Der erste, durchaus verdienstvolle Ministerpräsident des Freistaates Sachsen nach der Friedlichen Revolution 1989, Kurt Biedenkopf, antwortet in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung (LVZ) vom 21.09.2015 auf die Frage „Wieso haben Sie sich mit Ihrer Aussage so getäuscht, dass die Sachsen immun gegen den Rechtsextremismus seien“: Wieso habe ich mich getäuscht? Die große Mehrheit ist immun und bleibt es – wie in Westdeutschland, wo der Rechtsextremismus in Gestalt der Republikaner in Baden-Württemberg seinen Anfang nahm. Überwiegend sind es zudem Westdeutsche, die ihn nach Osten bringen. Dort, wo es ihnen gelingt, erzeugen sie zwar eine Protesthaltung, aber keine strategische Kraft. In dieser Antwort steckt ein mehrfacher Irrtum.
Der Rechtsextremismus hat in Westdeutschland nicht mit dem Aufkommen der Republikaner (1983 gegründet) angefangen. Der Rechtsextremismus hat weder in West- noch in Ostdeutschland nach 1945 jemals aufgehört. Man erinnere sich an 1968 und 1969. Da erreichte die NPD, damals eine Partei der Alt-Nazis, 9,8 % bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und 1969 scheiterte die NPD mit immerhin 4,3 % bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde.
1969 war die CDU bereit, ihren Kandidaten für den Bundespräsidenten mit den Stimmen der NPD wählen zu lassen. Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zogen die sog. Republikaner in verschiedene Parlamente ein, so 1989 ins Europaparlament und 1992 mit 10,9 % in den baden-württembergischen Landtag.
Auch in der DDR hat es immer eine rechte Szene gegeben.
Es ist auch ein Irrtum, dass die große Mehrheit der Deutschen „immun“ gegen den Rechtsextremismus ist. Nein, das eben gerade nicht. Bürgerinnen und Bürger sind vor allem in Krisenzeiten anfällig für rechtes Denken. Das ist in anderen europäischen Ländern genauso. Diese Fehleinschätzung Biedenkopfs ist übrigens eine der Ursachen dafür, dass sich der Rechtsextremismus in Sachsen in manchen Regionen nach der Friedlichen Revolution nicht nur ausbreiten, sondern festsetzen konnte.
Denn die seit 1990 von der CDU geführten Landesregierungen haben das Problem nicht nur verleugnet, sondern sind selbst in rechten Strickmustern gefangen. Warum sonst hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich größte Schwierigkeiten, für seinen erfreulichen Meinungsumschwung in der Landes-CDU Zustimmung zu erfahren?
Die dritte Täuschung Biedenkopfs besteht darin, dass im Rechtsextremismus lediglich eine Protesthaltung und keine strategische Kraft stecken würden. Auf den Linksextremismus mag dies zutreffen, aber nicht auf rechte Grundhaltungen, die in anderen europäischen Ländern schon wieder mehrheitsfähig sind – und in Tröglitz, Heidenau und Freital von vielen Bürgerinnen und Bürgern geteilt werden.
Diese Grundhaltungen sind schnell benannt: Antisemitismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, ideologische Abschottung gegen andere Weltanschauungen und Religionen (insbesondere Islam), Absage an Pluralität und Vielfalt der Lebensentwürfe, Demokratiefeindlichkeit, Militarismus und Gewaltbereitschaft. Dieses rechtsradikale Denken reicht weit hinein ins Bürgertum. In Sachsen geht man zu Recht von 20 Prozent rechtsextremem Wähler/innenpotential aus.
Was ist damit gesagt: Niemand ist politisch immun gegen Rechtsextremismus.
Deswegen muss die Auseinandersetzung mit ihm ständig geführt werden. Vor allem aber sind die Demokratie und die Pluralität zu verteidigen und zu entwickeln, insbesondere in den Bildungseinrichtungen. Dazu gehört, dass wir jetzt das Zusammenleben mit Flüchtlingen bejahen und gestalten, dass wir keine Grundpositionen wie das Asylrecht aufgeben, dass wir keinen Moment nachlassen in der Aufgabe, für gerechte Lebensverhältnisse zu sorgen, und dass wir den Friedensauftrag nicht vernachlässigen.
