Es gibt eigentlich kein Thema, das der immer noch amtierende sächsische Innenminister Markus Ulbig tatsächlich beherrscht. Er mauert beim sozialen Wohnungsbau, kleckert bei der Unterbringung Asylsuchender hilflos hinterher. Und drei Jahre nach seiner "Polizeireform 2012" barmt er auf einmal um mehr Polizisten. Aber wer ist denn eigentlich für den Personalabbau bei der Polizei zuständig?

Auf MDR Info sagte er am Freitag, 7. August: “Gefühlt sind die Kollegen derzeit wirklich am Limit. Vor dem Hintergrund werden wir zusätzlich zu den 400, die wir jedes Jahr ausbilden und in Dienst übernehmen, nochmal eine entsprechende Kapazität brauchen.”

Mario Pecher, Vorsitzender des Innenausschusses im sächsischen Landtag, bestätigte den Mangel, teilte aber Ulbigs forschen Vorstoß nicht, denn Polizisten, die man nicht ausgebildet hat, kann man auch nicht einstellen: “Selbst wenn wir heute beschließen würden, tausend Polizisten einzustellen… Die sind nicht da, die gibt es schlichtweg nicht.”

Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, schüttelt über diesen planlosen Innenminister nur noch den Kopf.

“Nicht die jetzigen Anforderungen durch Demos, Fußball und Asylunterkünfte sind Schuld an der Überforderung der sächsischen Polizei, sondern die inkompetente Personal- und Stellenabbaupolitik von CDU/SPD- und CDU/FDP-Koalitionen und Regierungen seit 2004. Innenminister Ulbig und die jetzige Koalition haben diesen Abbau um 2.600 Stellen nie gestoppt, nur einen zusätzlichen Abbau von 800 Stellen aus der Planung genommen”, kritisiert er die Halbherzigkeit der Korrekturen seit Herbst 2014, die nicht mal den weiteren Stellenabbau bei der Polizei stoppen. Die Erhöhung der Absolventenzahlen an den Polizeischulen von 300 auf 400 fängt nicht einmal die Altersabgänge auf.

Dass Sachsens Polizisten jetzt mit Einsätzen bei Demonstrationen, Fußballspielen und Protesten um Asylbewerberunterkünfte an die Überlastungsgrenze kommen, hat eindeutig mit dem Personalabbau zu tun.

Die weggesparten Polizisten fehlen einfach.

Enrico Stange: “Und die jetzige Misere ist auch nur auf den Abbauplan der 2.600 Stellen zurückzuführen, der noch nicht einmal bis zu Ende durchgezogen ist. Denn die Polizeireform ‘Polizei.Sachsen.2020’ sieht den Endstand erst im Jahr 2025 erreicht. Sachsen braucht aber eindeutig mehr Beamte im Polizeivollzugsdienst. Es ist gut, dass der Sächsische Chaosminister Ulbig nun selbst zu dieser Erkenntnis gelangt ist.”

Aber er zweifelt daran, dass der zuständige Minister vor 2017 überhaupt reagiert. Denn mit der Gründung der Fachkommission, die die missratene “Polizeireform 2020” evaluieren soll, hat er wichtige Entscheidungen auf die lange Bank geschoben.

“Alle Neueinstellungen, die Ulbig als Ergebnis der Fachkommission jetzt avisiert, werden frühestens 2017 in die Ausbildung und 2020 in den regulären Dienst kommen. Damit belügt er die Öffentlichkeit durch seine Beschwichtigungsrhetorik”, wirft Enrico Stange dem Zauderer im Ministeramt vor. “Denn die offenbar erforderlichen weiteren mindestens 150 Polizeianwärter pro Jahr für den Vollzugsdienst müssen durch Haushaltsbeschluss des Landtags finanziell abgesichert werden wie auch die Ausbildungskapazitäten in den Polizeifachschulen Leipzig, Chemnitz und Schneeberg. Diese reichen nicht einmal für den jetzig auf 400 Anwärter jährlich erweiterten Einstellungskorridor aus, geschweige denn für einen auf mindestens 550 Polizeianwärter im Polizeivollzugsdienst erweiterten.”

Gesinnungswandel von Markus Ulbig?

Fast erleichtert reagiert die SPD: „Sachsens Innenminister hat jetzt dankenswerterweise die Argumente der SPD-Fraktion aufgenommen, wonach mehr Polizistinnen und Polizisten als bislang geplant ausgebildet werden müssen“, erklärt Albrecht Pallas. „Wir sind dazu bereit. Und Vorschläge von uns, die Situation darüber hinaus auch kurzfristig zu entspannen,  liegen bereits auf dem Tisch. Erst gestern haben wir unsere Position in der Sondersitzung des Innenausschusses erläutert.“

Aber auch er vermisst die konkreten Vorschläge, wie Ulbig das selbstverschuldete Dilemma nun lösen will. Dabei kommt ihm eine alte Idee in den Sinn: die Wachpolizei von 2002.

