Wahrscheinlich wäre es gar nicht so dumm, wenn wir auf unsere Website noch ein großes Warnschild packen: "Vorsicht, Neuland!" Politiker reden zwar gern und oft über neue Medien, Vorratsdatenspeicherung und die unbegrenzten Möglichkeiten einer digitalen Verwaltung. Wenn es aber konkret wird, stellt sich schnell heraus, dass sie vom Neuland keine Ahnung haben. Auch nicht von Polizeiarbeit im Neuland.

Wer die ganze Debatte um NSA, BND, Verfassungsschutz usw. verfolgt und den seltsamen Drall der Behörden, den Bürger komplett überwachen und durchleuchten zu wollen, der merkt schnell, was für ein altes, von Ignoranz geprägtes Denken die Möchtegern-Sicherheits-Politiker von heute prägt. Sie opfern gigantische Geldbeträge, um das Internet zu beherrschen wie einst die englische Flotte das Meer. Sie horten gigantische Berge von blindwütig gesammelten Daten, organisieren riesige und erfolglose Funkzellenabfragen. Doch wenn man mal genauer hinschaut, dann sieht es jedes Mal ungefähr so aus wie dieser Tage auf der Website des Sächsischen Landtags: Kleine schwarze Figuren hämmern, sägen und schaufeln in einem Warndreieck: “Wegen Wartungsarbeiten steht die EDAS-Website vorübergehend nicht zur Verfügung.”

Das bekommen nur Behörden fertig: Wartungsarbeiten in den Sommerferien. Während ein paar Abgeordnete immer noch weiterarbeiten und zum Beispiel wie der Linke-Landtagsabgeordnete Enrico Stange ihre letzten Anfragen an die Regierung durcharbeiten. Die Antworten haben wir verlinkt, haben sie aber diesmal nicht gelesen. Wie gesagt: Weil Wartungsarbeiten sind und wahrscheinlich die Putzfrauen in Dresden die Computeranlage wischen, bügeln und schleudern. Oder so ähnlich.

Aber die wesentlichen Fakten benennt Enrico Stange. Immerhin hat er zwei Mal angefragt, wie es denn nun um die von Innenminister Markus Ulbig (CDU) angekündigte IT-Einsatztruppe der Polizei steht. Vor einem Jahr feierte Ulbig mit großem Getöse sein neues CyberCrime Competence Center Sachsen (SN4C). Landespolizeipräsident Rainer Kann jubelte: “Cyberbanditen werden es künftig deutlich schwerer haben ihre kriminellen Machenschaften umzusetzen.”

Wahrscheinlich haben die berühmten Cyberbanditen mal kurz gekichert, sind wieder in ihre Lasterhöhle gegangen und haben weitergemacht.

Zwischen Ankündigung und Umsetzung liegen in Sachsen Welten.

67 Polizisten hatte man fürs SN4C zusammengekratzt – ursprünglich hatte Ulbig 200 gewollt.

Im Herbst, als die CDU/SPD-Koalition zustande kam, hatte sie versprochen: Die Polizei in Sachsen bekommt 2015 und 2016 jeweils hundert zusätzliche Computerspezialisten – als Antwort auf die zunehmende IT-Kriminalität.

“Aus diesem Versprechen ist nicht viel geworden. Wie die Antworten der Sächsischen Staatsregierung auf zwei kleine Anfragen hervorgebracht haben, sind von den avisierten 100 zusätzlichen Spezialisten für das Jahr 2015 von November 2014 bis Juni 2015 gerade einmal 21 eingestellt worden”, stellt Enrico Stange nun fest und verweist auf seine beiden Parlaments-Anfragen 6/881 und 6/2023. “Dabei musste das Innenministerium zugeben, dass es sich von 21 eingestellten ‘zusätzlichen Spezialisten’ gerade mal bei 3 um tatsächliche Neueinstellungen, also zusätzliche Spezialisten handelt. Von den weiteren 18 Personen waren 6 bislang schon in Festanstellung, 4 in einem befristeten Arbeitsverhältnis und weitere 8 durch Werk- oder Dienstleistungsvertrag in Diensten des Freistaates.”

Auch das ist nicht neu. Seit 2010 schreibt die L-IZ immer wieder darüber, dass der Freistaat zu spät in die Nachwuchsgewinnung gestartet ist. Als die sächsischen Unternehmen schon das volle Register spielten, um sich aus den geschrumpften Ausbildungsjahrgängen die besten Leute zu sichern, trat ein Minister nach dem anderen aus der völlig orientierungslosen Regierung vor die Presse und verkündete weiteren Stellenabbau. Auch Ulbig, der 2012 die “Polizeireform 2020” vorlegte, als hätte er von der heute von ihm jede Woche benannten Grenzkriminalität, von Crystal, Wohnungseinbrüchen, Menschenhandel, Prostitution, organisierter Kriminalität nie gehört.