Er beginnt damit, dass jeder Form von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entschlossen entgegengetreten werden muss. Kurt Biedenkopf hat mit dafür gesorgt, dass in der Präambel der Verfassung des Freistaates Sachsens sowohl an den konziliaren Prozess wie an die Friedliche Revolution erinnert wird: von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen, hat sich das Volk im Freistaat Sachsen dank der friedlichen Revolution des Oktober 1989 diese Verfassung gegeben.
Allein diese Gedanken hätten dazu führen müssen, Pegida/Legida nicht zu verharmlosen.
Sondern von Anfang an als das zu entlarven, was sie sind: eine vom rechtsradikalen Netzwerk gesteuerte Bewegung, die genau die Stimmungslage erzeugt, in der gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte möglich sind. In diesen Tagen hätte man sich von Kurt Biedenkopf, dem unorthodoxen CDU-Politiker und Querdenker, durchaus selbstkritischere Töne gewünscht und andere Vorschläge als den „Flüchtlingssoli“.
Stattdessen bedient er das Vorurteil, Flüchtlinge kosten nur Geld, und eine sächsische Selbstgefälligkeit, die sich wie Mehltau über das Land gelegt hat und als einzige Bewegung das Gebrülle montags in Dresden oder vor Asylunterkünften bereithält: „Volksverräter“ und „Lügenpresse“. Dabei zeigen tausende Sachsen, dass es auch anders, demokratischer, mitfühlender und bunter geht. Doch das ist kein Selbstläufer.
Keine Kommentare bisher
In diesen Tagen hätte man sich von Kurt Biedenkopf, dem unorthodoxen CDU-Politiker und Querdenker, durchaus selbstkritischere Töne gewünscht und andere Vorschläge als den „Flüchtlingssoli“.
Stattdessen bedient er das Vorurteil, Flüchtlinge kosten nur Geld, und eine sächsische Selbstgefälligkeit, die sich wie Mehltau über das Land gelegt hat und als einzige Bewegung das Gebrülle montags in Dresden oder vor Asylunterkünften bereithält: „Volksverräter“ und „Lügenpresse“.
Wenn Sie schon von Geld reden, Herr Rentner Wolff, dann ist es nicht in Ordnung, dass sie eine derartige Aussage so verallgemeinern, wie Sie es tun. Das ist kein guter Stil. Ich schreibe hier nur etwas zur Thematik Geld, demnach nicht über weitere Äußerungen des Rentners Wolff.
Nach meiner Ansicht wollte Herr Biedenkopf mit dem Begriff “Flüchtlingssoli”, der sehr unglücklich gewählt ist, zum Ausdruck bringen, dass enorme Geldbeträge zur Lösung der Problematik erforderlich sind. Nichts mehr und nichts weiter. Ich finde es übrigens sehr gut, dass er darauf hingewiesen hat. Nach wie vor wird ja die Ansicht verbreitet “Wir schaffen das schon”. Ãœber das “finanzielle Wie” wagt sich kaum einer konkrete Zahlen zu offenbaren. Man will doch die Bürgerinnen und Bürger nicht verunsichern, obwohl die das überwiegende (auch finanziell betrachtet) längst sind.
Nach meiner Ansicht wäre ein solcher Soli nicht erforderlich. Erst sollte Deutschland seine Hausaufgaben machen. Das bedeutet ganz einfach, dass endlich eine solide Finanzpolitik Einzug hält. Diese wäre mit gravierenden Reformen der kommunalen Finanzkontrolle, eingeschlossen der Steuerfahndung, verbunden. Solche Gedanken sind jedoch von einen Vertreter wie Herrn Biedenkopf nicht zu erwarten. Die Ursache dafür ist einfach. Fast jeder Politiker aus den alten Bundesländern ist der Ansicht, dass die kommunalen Strukturen des Bundes und in den Ländern im wesentlichen in Ordnung sind. Sie haben sich bewährt, so zumindest deren unmissverständliche Ansicht. Kaum einer davon würde beispielsweise auf die Idee kommen, die Landesrechnungshöfe , die sich zu einem Übel unserer Gesellschaft entwickelt haben, in Frage zu stellen.
Leider hat sich der überwiegende Teil der Politiker in den neuen Bundesländern diesen fragwürdigen Ansichten angeschlossen.