Die Fetzen flogen zwar nicht am Dienstag, 1. September, im Sächsischen Landtag, als die Fraktionen endlich mal in aller Breite über das Thema Asylunterbringung in Sachsen debattierten. Auch Markus Ulbig stand Rede und Antwort. Und ein Entschließungsantrag von SPD und CDU kam auf den Tisch, der in aller Länge deutlich machte, wo es klemmt in Sachsens Regierung: in der Kommunikation. Das sprach Ulbig in seiner Fachregierungserklärung sogar an.
Ein wenig wehleidig: “Auf der anderen Seite ist gute Kommunikation auch ein wichtiges Stichwort in Sachen Zusammenarbeit mit unseren Kommunen. Zurzeit hört man überall – vor allem in den Medien – den Vorwurf: Der Freistaat kommuniziere nicht ausreichend, nicht schnell genug. Man muss dabei aber auch sagen, dass man mit Kommunikation nur denjenigen erreicht, der auch erreicht werden will.”
Aber er ließ schwammig, wen er mit dem Vorwurf genau meinte.
Denn tatsächlich mahnen auch die CDU- und SPD-Fraktion mit ihrer Entschließungserklärung etwas an, was der Innenminister als Kommunikation in den vergangenen Monaten nicht geleistet hat. Auf fünf Seiten listen sie auf, worüber sie von der Regierung fortlaufend informiert werden wollen. Das reicht von der Frage, wie nun die Bundesregierung tatsächlich agiert und unterstützt, denn auch auf der Ebene des deutschen Innenministers kann nicht wirklich von einer offensiven Kommunikation gesprochen werden, wenn nicht mal klar ist, wann die neuen Außenstellen des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) in Sachsen eingerichtet werden. Das geht weiter mit der Frage nach den 150 versprochenen DaZ-Lehrkräften (Deutsch als Zweitsprache), der konkreten Standortauswahl, der Gesundheitsvorsorge, dem Personalbedarf in der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) usw.
Es sind also nicht nur ein paar Bürger oder Pressevertreter, die sich schlecht informiert fühlen. Selbst die beiden Regierungsfraktionen haben deutlichen Informationsbedarf und artikulieren ihn auch: “Die Koalitionsfraktionen wollen mit diesem Antrag umfassende Informationen zur aktualisierten Lage einholen, um den nun anstehenden Umsetzungs- und Weiterentwicklungsprozess intensiv parlamentarisch begleiten und unterstützen zu können.”
Und sie erlebten am Freitag einen Innenminister, der nach wie vor ungern mit Zahlen an die Öffentlichkeit geht. Dass die Kommunen 2015 und 2016 jeweils 30 Millionen Euro mehr zur Unterbringung der Flüchtlinge bekommen sollen, das war schon vorher bekannt. Aber wenn die Sachsen eine Vorstellung vom Projekt Asylunterbringung bekommen sollen, dann braucht es mehr als nur solche im leeren Raum schwirrenden Teilzahlen.
Das ist auch den Mitgliedern der CDU-Fraktion klar. Der finanzpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Jens Michel, nannte am Dienstag einmal die wirkliche Dimension. „Natürlich darf Menschenwürde nicht vom Geld abhängig sein. Aber es ist legitim, wenn Menschen nach den Kosten fragen. Aufgabe der Politik ist es, entsprechende Antworten zu geben und für die notwendige Transparenz zu sorgen” sagte er und rechnete dann vor: “Bisher hat Sachsen etwa 1,3 Prozent aus dem Gesamthaushalt in Höhe von jährlich rund 17 Milliarden Euro für den Bereich Asyl- und Flüchtlingshilfe eingeplant. Aufgrund der aktuellen Prognosen rechne ich damit, dass wir am Ende mindestens drei Prozent, also etwa 510 Millionen pro Jahr für Flüchtlinge und Asylbewerber ausgeben müssen. Sachsen wird diese finanzielle Belastung aufgrund seiner soliden Finanzpolitik der vergangenen 25 Jahre auch ohne Nachtragshaushalt meistern. Aber nur zur Überbrückung, denn Bund und EU dürfen sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen.“
Und auch in der SPD-Fraktion will man deutlich mehr Informationen zum Thema.
Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: „Uns sind Maßnahmen wichtig, bei denen die Koalitionsfraktionen die Regierung parlamentarisch unterstützen wollen und deshalb umfassende Informationen einfordern. Wir zeigen mit konkreten Handlungsaufträgen an die Regierung auf, welche konkreten Maßnahmen in Sachsen, im Bund oder in der EU notwendig sind, um für alle Asylsuchenden eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten, die Verfahrensdauern zu verkürzen und die Integration auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verbessern.“
Das wirkt dann schon, als müsste die Regierungskoalition ihre gewählten Minister zum Jagen tragen oder erst mal zum Reden bringen.
Dabei wird das in den nächsten Monaten noch wichtiger.
Denn gerade jene Länder in der EU, die in den letzten Jahren rechtspopulistische Regierungen bekommen haben, zeigen jetzt, da wirklich Solidarität gefragt ist, wie man sich der Aufgabe entzieht und den anderen Ländern die eigene Last auch noch auflädt. Am Dienstag war es Dänemark, das bekannt gab, die Versorgungsbezüge der Asylbewerber zu halbieren. Da die Sätze dann nicht mehr zum Leben reichen, werden noch mehr Flüchtlinge versuchen, nach Deutschland zu kommen.
Die Appelle der sächsischen Regierung an die EU sind berechtigt. Doch die Bundesregierung muss sich durchaus die Frage stellen lassen, warum man die Entsolidarisierung in der EU erst hat so weit kommen lassen, dass gerade in Zeiten der höchsten Anstrengung die Egomanen ausscheren und die Gemeinschaft aufkündigen.
Da kommt eine gewaltige Aufgabe auf Deutschland und Sachsen zu. Das betonte auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich.
Bei einem Thema aber ging der Riss sogar mitten durch die Regierungskoalition. Während die CDU-Abgeordneten in der Regel wieder die alte Forderung nach schnelleren Asylverfahren und schnellerer Abschiebung abgelehnter Bewerber wiederholten, kam aus der SPD-Fraktion Nachdenkliches.
Noch relativ unentschlossen von Albrecht Pallas: “Wichtigstes Ziel ist, dass insbesondere bei Nationalitäten mit besonders hoher und besonders niedriger Chance für ein Bleiberecht die Verfahrensdauer auf längstens einen Monat verkürzt wird. Das hilft uns bei der Aufnahmekapazität. Und das bringt den Betroffenen schnell Klarheit über ihre Perspektive.”
Eine Aussage, die er durch den wirklich mutigen Spagat ergänzte: “Die Entwicklung in den letzten Monaten hat aber auch gezeigt, dass wir insbesondere für Nationalitäten mit besonders geringen Chancen auf Bleiberecht über legale Zuwanderungsmöglichkeiten reden müssen. Dies geht aus SPD-Sicht nur über die Schaffung eines Zuwanderungsgesetzes.“
Während der Leipziger SPD-Abgeordnete Dirk Panter davor warnte, Flüchtlinge einfach in die Kategorien „richtige“ Kriegsflüchtlinge und „falsche“ Wirtschaftsflüchtlinge zu stecken. „Ja, richtig ist, wer aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommt, hat kein Anrecht auf Asyl und muss auch zügig zurückgeführt werden. Aber wir sind trotzdem nicht die Richter. Wie können wir Menschen verbieten, das Beste für sich und die eigenen Kinder zu suchen? Wir mögen nicht alle aufnehmen können, nur hier wird ganz besonders klar: Es fehlt uns so sehr ein klares und transparentes Einwanderungsgesetz.“
Und da zeichnet sich etwas ab, was durchaus einer neuen Bundesrepublik Konturen geben könnte als Integrationsmotor im Herzen Europas. Wichtig sei auch, so Panter, vorausschauend zu denken. „Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Und Sachsen ist Teil dieses Zuwanderungslandes. Vieles von dem, was wir heute als Problem wahrnehmen, ist eine Chance für unser Land. Junge Menschen kommen zu uns, Menschen, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen – wir sollten froh sein, diese Chance zu bekommen!“
Möglicherweise zwingen die Realitäten der Gegenwart die EU dazu, sich gründlich zu ändern zu einem wirklich modernen Staatenverbund, der den Abschottungsbestrebungen der Nationalisten eine Absage erteilt.
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