Jahr um Jahr kündigt er eine Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit tschechischen Polizeistellen an. Dabei wäre eine funktionierende IT-Ermittlertruppe die beste Vernetzung mit den Nachbarländern. Funktioniert das SN4C überhaupt? Man darf zweifeln. Egal, ob OAZ, Kripo oder IT-Ermittlungen: Der sächsischen Polizei fehlen die ausgebildeten Spezialisten. Die paar, die da sind, reichen nicht.

Das Bild, das auch Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, gewinnt, ist so eindeutig wie ernüchternd: “Gerade bei den IT-Spezialisten im Dienste der Polizei wird deutlich, was sowohl im Polizeivollzugsdienst als auch in vielen anderen Bereichen zu beobachten ist: Der Freistaat Sachsen versucht, mit niedrigen und mittelmäßigen Einkommensangeboten Spitzenkräfte zu werben. Eine Wette, die in marktwirtschaftlicher Konkurrenz zur freien Wirtschaft so nicht aufgehen wird. Der Freistaat wird mehr bieten müssen als die ca. 2.500 Euro Einstiegsbruttogehalt für einen voll ausgebildeten Fachinformatiker.”

Aber was soll so ein armer Innenminister tun, wenn er zwar 40 Millionen Euro im Jahr traurig zurückgeben muss, weil er sie partout nicht ausgeben konnte, vom Finanzminister aber bei jedem Gang übern Flur gesagt bekommt: “Du musst sparen, Junge. Gib nicht so viel Geld aus.”?

Das Knausern an den wichtigsten Posten kommt Sachsen teuer zu stehen

“Die Sächsische Staatsregierung muss endlich das Problem erkennen und deutlich mehr Geld bereitstellen. Schließlich haben gut ausgebildete Fachkräfte und die Sicherheit im Freistaat ihren Preis und sind nicht zum Billigtarif zu haben”, sagt Enrico Stange, der wohl auch gehofft hatte, dass mit der neuen CDU/SPD-Koaliton wieder mehr Realtätssinn einzieht ins politische Tagesgeschäft – auch in die Ausstattung der Polizei. “Allerdings ist dieser Politikwechsel nicht zu erkennen, stattdessen agiert das Innenministerium vollkommen konzeptionslos. Auf meine Frage, wann die Staatsregierung endlich die versprochenen zusätzlichen Spezialisten einstellen möchte, wurde in der Antwort auf eine kleine Anfrage noch im Februar 2015 geantwortet: ‘Die weiteren Einstellungsplanungen erfolgen im Rahmen der Erarbeitung eines Konzepts.’ Fünf Monate später, im Juli 2015, wurde eine Antwort auf die gleiche Frage nunmehr gänzlich unter Verweis auf die exekutive Eigenverantwortung verweigert.”

Dafür kann sich Stange zwei Interpretationen vorstellen. Aber beide klingen nicht gut: “Entweder hat die Sächsische Staatsregierung kein Konzept und versucht, dies zu vertuschen oder sie hält bewusst das Parlament im Unklaren über den Fortgang eines immerhin im Koalitionsvertrag veröffentlichten Vorhabens. In beiden Fällen ist der Zustand unhaltbar und es muss dringend geklärt werden, wie das Innenministerium gedenkt, den personellen Notstand bei der Bekämpfung der rasant wachsenden und enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden verursachenden IT-Kriminalität zu beenden.”

Es sieht ganz danach aus, dass auch das Innenministerium sehenden Auges in einen Personalmangel hineingerauscht ist, der für jeden einigermaßen mit Mathematik Vertrauten 2012 schon auf der Hand lag. Aber Markus Ulbig ist ja nicht allein. Den anderen Kollegen und Kolleginnen geht es genauso. Außer vielleicht dem Finanzminister. Der hat fleißig weiter junge Finanzbeamte ausbilden lassen, auch als die Kollegen noch mit weinerlicher Miene das Lied von der “Reform” sangen.

Da freut sich natürlich das Neuland, wo die Spuren der Pferdediebe über ansonsten völlig unberührtes Terrain verlaufen. Neuland eben. Bis auf weiteres wegen Wartungsarbeiten bitte nicht betreten. Liebe Cyberkriminelle, bitte nehmt Rücksicht!

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