonal. Der neue Lehrgang muss im Frühjahr beginnen, damit diese Polizisten dann bereits im Herbst 2018 in das Praktikum vor Ort gehen können. Jeder tatenlose Monat des Ministers ist ein verlorener für die Polizei als Ganzes und für die Gesundheit der Polizisten.”
Und zu ergänzen ist: für die Stabilität der Demokratie in Sachsen. Denn die Anmelder der rechten Demonstrationen im Land denken gar nicht daran, der Polizei eine Atempause zu verschaffen.
Überstunden der sächsischen Polizei im Juni.
Überstunden der sächsische Polizei im Juli.
Überstunden der sächsischen Polizei im August.
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