Manchmal braucht es eine Nachricht wie die, die das Sächsische Innenministerium am Dienstag, 27. Oktober, um 19:09 Uhr veröffentlichte: "Sachsen schiebt 40 Asylbewerber aus dem Kosovo ab". Die Meldung ist peinlich genug, denn sie enthält im Grunde die ganze Hartherzigkeit der erzkonservativen deutschen "Asylpolitik". Aber sie regt auch zum Suchen an. Und ein einziger Suchaufruf, und es wird sichtbar, wie dieser sächsische Innenminister ein Jahr komplett vertrieft und verschlafen hat.

Der Rest der bürokratisch-ungerührten Meldung liest sich so: “Der Freistaat Sachsen hat heute vom Flughafen Leipzig/Halle aus insgesamt 40 abgelehnte Asylbewerber aus dem Kosovo in ihre Heimat abgeschoben. Die Sammelrückführung nach Priština war gemeinsam mit dem Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt organisiert worden. Bisher hat Sachsen in diesem Jahr rund 1.050 ausreisepflichtige Menschen abgeschoben. 2014 gab es insgesamt 1.037 Rückführungen.”

Man hätte es fast vergessen, dass das Jahr 2014 tatsächlich unter dem Zeichen einer immer heftigeren Tirade über notwendige Abschiebungen stand. Schon damals überboten sich die Hartherzigen aus Bayern, Berlin und Dresden darin, die Wahlbürger mit Tönen zu beschwören, dass Härte und Restriktion die einzig gültige Währung im Umgang mit Menschen sei, die aus Not und Elend und manchmal einfach grimmiger Depression nach Deutschland kamen. Ein Einwanderungsgesetz, dessen Regeln sie einhalten könnten, gibt es ja nicht.

Aber auch 2015 tönt Innenminister Markus Ulbig noch immer in der alten Kraftmeierei: “Wie bereits in den vergangenen Tagen angekündigt, müssen und werden wir ab sofort noch mehr ausreisepflichtige Asylbewerber abschieben, wenn sie nicht freiwillig unser Land verlassen. Es ist vor allem für alle diejenigen ein deutliches Zeichen, die sich noch immer unerlaubt bei uns aufhalten. Dennoch hoffe ich, dass künftig noch mehr Menschen mit einem abgelehnten Asylantrag von der freiwilligen Ausreise Gebrauch machen.”

Unerlaubt. Da ist dieses Wort ganz geruhsam eingestreut, mit dem deutsche Bürokraten bestimmen, wer nach Deutschland darf und wer nicht. Schlusssatz der völlig gefühllosen Meldung: “In Sachsen gibt es derzeit etwa 6.300 vollziehbare Ausreisepflichtige, einschließlich geduldeter Asylbewerber.”

Kurze Pause.

Das Thema werden wir noch weiterbehandeln. Stück für Stück und in aller Ruhe. Denn diese kaltschnäuzige und amtliche Selbstherrlichkeit hat System und hat eine Menge mit einem Denken zu tun, das dem Fremdenhass der alten und nunmehr wieder putzmunteren Rechtsradikalen im Land hinterher scharwenzelt, statt die Arbeit zu tun, die auf den Tischen liegt.

Kurze Rückblende: Das Jahr 2014 ging ja bekanntlich zu Ende mit der rücksichtslosen Abschiebung einer 18-jährigen Tschetschenin aus Leipzig. Die Geschichte sorgte für kurze Zeit für Aufsehen und eine Debatte über einen Winterabschiebestopp in Sachsen.

Und damit sind wir beim ersten Suchergebnis, das man auf der Website der sächsischen Regierung findet, wenn man nach “Abschiebung” sucht.

Auch die kam aus dem kalten Herzen der sächsischen Innenpolitik. Auch damals gerierte sich Sachsens Innenminister als eiskalter Abschiebemeister.

Am 24. August meldete sein Ministerium: “585 Abschiebungen bislang in 2014. – Angesichts der letzten Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die auf eine weitere Zunahme von Asylanträgen hinweist, hat Innenminister Markus Ulbig seine Forderung gegenüber dem Bund wiederholt, Asylverfahren schneller zu entscheiden.”

Die Stelle können wir uns gleich merken. Dazu kommen wir noch: Das BAMF prognostiziert – nach einer deutlich gestiegenen Bewerberzahl im Juli –  “eine weitere Zunahme von Asylanträgen”.

Und welche Reaktion kommt von Innenminister Markus Ulbig?

Ulbig: “Wir brauchen jetzt sehr schnell Klarheit, wer Schutz verdient und wer Deutschland wieder verlassen muss. Ich fordere vom Bund, dass die Verfahren in drei Monaten entschieden sind – wie im Koalitionsvertrag festgelegt. Sonst läuft das Asylrecht leer für diejenigen, die auf Schutz angewiesen sind und Hilfe brauchen. Auch die Klassifizierung der Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten muss in der jetzigen Situation spürbar Entlastung bringen.”

