CDU-Wähler in Sachsen dürften dieser Tage ein Problem haben. Sie werden sich mit der Frage allein gelassen fühlen, ob tatsächlich die Partei in den Landtag eingezogen ist, die sie gewählt haben. Am Donnerstag, 27. August, beschloss die CDU-Fraktion ein Positionspapier zur sächsischen Asylpolitik. Es liest sich wie eine Bittschrift aus der Opposition.
Große Worte fand Frank Kupfer, der seit Herbst 2014 Vorsitzender CDU-Fraktion ist: “Wenn wir die gegenwärtigen humanitären und gesellschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der enorm gestiegenen Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern meistern wollen, brauchen wir ein klares Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl und zur UN-Flüchtlingskonvention. Zudem muss das Thema als gesamteuropäische Aufgabe betrachtet werden, das sich nur gemeinsam mit allen Mitgliedsstaaten bewältigen lässt. Auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen braucht es deshalb eine Asyl- und Flüchtlingspolitik, die sich den Realitäten stellt und tragfähige Lösungen für die Zukunft anbietet.”
Und dann öffnet man die Datei und bekommt ein ganz seltsames Gefühl. Denn wirklich gelernt hat die sächsische CDU aus den Krawallen in Heidenau, Freiberg, Dresden usw. nicht. Sie fordert, was sie schon seit Jahr und Tag fordert: Grenzkontrollen gegen “unerlaubte Übertritte” (Punkt 2), beschleunigte Asylverfahren (Punkt 5), Beseitigung von “Abschiebehindernissen” (Punkt 7) und “Sanktionsmöglichkeiten bei Verstoß von Asylsuchenden gegen ihre Mitwirkungspflichten und für die Prüfung der Neuausrichtung von Geld- und Sachleistungen für Asylbewerber” (Punkt 8). Das alles sind Themen, mit denen CDU- und CSU-Politiker in den vergangenen Monaten die Debatte erst so richtig angefeuert haben.
Die Punkte laufen auf genau das hinaus, was die Orban-Regierung in Ungarn gerade getan hat: Den Bau neuer Grenzzäune, die die Flüchtlinge am Weg ins Land hindern sollen. Das funktioniert aber hinten und vorne nicht. Die Not der Menschen, die aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens flüchten, ist so groß, dass sie lieber den Tod auf dem Mittelmeer, im Lkw oder im Stacheldraht riskieren, als dass sie sich zurückhalten lassen von solchen Sperrbollwerken.
Na gut, könnte man sagen, diese Kraftmeiereien hört man von der sächsischen CDU immer wieder. Das ist nicht neu und gehört einfach gefühlsmäßig nicht in ein Positionspapier, in dem von “humanitärer und gesellschaftlicher Herausforderung” geredet wird. Die Präambel liest sich tatsächlich so, als wollte die CDU-Fraktion endlich mal aufschreiben, was sie als Regierungspartei alles tun wird, um die sichere Unterbringung aller Asylbewerber, die jetzt nach Sachsen kommen, zu gewährleisten.
Aber genau da bleibt das Papier seltsam schwammig.
Die meisten Punkte sind einfach Appelle an Bundesregierung und EU, doch bitteschön was zu tun. Die Punkte 1 bis 3 sind reine Anforderungen an die EU.
Der erste Punkt, bei dem die CDU-Fraktion tatsächlich die Rolle Sachsens anspricht, ist Punkt 4: “Asyl und Finanzen”. Denn wer weiß, dass er in diesem Jahr 40.000 Menschen gut und sicher unterbringen muss, der muss das finanzieren. Eigentlich unter dem Motto “koste es, was es wolle”, denn alles andere führt zu unhaltbaren Zuständen wie in den Zeltstädten in Dresden und Chemnitz, Leipziger Turnhallen oder diversen Baumärkten. Sachsen hat das Geld, um die notwendigen Unterkünfte für die Asyl suchenden Menschen zu schaffen. Aber wenn es ums Geld geht, regiert in Sachsen der Sparminister: “In einem zweiten Schritt gilt es nun, finanzpolitisch ausgewogen zu agieren: Einerseits sind ausreichend Mittel zur Flüchtlingsunterbringung bereitzustellen, andererseits aber Strukturen zu vermeiden, die den Freistaat dauerhaft vom soliden haushälterischen Kurs abbringen. Derzeit kann der Freistaat Sachsen die aufgrund der organisatorischen Verantwortungsstruktur eigentlich dem Bund anzulastenden Kosten noch vorfinanzieren und dabei trotzdem die im Haushalt 2015/2016 festgeschriebenen Ausgabevorhaben unbeeinträchtigt umsetzen. Wir fordern den Bund und die EU auf, die Zuständigkeit für die Asylpolitik zu akzeptieren und deren Kosten zu tragen.”
