Das Problem am sächsischen Innenminister ist: Er redet und redet. Besonders gern mit der "Freien Presse" in Chemnitz, die am Montag, 19. Oktober, schon einmal ein Ergebnis vorwegnahm, das am selben Tag die Expertenkommission zur "Polizeireform" wohl genau so diskutiert hat: Sachsen kann sich einen weiteren Abbau der Polizeistellen gar nicht leisten. Und so verkündete Ulbig einen "sofortigen Stopp". Tatsächlich? Die Opposition kann diesen Mann nicht mehr ernst nehmen.

Die “Freie Presse” titelte dann zwar vollmundig: „Sachsen setzt Stellenabbau bei der Polizei ab sofort aus“. Aber irgendwie hat man in der Zeitung dann doch nicht mehr nachgefragt, wie Ulbig das eigentlich machen will.

“Es ist wichtig, dass Innenminister Ulbig endlich zu der Erkenntnis kommt, dass Sachsen deutlich mehr Polizisten braucht und dazu auch der jährliche Einstellungskorridor von derzeit 400 Polizeikommissars- und Polizeimeisteranwärtern erheblich ausgeweitet werden muss. Auch den sofortigen Stopp des Stellenabbaus will Ulbig nun wohl angehen. Endlich”, stöhnt Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. “All das sind selbstverständlich keine tatsächlichen Neuigkeiten. Schließlich hatte Die Linke während der Haushaltsverhandlungen im Frühjahr stets die Ausweitung des Einstellungskorridors auf mindestens 550 pro Jahr gefordert und den sofortigen Stellen- und Personalabbaustopp. Damals hatten sich Ulbig und die CDU-SPD-Koalitionäre noch mit dem Hinweis auf die Evaluierung der Aufgaben der Polizei durch die Fachkommission dem sofortigen Handeln entzogen. Heute geht es offenbar auch ohne den fachlichen Rat der geschätzten Experten der Kommission, den Stellenabbaustopp zu verfügen und ein Mehr an Anwärtern zu avisieren.”

Ulbig hatte das ausufernde Demonstrationsgeschehen als Grund für seinen Gesinnungswandel genannt, nachdem er seit 2010 Jahr für Jahr gepredigt hatte, Sachsens Polizeistärke müsste unbedingt abgebaut werden. Doch mit der Begründung stellt er eine Behauptung auf, die die Expertenkommission so ganz gewiss nicht teilen wird. Denn auch ohne Pegida & Co. ist Sachsens Polizei längst an ihrer Leistungsgrenze. Und es werden noch immer zu wenige neue Polizeianwärter eingestellt.

Enrico Stange: “So falsch die Behauptung auch ist, dass erst die jetzige Gesamtlage aus mehr Demos, mehr Asylunterkünften und Fußballspielen die Polizei an die Grenzen der Belastbarkeit geführt habe. Schließlich hätte die Reform auch ohne mehr Demos und Flüchtlinge den Stellenbestand um weitere 1.000 Stellen abgesenkt, und CDU und FDP hatten eine weitere Absenkung um 2.600 Stellen beschlossen. Damals war man ausschließlich nicht von den Aufgaben, sondern nur von der Ausgaben-Höhe getrieben worden. Dies musste schiefgehen, für die Polizei als Ganzes, für die einzelnen Beamten und für die Sicherheit. Deshalb war die Rücknahme des zusätzlichen Stellenabbaus ebenso zwangsläufig wie der jetzige Plan zum Stellenabbaustopp. Mehr Demos und mehr Asylunterkünfte – die Fußballspiele haben wohl nicht zugenommen – sind das Tüpfelchen auf dem ‘i’, das zu knapp 900 Beamten führt, die täglich krank oder dienstunfähig sind.”