Er war und ist nicht allein. Auch damals tönte es aus Bayern und Berlin genauso und glaubten alte Herren mit breiter Brust die Lösung des Problems darin zu sehen, immer mehr kaputte, verwüstete und zerschossene Länder zu “sicheren Herkunftsstaaten” erklären zu können und die in Deutschland Gestrandeten drum postwendend und noch schneller zurückschicken zu können in die dortigen Zeltlager oder – wahlweise – zertrümmerten Städte.

Das SMI im August 2014: “Der Bundestag hat das Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten bereits verabschiedet. Eine Zustimmung im Bundesrat steht noch aus. Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien sollen zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Das bedeutet, dass Asylanträge aus den drei Staaten grundsätzlich als unbegründet betrachtet werden und Verfolgung gesondert geltend gemacht werden muss. – Laut Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gab es im Juli 2014 16.191 Erstantragsteller. Einen Monat zuvor waren es 12.077 Erstantragsteller (http://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2014/20140815-asylgeschaeftsstatistik-juli.html).”

Und dann, um einem, nun schon an die martialischen Sprüche gewohnten, Publikum wieder Stärke zu suggerieren: “Bis zum 30. Juni 2014 wurden aus Sachsen 585 Personen abgeschoben. Damit steht der Freistaat im Bundesvergleich an oberer Stelle. In Sachsen wurden bis Ende Juni 2014 bisher ca. 3.900 Asylbewerber ins Verfahren aufgenommen. Die Hauptherkunftsländer waren dabei Syrien und Tunesien. Auch Serbien gehört dazu.”

Aber wie gesagt: Zur Sinnhaftigkeit dieser “Abschiebe”-Philosophie berichten wir später noch zur Genüge. Hier geht es um den Zeitpunkt: 24. August 2014. Vom BAMF liegen die klaren Prognosen vor, dass die Zahl der Asylanträge deutlich steigen wird. Und es waren auch im August 2015 nicht die ehemaligen jugoslawischen Staaten, die damals die Liste der Asylsuchenden anführten.

Die klare Aussage des BAMF: “Im Monat Juli nahm das Bundesamt 16.191 Asylerstanträge entgegen. Im Vergleichsmonat des Vorjahres waren es 9.516 Erstanträge, was einen Zuwachs von 70,1 Prozent bedeutet. Hauptherkunftsland im Juli war Syrien mit 3.527 Erstanträgen, gefolgt von Eritrea (1.945 Erstanträge), Serbien (1.730 Erstanträge), Albanien (750 Erstanträge), Afghanistan (710 Erstanträge) und Bosnien-Herzegowina (651 Erstanträge).”

Auch Innenminister Ulbig wusste seitdem, dass die Flüchtlingszahlen aus Syrien, Eritrea, Tunesien und Afghanistan drastisch anstiegen – und dass man diese Menschen ganz bestimmt nicht “sofort” wieder abschieben würde können (auch wenn die Hartleibigen in der Bundesregierung jetzt auch noch das völlig unsichere Afghanistan zum “sicheren Herkunftsland” erklären wollen). Irgendwo in seinem Hinterkopf hat er vielleicht die Vorstellung, all die Leute, die dort aus Krieg und Not geflohen sind, würden einfach wieder in ihre alten Häuser in der Heimat einziehen und ihr vorheriges Leben fortsetzen können. Gibt es diese Heimat noch?

Die Antwort wird wohl in der Regel lauten: Nein.

Das war im August 2014 nicht anders als im Oktober 2015.

Und was ist seither passiert?

Hat Sachsen ein Sonderbauprogramm für Asylbewerberunterkünfte oder sozialen Wohnungsbau aufgelegt? Hat es eine Sondersitzung des Landtages gegeben, bei dem die zu erwartenden Flüchtlingszahlen diskutiert und ein entsprechendes Unterbringungsprogramm beschlossen und sofort mit Geld untersetzt wurde?

Hat es alles nicht. Die sächsische Landesregierung hat volle vierzehn Monate vertrödelt, um zu handeln, hat sich monatelang hinter einer völlig sinnfreien Abschiebe-Diskussion versteckt und sehenden Auges zugeschaut, wie die Rechtsradikalen und Rassisten auf Dresdens Straßen die Deutungshoheit übernommen haben und das Land nunmehr Woche für Woche mit pöbelnden Demonstrationen überziehen, die die zusammengesparte Polizei an die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit gebracht haben.

Natürlich kann man das nicht alles einem Markus Ulbig allein ankreiden. Da sitzen noch ein paar mehr Köche am Suppentopf und sind mittlerweile völlig ratlos, warum diese Suppe völlig versalzen ist und keinem mehr schmeckt, obwohl man sie nun kochen lässt und kochen.

