Eigentlich liegen die Karten auf dem Tisch. Eigentlich müsste der zuständige Ministerpräsident den zuständigen Innenminister angucken, leicht den Kopf wiegen und dann sagen: "Das war wohl nichts, mein Lieber. Willst du nicht zurück nach Pirna gehen?" - Und der zuständige Innenmister müsste nicken, aufstehen und gehen. Kein Projekt hat er so gründlich versemmelt wie die "Polizeireform 2020".

Im Grunde können die Abgeordneten im sächsischen Landtag jetzt nur regelmäßig abfragen, wie schlimm es steht um Sachsens Polizisten. Dass jetzt das Polizeimaskottchen Poldi mit so viel Tamtam gerettet werden musste, ist nur ein Symbol für eine Politik, die einem Wunschdenken der Sparsamkeit entspringt, die Realität aber schon vor Jahren aus dem Auge verloren hat.

Es ist ja nicht unter Verschluss, dass Sachsens Polizei bis heute von den Einstellungen und Reformen der frühen 1990er Jahre zehrt. Heute gehen die gestandenen Polizisten der frühen Jahre so langsam alle in Ruhestand. Die meisten Direktionen sind überaltert. Da sieht es so aus wie in vielen sächsischen Schulen, wo die diversen verantwortlichen Kultusminister dasselbe Problem haben heranreifen lassen, ohne rechtzeitig gegenzusteuern.

Und nicht nur der Linke-Politiker Enrico Stange hat nun stapelweise Zahlen zum Bestand in den sächsischen Revieren und Direktionen. Auch Valentin Lippmann, der die Innenpolitik aus der Grünen-Fraktion heraus beobachtet, hat stapelweise Anfragen, die beantwortet wurden.

Die Rechnung ist eigentlich simpel. Schon 2012, als der Innenminister mit Jubilo seine “Reform” präsentiert, waren die Polizeidirektionen am Rande ihrer Belastbarkeit angekommen. Doch statt den Laden zu stabilisieren, hat der Minister weiter Kürzungen beschlossen. Ergebnis sind steigende Krankenstände und Ausfallzeiten. Vom Unmut der Polizisten ganz zu schweigen. Seit drei Jahren versuchen auch die Gewerkschaften, dem Minister ins Gewissen zu reden. Unerhört.

Und so zeigt sich das, was Valentin Lippmann nun feststellt: Vor unser aller Augen wird der Durchschnittspolizist immer älter, müder und trauriger.

Durchschnittlich ein halbes Jahr älter ist Sachsens Polizei im letzten Jahr geworden. So geht es aus Zahlen hervor, die Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf eine Kleine Anfrage Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, vorgelegt hat.

“Am Alter der sächsischen Polizeibediensteten kann man die unverantwortlichen Stellenstreichungen der vergangenen Jahre unschwer erkennen. Der seit 2012 bestehende Einstellungskorridor von 300 Stellen pro Jahr, der seit diesem Jahr auf 400 Stellen erhöht worden ist, kann die Altersabgänge, den damit verbundenen Verlust der Stellen und die Erhöhung des Durchschnittsalters nicht mehr wettmachen”, kritisiert Lippmann.

Enrico Stange hat es ja erst ausgerechnet: Die 300 Polizeianwärter, die bisher jedes Jahr ausgebildet wurden, waren bei Weitem zu wenig, um auch nur die Altersabgänge zu kompensieren. Die 400, die CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben und die in diesem Jahr gültig sind, sind auch zu wenig. Um überhaupt den Personalbestand zu halten, müssten 450 Polizisten jedes Jahr in Dienst gestellt werden.

Präventionssymbolfigur Poldi darf nicht in Rente. Foto: Polizei Sachsen
Präventionssymbolfigur Poldi darf nicht in Rente. Foto: Polizei Sachsen

Mit fast schon sommerlicher Grimmigkeit ging Stange in einem Kommentar zur vorübergehenden Rettung des bedrohten sächsischen Polizeidinosauriers “Poldi” darauf ein: “Mit der Fortsetzung der Stellen- und Personalabbaupolitik der Sächsischen Staatsregierung scheiden bei der sächsischen Polizei Zug um Zug vor allem jene Beamtinnen und Beamte aus dem aktiven Dienst ersatzlos aus, die umfangreiche Erfahrungen im Polizeivollzugsdienst bei der Bekämpfung von Drogenkriminalität, Einbruch- und Diebstahlkriminalität, in den Verkehrspolizeiinspektionen und beim Umgang mit gewalttätigen Jugendlichen haben. Sie haben über Jahre geschultes Fingerspitzengefühl bei der Vermittlung polizeilicher Präventionsinhalte an Kinder und Jugendliche.”