Tatsächlich hat Sachsens Innenminister mit seinem Stopp-Wunsch noch gar nichts geändert. Denn im Doppelhaushalt 2015 / 2016 steht nun einmal: “Im Bereich der Polizei wurden bisher 1.721 Stellen, darunter 300 Anwärterstellen, von insgesamt 3.551 kw-Vermerken abgebaut. Mit der Rücknahme der seit dem Jahr 2010 beschlossenen 810 Stellenabbauverpflichtungen verbleiben noch 1.020 kw-Vermerke, von denen 122 im Jahr 2015 und 148 im Jahr 2016 stellenkonkret ausgebracht sind. Die verbleibenden 750 kw-Vermerke werden auf folgende Jahre ausgebracht: kw 2017: 139 kw 2018: 28 kw 2019: 122 kw 2020: 117 kw 2021 ff.”

Das ist ein Landtagsbeschluss. Tatsächlich müsste die Staatsregierung jetzt einen neuen Beschluss zur Abstimmung vorlegen, der diesen Beschluss aufhebt und gleichzeitig den Einstellungskorridor erhöht auf die von den Linken geforderten 550 oder noch besser auf 600 Neueinstellungen, denn nur so lässt sich der ganz natürliche Verlust durch Altersabgänge überhaupt kompensieren.

“Die Erkenntnis des Innenministers, dass der Stellenabbau unverzüglich gestoppt werden muss, kommt viel zu spät”, stellt deshalb Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, fest. “Erst Ende April 2015 hat der Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD den weiteren Stellenabbau bei der Polizei detailliert beschlossen. Dies bedeutet einen Abbau von 122 Stellen im Jahr 2015 und von 148 Stellen im Jahr 2016. Unsere Änderungsanträge, mit denen wir mehr Polizei in der Ausbildung und die Streichung von sämtlichen sogenannten kw-Vermerken bei der Polizei beantragt haben, wurden abgelehnt. Mit dieser verantwortungslosen Entscheidung haben der Innenminister und die Koalition das Problem weiter verschärft und wertvolle Zeit vergeudet.”

Es erstaunt schon, dass die Oppositionsfraktionen das Dilemma bei der Polizei gesehen haben, der zuständige Innenminister aber nicht.

Und seine Wortmeldung in der “Freien Presse” ändert an dieser Lage nicht das Geringste.

“Denn: An den vom Landtag beschlossenen Stellenstreichungen kommt der Innenminister ebenso wenig vorbei, wie an den auch von ihm beschlossenen Einstellungskorridoren”, sagt Lippmann. “Der Stellenabbau des laufenden Haushaltes kann nicht ohne eine Entscheidung des Landtages darüber aufgehoben werden. Darauf habe ich bereits im Haushaltsverfahren hingewiesen. Ich erwarte daher, dass der Innenminister seinen Worten nun Taten folgen lässt und dem Landtag unverzüglich ein Konzept vorlegt, wie der Stellenabbau schnellstmöglich gestoppt wird. Bloße Lippenbekenntnisse braucht weder die Polizei noch die Öffentlichkeit. Es ist Zeit zum konkreten Handeln.”

Und auch Lippmann hält nichts von Ulbigs Ausrede, nun seien die vielen Demos schuld am Polizeidilemma: “Auch die Argumentation des Innenministers ist nicht stichhaltig. Auch ohne die Belastung aus Demonstrationen und der Absicherung von Fußballspielen und Flüchtlingsunterkünften wäre die sächsische Polizei nicht ausreichend mit Polizistinnen und Polizisten ausgestattet.”

Das Problem ist: Den ganzen “Reform”-Plänen aus der Regierungsperiode 2009 bis 2014 liegen falsche Bevölkerungsprognosen zugrunde. Man wollte sich einen schlanken Staatsapparat zurechtsparen für ein Land, das einfach in aller Stille vergreiste und schrumpfte.

“Wenn Ulbig, Tillich und Unland sich jetzt tatsächlich einig sind, dann sollte keine Zeit mehr verloren gehen”, drängt auch Enrico Stange. “Jetzt muss gehandelt werden, jetzt muss der Einstellungskorridor auf 600 ausgeweitet werden, um dieses Mehr an Polizeianwärtern wenigstens schon in den nächsten Ausbildungslehrgang 2016/19 holen zu können. Diese kommen dann regulär erst 2019 in den Polizeivollzugsdienst. Es ist höchste Zeit!”

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