„Wir sind nun gespannt auf die konkreten Vorschläge des Ministers”, sagt Pallas. “Es ist richtig, dass Sachsen mehr Polizistinnen und Polizisten ausbilden und in den Dienst übernehmen muss. Es ist ein Gebot der Stunde, jetzt gemeinsam und vor allem zügig zu handeln. Wir müssen überlegen, wie wir schnell mehr Polizistinnen und Polizisten einstellen können. Das ist schon einmal gelungen mit der Schaffung der Wachpolizei 2002. Das könnte als Blaupause für ein kurzfristiges Neueinstellungsprogramm dienen.“

Aber auch die SPD will lieber warten, bis die Fachkommission konkrete Aussagen trifft.

„Bei allen kurzfristen Maßnahmen ist es wichtig, dass die Fachkommission Polizei weiter arbeitet und mit Blick auf den Haushalt 2017/18 konkrete Vorschläge zur Stellenausstattung der sächsischen Polizei  unterbreitet”, so Pallas.

Während Stange vorrechnet, wie die Polizei weiter Federn lassen wird: Mit dem 2015 in Kraft getretenen Einstellungskorridor wird unter Berücksichtigung der Altersabgänge im Vollzugsdienst im Jahr 2018 ein leichter Personalanstieg von 10.862 (2015) Beamten auf 11.146 (2018) und 11.191 (2019) erreicht, bevor er wieder ins Minus kippt. 2025 sind es dann nur noch 11.091 Beamte. Nicht 400 Beamte müssen nach seiner Ansicht ausgebildet werden, sondern 550.

“Mit einem auf 550 Anwärter ab 2016 erweiterten Einstellungskorridor könnten wir unter Berücksichtigung von Altersabgängen und Zugangsschwankungen wegen Ausbildungsabbrüchen ab dem Jahr 2019 einen stetigen Aufwuchs von Beamten auf 11.286 (2019), 11.591 (2021) und 12.071 (2025) erreichen”, rechnet Stange vor. “Wenn Ulbig mit den nötigen Schritten also auf das Ergebnis der Fachkommission warten will, das bei gesundem Menschenverstand nicht anders ausfallen kann, als den jetzigen Personalbestand im Polizeivollzugsdienst zu sichern und schnellstmöglich auszubauen, vertut er wichtige Zeit. Der Landtag könnte durch Nachtragshaushalt bereits in diesem Herbst die nötigen Voraussetzungen dafür schaffen, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Fachkommission bei ehrlicher und ergebnisoffener Recherche und Bewertung wohl ansonsten erst im Frühjahr 2016 präsentieren wird. Dann aber könnte der erweiterte Einstellungskorridor erst nach Haushaltsbeschluss im Herbst 2016 für den Ausbildungsbeginn 2017 wirken. Das wären unnötige Verzögerungen, die die öffentliche Sicherheit weiter gefährden, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beamten bedroht und mithin die ‘verdächtig guten Jobs’ der sächsischen Polizei ins Reich der Märchen verbannt.”

Lösungen sind fern

Und Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wundert sich nur: Im Innenausschuss, der am Donnerstag, 6. August, tagte, hatte der Innenminister keine Lösung parat.

“Wir begrüßen die Ankündigung des Innenministers – endlich ist Markus Ulbig aufgewacht. Unsere langjährigen Forderungen wurden erst im Frühjahr erneut vom Minister und der Koalition mit dem Verweis auf die Arbeit der Polizeikommission und mit dem Hinweis darauf abgebügelt, dass Polizisten nicht von heute auf morgen zu bekommen sind. Warum das jetzt anders sein soll, muss der Minister der Öffentlichkeit erklären – Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Die Personalpolitik der Staatsregierung kann ich nur noch als abenteuerlich bezeichnen”, kommentiert Lippman nun Ulbigs Äußerung im MDR. “Zu der zunehmenden Überlastung der sächsischen Polizei hat nicht die hohe Zahl von Demonstrationen oder Fußballspielen geführt, sondern einzig und allein der fortgesetzte massive Stellenabbau bei der Polizei in den letzten Jahren, der auch durch die jetzige Koalition im aktuellen Haushalt nicht gestoppt wurde. Nach unserer Auffassung hätte mit dem aktuellen Doppelhaushalt der Einstellungskorridor auf 600 Polizisten erhöht werden müssen, um zumindest mittelfristig wieder ausreichend Polizisten in Sachsen zu haben.”

Aber aus lauter Verwunderung nutzt er dann ein recht schräges Bild: “Ich hoffe, dass die aktuelle Ankündigung des Innenministers tatsächlich Substanz hat und hier nicht am Ende ein Tiger als Bettvorleger landet. Eine Befassung des Landtages mit den Vorschlägen des Ministers ist daher unausweichlich.” Eigentlich enden ja Amtspersonen, die ihrem Job nicht gewachsen sind, als besagter Tiger. “Der Innenminister muss sich zudem Fragen lassen, wie er mit dem zuständigen Fachausschuss umgeht. In der gestrigen Sitzung des Innenausschusses wäre der richtige Zeitpunkt und Ort gewesen, die Abgeordneten zu informieren. Stattdessen herrschte dort zum Problem der zunehmenden Überlastung der Polizei mal wieder Sprachlosigkeit von Seiten der Staatsregierung.”

Enrico Stanges Anfrage zur Personalstärke der sächsischen Polizei vom Dezember 2014.

Enrico Stanges Anfrage zur Aktion “Verdächtig gute Jobs” vom März 2015.

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