Erstaunlich viel Lob bekam Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich am Dienstag, 1. September, für seine Rede in der Sondersitzung des Sächsischen Landtags, als er erstmals seit Monaten wirklich deutlich den Hass geißelte, der sich seit einem Jahr auf Sachsens Straßen austobt. Aber so ganz konnte er nicht kaschieren, dass seine eigene Politik einen Teil Schuld an der Entwicklung trägt.

Denn Worte sind billig. Und schöne Worte wird man in Tillichs Reden zuhauf finden. Diese hier gab’s am Dienstag für die Zuhörer im Landtag: “Hass zerstört Frieden. Hass zerstört Freiheit. Hass zerstört Demokratie und Gemeinschaft. Und Hass zerstört Wohlstand.“

Aber selbst der “Spiegel” hatte registriert, dass gerade sein Minister in zentraler Verantwortung für Asylpolitik, Polizei und Sicherheit unter massivem Beschuss stand. Der Entschließungsantrag der Regierungskoalition zur Asylpolitik sprach eine deutliche Sprache. Auf fünf Seiten artikulierten selbst die Mitglieder der regierenden Fraktionen, dass sie sich über die Asylthematik in Sachsen grottenschlecht informiert fühlen.

Aber das liegt nicht nur daran, dass der Innenminister, Markus Ulbig, nicht informieren will. Der fühlte sich sogar zu Unrecht von den Medien angegriffen, weil er zu schlecht informiere.

Vielleicht tut er das auch nicht. Vielleicht steckt er im Dilemma einer Regierungspolitik, in der Minister schon seit geraumer Zeit nicht wirklich mehr in ministerieller Verantwortung handeln können.

Das Thema sprachen in ihren Redebeiträgen der Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Volkmar Zschocke, und der innenpolitische Sprecher, Valentin Lippmann, sehr deutlich an.

“Nach den Ausschreitungen in Heidenau kündigte die Staatsregierung ein starkes Zeichen des Rechtsstaates an. Kurz darauf den polizeiliche Notstand auszurufen war das Gegenteil von einem starken Zeichen. Ich war bei den Ausschreitungen in Heidenau vor Ort. Ich bin nach wie vor schockiert, wie so wenige Polizeibeamte regelrecht ins Feuer geschickt wurden. Im Einsatz sei aber alles gewesen, was zusammengekratzt werden konnte, sagt Polizeipräsident Kroll”, sagte Zschocke. Und er zeigte nicht auf den düpierten Innenminister. “Diese Sicherheitsgefährdungen durch den fortgesetzten Stellenabbau bei der Polizei verantworten auch Sie, Herr Tillich! Ausbaden müssen das die Beamten, die angegriffen und verletzt wurden. Das sind alles andere als ‘verdächtig gute Jobs’. Und der Versuch, im Zuge dieses verantwortungslosen Stellenabbaus auch noch die Versammlungsfreiheit zu opfern, ist völlig inakzeptabel.”

Und dann kam er zum Kern der CDU-Politik, die nun seit 2009 das Handeln bestimmt: Eine Kahlrasur der Staatsinstanzen – ohne Sinn und Zweck – nur unter dem Diktat eines Sparkurses, der mit den Realitäten des Freistaates nichts mehr zu tun hat. Dass dem so ist, traute sich zumindest Markus Ulbig schon mal anzudeuten, denn seine “Polizeireform 2020” wird ja gerade von einer Fachkommission evaluiert, die am 1. Dezember ihre Ergebnisse vorlegen wird. Ulbig kündigte jetzt schon mal an, dass es Änderungen geben wird. Der Sparkurs bei der Polizei ist nicht haltbar.

Aber die Verantwortung für das wilde Sparen bei Polizisten, Lehrern, Professoren verantwortet der Ministerpräsident, der das wohl auch als wesentliche Handschrift seiner Regierung betrachtet.

Volkmar Zschocke: “Herr Tillich, wenn Sie über die Stärke der sächsischen Demokratie reden wollen, dürfen Sie die fundamentale Schwächung eines zentralen Elementes der Demokratie – und nichts anderes ist die Versammlungsfreiheit – hinnehmen! Die Demokratie und ihre Grundwerte müssen stärker bleiben als gewaltbereite Nazis, sonst haben wir verloren. – Herr Tillich, als Regierungschef sind Sie in der vollen Verantwortung für das Handeln Ihrer Staatsregierung. Deswegen möchte ich Ihnen zu Ihrem Innenminister etwas sagen.”

Und dann nahm er sogar Markus Ulbig in Schutz: “Ich habe Herrn Ulbig vor vielen Jahren kennengelernt. Er sprach als Bürgermeister auf unserem Parteitag in Pirna. Sein couragiertes Auftreten gegen die Neonazi-Szene in der Sächsischen Schweiz hat damals nicht nur mich sehr beeindruckt. – Als Innenminister ist sein Ruf inzwischen erheblich ramponiert. Seine öffentliche Akzeptanz sinkt. Beim Willkommensfest in Heidenau erlebte ich, wie er äußerst aggressiv beschimpft und beleidigt wurde. Wie er ausgebrüllt – und das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen – auf völlig inakzeptable Weise regelrecht vertrieben wurde.”

Wahrscheinlich ist das auch das richtige Bild: Die verantwortlichen Minister setzen nur noch die Sparprogramme des Ministerpräsidenten um – haben aber längst keine Handlungsspielräume mehr, den Weg aus eigenem Vermögen zu korrigieren. “Diese Situation zeichnet aber auch ein bedenkliches Bild vom Zustand der Koalition”, sagte Zschocke. “Die Regierung Tillich/Dulig übt den öffentlichen Schulterschluss und hält gleichzeitig einen Innenminister, der eigentlich nichts mehr zu sagen hat, aber auf dem jedes neues Desaster abgeladen werden kann. Und alle Welt darf sein Scheitern besichtigen.”