Und dann trieb ihn der Schalk: “Zurück bleiben nun also Poldi und im Wesentlichen das Polizeiorchester. Der Staatsminister schreckt vor der öffentlichen Wirkung der beabsichtigten Außerdienststellung Poldis zurück. Allerdings hat er keinerlei Plan für eine sach- und realitätsgerechte Fortsetzung der Polizeipräventionsarbeit, geschweige denn dass er auch nur im Ansatz die erforderliche Verknüpfung von gesellschaftlicher und polizeilicher Präventionsarbeit konzeptionell vordenken könnte.”

Polizisten jagen eben nicht nur Kriminelle. Einige gehen aus gutem Grund schon seit Jahren in Schulen, Kitas, auf große Feste, um vorbeugende Arbeit zu leisten.

Enrico Stange: “Präventionsarbeit ist Vorsorge für eine dann später in geringerem Umfange erforderliche Nachsorge und polizeiliche Repression. Eine einfache Schlussfolgerung, die sich Markus Ulbig vielfach von erfahrenen Polizistinnen und Polizisten bestätigen lassen könnte. Wenn er nun den Fortbestand der Präventionssymbolfigur Poldi unter Evaluierungskuratel der Fachkommission stellt, offenbart dies seine komplette Unfähigkeit als Innenminister sowohl in Richtung der Empfänger der Präventionsarbeit als auch in Richtung der Trägerinnen und Träger polizeilicher Präventionsarbeit bzw. dessen, was bislang davon übrig ist.”

Vorsorge könnte also später auch eine Menge Polizeiarbeit ersparen.

Aber was tut man, wenn ein Minister so vom Sparen berauscht ist? – Stange: “Die Polizeidirektionen brauchen für die Reviere in den Landkreisen und Kommunen einen festen Stamm von Präventionsbeamten für die unterschiedlichen Zielgruppen der Präventionsarbeit. Dies ist als Fazit unabhängig vom Ergebnis der Arbeit der Fachkommission schon klar.”

Und Lippmann graut es, wenn er die älteren Polizisten im Einsatz sieht. Das haben sie wirklich nicht verdient.

Waren Polizeibedienstete in Sachsen im Jahr 2009 noch durchschnittlich 44,7 Jahre alt, liegt der Altersdurchschnitt 2015 bei 45,8 Jahren. Allein im vergangenen Jahr ist die Polizei insgesamt um 5,4 Monate durchschnittlich älter geworden. Damit nähert sich die jährliche Erhöhung des Altersdurchschnitts an die Jahre vor 2012 an, in denen es noch keinen Einstellungskorridor von 300 bzw. 400 Anwärterstellen pro Jahr gab. Den Altersrekord hält die Polizeidirektion Zwickau. Die Bediensteten in diesem Zuständigkeitsbereich sind mit durchschnittlich 48,4 Jahren am ältesten.

Relativ stabil sehen die Zahlen nur für die beiden Großstädte Dresden und Leipzig aus, wo freilich auch der Arbeitsdruck am höchsten ist und die Polizeipräsidenten ein entsprechendes Druckmittel haben, junge Nachwuchskräfte für ihre Region zu bekommen.

“Insgesamt ist die Leistungsfähigkeit der sächsischen Polizei durch das hohe Durchschnittsalter geschwächt. Gerade der Einsatz auf der Straße beim Streifengang oder der Streifenfahrt erfordert eine hohe körperliche Fitness und Gesundheit. Die ist im höheren Alter nicht mehr durchgängig vorhanden”, beschreibt Lippmann die Folgen. “Ich befürchte, es ist bereits fünf nach Zwölf. Ich fordere Innenminister Markus Ulbig dringend auf, der sich abzeichnenden Überalterung der Polizeibediensteten entgegenzuwirken. Seinen Ankündigungen, mehr Polizei einstellen zu wollen, müssen jetzt schnell Taten folgen. Parallel dazu sollte durch umfassende Gesundheitsmaßnahmen, insbesondere durch Reduzierung der Einsatzbelastungen, dafür Sorge getragen werden, dass auch ältere Polizeibedienstete ihren Beruf bis zur Rente, auch in körperlich anspruchsvollen Einsätzen, voll ausüben können.”

Antwort von Innenminister Markus Ulbig auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann “Polizeidienststellen – Stellenausstattung 2015”.

Antworten von Innenminister Markus Ulbig auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Jähnigen “Polizeidienststellen – Stellenausstattung 2014”.

Antworten von Innenminister Markus Ulbig auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Jähnigen “Polizeidienststellen – Stellenausstattung 2014”.

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