Vierzehn Monate völlig verplempert, statt ein richtiges Bauprogramm zu schnüren – vor allem für die Großstädte.

Selten sah die verkniffene “Asylpolitik” der Konservativen aus Deutschland derart blamabel und sinnfrei aus. Obwohl die Verantwortlichen wissen, dass die Kriege in Nahost und Afghanistan immerfort weitergehen, die Flüchtlingslager in Nahost und Afrika längst gigantische Ausmaße angenommen haben und Aufnahmeländer wie Griechenland völlig überfordert sind. Wohin schiebt man denn die Menschen ab, wenn man sie in Deutschland einfach für “unerlaubt” erklärt? In die Hölle? Oder nur in die Wüste?

Dass die vierzehn Monate seit August 2014 derart tatenlos vertan wurden, wird jetzt richtig teuer. Das ist das erste Ergebnis, das in die Haushalte der sächsischen Kommunen einschlagen wird, die jetzt in aller Verzweiflung auch noch die teuersten Schnellunterbringungen aktivieren, wo sie seit einem Jahr schon hätten bauen können. Und müssen.

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Es gibt 4 Kommentare

Klaus hat leider Recht. Auf Grund der Asylpolitik von Linken, Grünen und SPD und den wöchentlichen „Straßenkämpfen“ zwischen Gida und No- Gida wird es auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte (nicht nur in Sachsen), keine linken Mehrheiten geben. Wären heute Landtagswahlen in Thüringen hätte Ramelow keine Chance auf eine Regierungsbildung. Die Groko wird die neben Schwarz/ Gelb und Schwarz/ Grün die bestimmende Koalition in Ländern und im Bund werden. Einer der genialsten Schachzüge von Merkel.

Uwe hat in diesem Beitrag Beitrag ganz andere Schwerpunkte gelesen als ich. Wichtiger Inhalt ist die Zeitschiene, in der die Landesregierung wichtige Entscheidungen einfach verschleppt hat.

Wie hätte das anders laufen können? Nur mit einer anderen Regierung. Aber die Mehrheiten gibt es eben nicht in Sachsen.
Ich reibe meinen Bekannten, Kollegen und auch dem Familienclan ständig unter die Nase, warum es im Bildungswesen usw. so mies hier aussieht und welche Parteien dafür verantwortlich sind. Solange aber die alternativen Parteien (eher die linkere Seite) vom bedingungslosen Recht auf Asyl oder so reden – so lange werden sie in Sachsen keine Mehrheit zusammenbekommen und eben auch nichts verbessern können. Diese Utopien sind nicht mehrheitsfähig und schaden mehr, als dass sie die Leute aufrütteln. Ich sehe da wirklich ganz schwarz für soziale Verbesserungen.
H

Mit dieser “sichere Herkunftsstaaten”-Regelung wird das Asylrecht ad absurdum geführt. Das Asylrecht ist ein Individualrecht, d. h., jeder Mensch,. der nach Deutschland (bzw. Europa) kommt, hat das Recht, Asyl zu beantragen und dieser Antrag ist individuell zu prüfen. Und jedes Einzelschicksal ist anders. Während der eine Mensch aus dem Land X evtl. nicht asylberechtigt ist, kann es der andere Mensch sehr wohl sein. Wenn in einem Land z. B. Schwule verfolgt und mit dem Tode bedroht sind, kann einem Schwulen aus diesem Land das Asyl nicht verwehrt werden, einem Hetero hingegen u. U. schon.
Wegen dieser Einzelfallprüfung, die schon mal ein paar Monate (oder sogar länger, bei Einsprüchen) dauern kann, ist das Asylrecht für 10.000e Flüchtlinge, die Woche für Woche “einreisen” jedoch völlig ungeeignet und überfordert. Für Flüchtlinge ist ein anderes Verfahren vorzusehen. Wenn Menschen z. B. aus einem Bürgerkriegsgebiet wie Syrien kommen, braucht man nicht jeden Einzelfall zu prüfen und es brauchen auch nicht all diese Flüchtlinge einen Asylantrag stellen müssen. Stattdessen sollten sie pauschal als Flüchtlinge anerkannt werden und ab diesem Zeitpunkt wie anerkannte Asylbewerber behandelt, aus den Erstaufnahmeeinrichtungen entlassen werden, sowie arbeitsberechtigt sein. Nur so kann man die Situation in den Griff bekommen.
Das Asylverfahren durchlaufen dann nur Menschen, die aus Ländern kommen, wo keine Bedingungen herrschen, die ein Leben dort generell unzumutbar bzw. unmöglich machen, sondern die aus anderen, in ihrer Person liegenden Gründen ihre Heimat verlassen haben, was ohnehin niemand leichtfertig macht…

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