Nach einem wirklich mutig angepackten Bauprogramm für menschenwürdige Unterkünfte klingt das nicht. Es klingt nach genau dem Zögern und Zaudern, das schon die Monate zuvor geprägt hat, und das erst dazu geführt hat, dass das Land im Sommer in panischer Eile Erstaufnahmeeinrichtungen aus dem Boden stampfen musste, die diesen Namen nicht verdienen. Der letzte Satz dieses Punktes klingt sogar so, dass man lieber darauf warten möchte, bis Bund und EU die Kostenzusage für die Unterbringung schriftlich geschickt haben.
Und wer im Block III “Anforderungen an den Bund und an den Freistaat Sachsen” jetzt erwartet, die CDU-Fraktion hätte hier formuliert, was Sachsens Regierung jetzt tun soll und kann, der sieht sich enttäuscht. Die Aufforderung an die (CDU-geführte) Staatsregierung klingt so, als könne allein ein Vorsprechen der Staatsregierung in Berlin die großen Apparate dort beschleunigen und dazu bringen, ihre Arbeit zu tun.
Beseitigung von Abschiebehindernissen
Eigentlich wirkt es lächerlich, wenn hier nicht mittendrin der alte Hardliner-Paragraph auftauchen würde: “Um die Anzahl der Abschiebungen deutlich zu erhöhen, wird die Staatsregierung gebeten, beim Bund die Beseitigung von Abschiebehindernissen einzufordern.”
Spätestens hier zeigt sich, dass die sächsische CDU gar nicht die Unterbringung der Asylsuchenden als wichtigste Aufgabe sieht, sondern die Abschiebung.
Statt alles zu tun, erst einmal menschenwürdige Unterkünfte zu schaffen und auch jene Menschen willkommen zu heißen, die einfach aus purer Armut nach Sachsen gekommen sind, tut man so, als könne man mit noch mehr Abschiebungen die humanitären Katastrophen aus der Welt reden, deretwegen die Menschen auch aus scheinbar “sicheren” Herkunftsländern nach Deutschland kommen.
Dass die europäische Staatengemeinschaft nicht solidarisch agiert, gehört zur Tragik der Gegenwart. Europa wird nicht am Euro scheitern, sondern am gnadenlosen Egoismus seiner Mitglieder, die sich nicht mehr (wie einst sogar noch Helmut Kohl) vorstellen können, welches Potenzial eine Staatengemeinschaft hat, die Probleme tatsächlich mit gemeinschaftlichen Kräften angeht.
Keine konkreten Zahlen, Summen, Schwerpunkte
Wenn man alle diese Punkte durchgeht, bleiben ganze drei übrig, in denen die CDU-Fraktion tatsächlich formuliert, was Sachsen tun könnte. Das ist einmal der (vom verklemmten Sparzwang dominierte) Punkt 4 zu den Finanzen und es sind die letzten beiden Punkte 9 und 10. Im Punkt 9 geht es um die Bereitstellung von Integrationsangeboten, die man nicht nur dem ehrenamtlichen Engagement überlassen kann (auch wenn das passagenweise so klingt): “Die Staatsregierung wird gebeten, mit der Feststellung des Bleibeanspruches umfassende Integrationsangebote zur Verfügung zu stellen und zu fördern, gleichzeitig aber auch dafür Sorge zu tragen, dass diese Angebote angenommen werden.” (Man bekommt es wirklich nicht einfach fertig zu schreiben, dass es diese Angebote einfach geben soll – man will sie gleich wieder wachtmeisterlich beaufsichtigen.) Neu ist natürlich die starke Betonung, dass die Neuankömmlinge schnellstens die Chance bekommen sollen, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
Punkt 10 betont dann, dass der Freistaat doch bitte nur zertifizierte Sicherheitsdienste zur Sicherung der Flüchtlingsunterkünfte einsetzen soll. Und ganz verschämt steckt hier der Satz: “Zudem sollte der Personalbedarf der Polizei dem aktuellen Bedarf bei der Absicherung der Asylbewerberunterkünfte angepasst werden.”
Und auch das klingt, als wagte man es gar nicht, die eigenen Leute in der Regierung direkt zu beauftragen – mit konkreten Zahlen, Summen, Schwerpunkten.
Begriffen hat es diese Fraktion augenscheinlich bis heute nicht, dass es das Zögern, Zaudern und Lavieren der Staatsregierung ist, die den Rechtsradikalen im Land erst die Freiräume verschaffen, sich so zu benehmen wie in Heidenau. Und das Zaudern bringt mittlerweile auch die sächsischen Polizisten in Gefahr, die an Brennpunkten wie Heidenau eingesetzt sind.
Das 10-Punkte-Papier ist im Grunde nichts als Regierungsverweigerung. Das hätte eine 5-Prozent-Partei in der Opposition schreiben und dann zur Kenntnisnahme im Landtag einreichen können. Von einer Regierungspartei darf man deutlich mehr erwarten.
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