Um was es tatsächlich längst geht, das adressierte Valentin Lippmann, der innenpolitische Sprecher der Grünen, dann freilich an Ulbig: “Die ureigene Aufgabe des Staates ist der Schutz von Menschen und Eigentum. Ein Staat, der diese Aufgabe nicht mehr vollumfänglich erfüllen kann, versagt. – Meine Damen und Herren, wir befinden uns in Sachsen momentan in einem Endspiel um das Gewaltmonopol des Staates. Das klingt hart, aber als nichts anderes lässt es sich beschreiben, wenn es nicht mehr gelingt, Ausschreitungen marodierender Neonazis sofort zu unterbinden, die Täter festzunehmen und zur Verantwortung zu ziehen, weil nicht ausreichend Polizeikräfte zur Verfügung stehen. Als nichts anderes lässt es sich auch beschreiben, wenn in Sachsen aufgrund unzureichender Polizeikräfte zum zweiten Mal innerhalb von nur sechs Monaten ein umfassendes Versammlungsverbot erlassen werden muss. – Es gilt leider zu konstatieren: Durch den jahrelang fortgesetzten Stellenabbau bei der Polizei wurde nicht nur die Sicherheit in Sachsen gefährdet, sondern auch der Rechtsstaat zu Tode gespart. Das ist die bittere Erkenntnis der letzten Wochen. An dieser Stelle hätte ich heute deutlichere Botschaften von Ihnen erwartet, Herr Staatsminister.”

Und er fragte, wo die schweigsamste aller Behörden eigentlich die ganze Zeit war: “Neben der Polizei gilt es, sich mit einer anderen Behörde in Sachsen auseinanderzusetzen. Wo war eigentlich das Landesamt für Verfassungsschutz in den letzten Monaten? Die CDU trägt gerne wie eine Monstranz die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes als Element einer wehrhaften Demokratie vor sich her. Können Sie mir dann mal erklären, wieso diese Behörde, die ja ein Frühwarnsystem sein soll, erst dann aufwacht, wenn die Böllerwürfe von Heidenau nicht mehr zu überhören waren. Die Dysfunktionalität dieser Behörde wurde durch sie selbst wieder eindrucksvoll bewiesen.”

Reihenweise sind die “Reformen” der Tillich-Regierung geplatzt, haben sich als geradezu fatal erwiesen. An eine Reform des Verfassungsschutzes wollte man nach dem Auffliegen des NSU schon gar nicht gehen. Die Bilanz ist ernüchternd. Und was in Heidenau passiert ist, zeigt, dass vor allem eine Menschengruppe besonders darunter leiden muss: die eigenen Staatsbediensteten, die eigenen Polizisten.

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Es gibt 3 Kommentare

Man musste sich nur mal die gestrige Sendung im MDR extra “Chefsache Flüchtlinge” anschauen. Da hat man deutlich gesehen, wer sich engagiert und wer den Kopf zwischen die Schultern klemmt und nur Floskeln von sich gibt. Eine Person von den dreien hätte ruhig zu Hause bleiben können, das wäre nicht aufgefallen. Wer könnte das wohl sein?

Politisch ist zu Herrn Tillich als Ministerpräsidenten zu sagen, dass er in den diversen Krisen (à la Lehrermangel usw.) immer seine Minister ins Feuer geschickt hat und sich selbst sehr vornehm zurückhielt. Ich persönlich habe von ihm nicht viel mehr bemerkt, außer dass er als Sorbe ein Landeskind ist. (Von seiner Vergangenheit von vor 25 Jahren rede ich mal nicht.) Biedenkopf war als Ministerpräsident sicherlich deutlich prägender.

Nicht umsonst gibt es schon lange Spekulationen, dass Tillich noch in die Bundespolitik will und dafür seine Weste gewissermaßen sauber halten wolle. Das Desaster in Heidenau fällt nun – sogar an Ulbig vorbei – völlig auf ihn zurück. Tja…

Dass dem so ist, traute sich zumindest Markus Ulbig schon mal anzudeuten, denn seine „Polizeireform 2020″ wird ja gerade von einer Fachkommission evaluiert, die am 1. Dezember ihre Ergebnisse vorlegen wird.

Hier als Hinweis die Mitglieder dieser Expertenkommission:

Die Fachkommission setzt sich aus Vertretern des Innenministeriums, der Polizeidienststellen, der Personalvertretungen und externen Sachverständigen zusammen. Folgende Mitglieder wurden berufen:

• Inspekteur der Polizei Dieter Hanitsch, in Vertretung des Landespolizeipräsidenten Jürgen Georgie, SMI (Vorsitz),
• Präsident des Sächsischen Rechnungshofes a. D., Franz Josef Heigl,
• Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Prof. Dr. Gisela Färber,
• Finanzminister des Freistaates Thüringen a. D., Dr. Wolfgang Voß,
• Inspekteur der Polizei Brandenburg a. D., Jürgen Jakobs,
• Polizeipräsident der Polizeidirektion Dresden, Dieter Kroll,
• Vorsitzender des Polizei-Hauptpersonalrates, Erik Berger
• Kriminaldirektor Dirk Lichtenberger, Leiter der Projektorganisation im SMI

Was beispielsweise der Präsident des Sächsischen Rechnungshofes a. D., Franz Josef Heigl, die Frau Prof. Dr. Gisela Färber von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und der Finanzminister des Freistaates Thüringen a. D., Dr. Wolfgang Voß für eine Rolle spielen sollen ist sicher ein Geheimnis, Aber so sehen sie aus, diese Expertenkommissionen, So wird das Volk verdummt.

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